Während Ferrari und Charles Leclerc beim Großen Preis von Australien eine erschreckend dominante Vorstellung abliefern, rätselt man bei Red Bull über den Rückstand auf die Scuderia. Mercedes besinnt sich auf gewohnte Stärken. Und Sebastian Vettel hat jetzt schon keine Lust mehr. Die Erkenntnisse zum Australien-GP.
Ferraris Dominanz ist mehr als nur ein Trend
Die Formel-1-Saison 2022 hat ihr erstes wirklich einseitiges Rennen hinter sich. Nach zwei packenden Grands Prix in Bahrain und Saudi-Arabien siegte Ferrari-Pilot Charles Leclerc auf dem Albert Park Circuit in einer Manier, die an die Mercedes-Dominanz aus vergangenen Tagen erinnerte. Zu keiner Zeit war der Triumph des Monegassen ernsthaft in Gefahr.
Der Pace der Roten im Renntrimm kam selbst für WM-Konkurrent Red Bull überraschend. "Der Rückstand auf Ferrari war alarmierend. Man kann Ferrari nur gratulieren. Das war sehr dominant", analysierte RB-Motorsportchef Helmut Marko. Von der ersten Runde an ließ Leclerc die Muskeln spielen und konterte jeglichen Versuch Max Verstappens, in die Nähe des DRS-Fensters zu gelangen, problemlos aus.
"Was für ein Rennen. Und was für eine Pace", jubelte Leclerc bei der Zieldurchfahrt. Später legte er im Interview nach: "Das ist das erste Mal, dass wir den Vorsprung kontrollieren konnten. Was für ein Auto, ganz ehrlich! Wir waren extrem stark. Die Reifen fühlten sich toll an, von der ersten bis zur letzten Runde."
Ferrari ist sich der eigenen Überlegenheit durchaus bewusst. Vom klassischen Understatement eines WM-Führenden fehlt jede Spur. Schon jetzt hat Leclerc als Führender in der Fahrerwertung 71 Punkte gesammelt - beinahe doppelt so viele wie Mercedes-Pilot George Russell (37) als erster Verfolger. Verstappen liegt nach dem zweiten Ausfall im dritten Rennen mit 25 Punkten gar noch weiter zurück.
Ferrari zu schlagen, wird eine Mammutaufgabe
Doch nicht nur der nackte Vorsprung in der WM sollte Sorgen bereiten. Die Dominanz und gleichzeitige Zuverlässigkeit, die die Scuderia in dieser Saison bislang an den Tag legt, ist beeindruckend. Aber ist Ferrari deshalb tatsächlich schon ein ernsthafter Anwärter auf den Titel? Oder sogar der Favorit?
Die Saison ist mit 23 Rennen die längste der Geschichte. Nach drei Rennen eine Prognose zu treffen, ist freilich verfrüht und nicht angebracht. Dennoch kann man mit einiger Gewissheit sagen, dass es eine Mammutaufgabe für Red Bull und Co. werden wird, die Lücke zu den Roten zu schließen.
Aufgrund der begrenzten Möglichkeiten in diesem Jahr, neue Updates an die Autos zu bringen, wird die Vormachtstellung Ferraris zumindest in den kommenden Rennen noch Bestand haben.
Darüber hinaus wird die Scuderia ihrerseits selbst alle Mittel ausschöpfen, um ihren Boliden an der Spitze zu halten. Oder um es mit den Worten von ORF-Experte Alexander Wurz zu sagen. "Man kann in Rennen drei nicht von einer WM-Vorentscheidung sprechen. Aber mehr als ein Trend ist es schon."
Mercedes besinnt sich auf gewohnte Stärken
Bereits am Samstag bescheinigte Mercedes-Teamchef Toto Wolff seinen beiden Piloten Lewis Hamilton und George Russell ein gutes Abschneiden. "Wir haben ein solides Top-10-Ergebnis eingefahren. Damit bin ich zufrieden, da es nicht selbstverständlich war in diesem engen vorderen Mittelfeld", meinte der Österreicher, nachdem beide Silberpfeile das Qualifying auf den Positionen fünf und sechs beendet hatten.
