Große Politik statt großer Sport

Maurizio Arrivabene, Toto Wolff und Christian Horner vereint - ein äußerst seltenes Bild
© getty

Langeweile prägte die Formel-1-Saison 2015 aus Sicht vieler Zuschauer. Mercedes dominierte das zweite Jahr der V6-Turbo-Hybrid-Ära wie schon das erste. War das zu erwarten? Ja. Doch die Formel 1 war trotzdem spannend. Weil im Hintergrund dank Red Bull und Renault aus GZSZ ein Dokumentarfilm wurde. Die Zukunft scheint geklärt und birgt doch schon wieder Probleme.

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Rückblick. Im November 2013 konnte