Tags darauf bestand für Mercedes gar noch mehr Grund zur Freude. Russell fuhr als Dritter überraschend aufs Podest, Hamilton sammelte als Viertplatzierter direkt dahinter ebenfalls wichtige WM-Punkte. Das lässt bei vielen Fans und Experten die Frage aufkommen, ob der Mercedes am Ende vielleicht doch gar nicht so schwach ist, wie es die Verantwortlichen behaupten.
Dass Wolff und Co. zur Übertreibung und einem Starkreden des Gegners neigen, ist bekannt. Dennoch lässt sich eindeutig festhalten, dass der Traditionsrennstall bei der aktuellen Pace eigentlich nicht in der Lage sein sollte, um Podestplätze mitzufahren. Doch Mercedes macht schlicht und ergreifend das, was es in der Vergangenheit stets ausgezeichnet hat und was es mit am besten kann: Sauber, konzentriert und fehlerlos zu arbeiten. Da sein, wenn die Anderen Fehler machen.
"Ein Faktor, der mich für die Zukunft sehr optimistisch stimmt, ist die Mentalität und Stärke des Teams", lobte Wolff nach dem Rennen im Albert Park.
"Zu sehen, wie Lewis und George heute mit einem Auto, das eindeutig nicht mit der Pace der Führenden mithalten konnte, eine außergewöhnliche Leistung erbracht haben, ist ein weiteres Beispiel für den Spirit in unserem Team. Der Österreicher nehme eine "absolute Entschlossenheit" wahr, den Rückstand auf die Spitze aufzuholen.
Wolff: "Sind optimistisch, aber realistisch"
Während Red Bull in drei Rennen bereits drei schwerwiegende Ausfälle zu beklagen hatte und auch Ferrari-Pilot Carlos Sainz an diesem Wochenende mit null Punkten nach Hause ging, ist Mercedes das einzige Spitzenteam, welches mit beiden Fahrern bei allen Rennen in die Punkte fuhr. Selbst Hamilton holte nach einem verheerenden Auftritt in Dschidda immerhin noch einen Zähler.
Somit hat Mercedes auch in Melbourne mehr als nur Schadensbegrenzung betrieben und fährt um Positionen mit, die der eigentlichen Performance nicht entsprechen. Bereits für das nächste Rennen in Imola ist ein größeres Update angekündigt, welches vor allem die Probleme des Porpoisings (Hüpfen des Fahrzeugs bei hoher Geschwindigkeit) beheben soll.
"Wir sind optimistisch, aber realistisch, was den Zeitplan für Verbesserungen und den Vorsprung angeht, den unsere Konkurrenten aktuell haben. Aber die Plätze drei und vier helfen uns, Australien mit einem guten Gefühl zu verlassen", so Wolff.
Bei Sebastian Vettel ist die gewohnte Ernüchterung zurück
Für Sebastian Vettel war das Rennen auf dem Albert Park Circuit der erste Grand Prix der Saison 2022. Nachdem er an den ersten beiden Wochenenden aufgrund einer Corona-Erkrankung von Landsmann Nico Hülkenberg vertreten werden musste, war die Vorfreude auf sein persönliches Saisondebüt vergleichsweise groß. Nach nicht einmal einer halben Renndistanz ist dieses Gefühl aber bereits wieder verflogen. Die fast schon gewohnte Ernüchterung findet beim Heppenheimer wieder Einzug.
"Noch schlimmer kann es nicht werden", lautete das vernichtende Fazit Vettels, nachdem er seinen Aston Martin in Runde 24 nach einem Fahrfehler in die Streckenbegrenzung gesetzt hatte. Schon zuvor war der Trip nach Australien unter einem schlechten Stern gestanden.
Nach einem Motorschaden im ersten Freien Training am Freitag verpasste er den zweiten Trainingsdurchgang und wichtige Übungskilometer. Im FP3 verbrachte er wegen eines Crashs ebenfalls nur wenig Zeit auf der Strecke. Das, so Vettel, sei letztlich der Ausschlag für sein schwaches Abschneiden gewesen.
Der Deutsche sparte jedoch nicht an Selbstkritik. "Das Auto ist schwierig zu fahren. Das wissen wir. Vielleicht wollte ich zu schnell zu viel. Ein paar Mal habe ich das Auto außer Kontrolle verloren", sagte er über seinen Abflug. In Runde 24 war Vettel in Kurve vier zu weit nach außen gekommen und hatte das Heck seines AMR22 verloren.
Er habe sein Fahrzeug "nicht mehr halten" können, so Vettel weiter. "Weiß nicht, vielleicht überfahre ich im Moment das Auto, aber wir sind natürlich nicht so schnell, wie wir sein wollen. Vielleicht habe ich zu viel Druck gemacht. Am Ende habe ich das Auto außer Kontrolle verloren und konnte den Einschlag nicht vermeiden."
Aston Martin hat das schwächste Auto im Feld
Zu einem gefrusteten und fehlerbehafteten Auftritt Vettel gesellt sich ein Auto, welches aktuell das wohl schlechteste im gesamten Feld ist. Als einziges der zehn Teams hat Aston Martin nach zwei Rennen noch keinen einzigen WM-Punkt gesammelt. Die letztjährigen Hinterbänkler Williams, Haas und Alfa Romeo sind in Sachen Performance an den Briten vorbeigezogen. Für ein Team wie Aston Martin, das offen Ansprüche auf den WM-Titel stellt, eine handfeste Katastrophe.
Die leise Hoffnung Vettels, mit den weitreichenden Regeländerungen zu dieser Saison vielleicht noch einmal ganz vorne angreifen zu können, scheint schon jetzt zerstört. Dass Vettel keine Lust hat, im Niemandsland des Feldes umherzufahren, machte er bereits vor der Saison mehr als deutlich. Sollte das Paket, welches Aston Martin ihm zur Verfügung stellt, nicht konkurrenzfähig sein, werde er seine Karriere nicht um des Rennfahrens Willen in die Länge ziehen.
Dass dem britischen Traditionsteam mit schnellen Updates ein baldiger Tournaround gelingt, ist derweil unwahrscheinlich. Zu groß und vielfältig seien die Probleme, unter denen man leide. "Es sind zu viele Dinge, um ehrlich zu sein", gab sich Vettel wenig zuversichtlich. "Es gibt vieles, das wir verbessern wollen, aber bislang haben wir noch keine Lösungen."
Formel 1: Der WM-Stand (nach 3 von 23 Rennen)
- Fahrerwertung:
Platz | Fahrer | Team | Punkte |
1 | Charles Leclerc | Ferrari | 71 |
2 | George Russell | Mercedes | 37 |
3 | Carlos Sainz | Ferrari | 33 |
4 | Sergio Perez | Red Bull | 30 |
5 | Lewis Hamilton | Mercedes | 28 |
6 | Max Verstappen | Red Bull | 25 |
7 | Esteban Ocon | Alpine | 20 |
8 | Lando Norris | McLaren | 16 |
9 | Kevin Magnussen | Haas | 12 |
10 | Valtteri Bottas | Alfa Romeo | 12 |
- Konstrukteurswertung:
Platz | Team | Punkte |
1 | Ferrari | 104 |
2 | Mercedes | 65 |
3 | Red Bull | 55 |
4 | McLaren | 24 |
5 | Alpine | 22 |
6 | Alfa Romeo | 13 |
7 | Haas | 12 |
8 | AlphaTauri | 10 |
9 | Williams | 1 |
10 | Aston Martin | 0 |
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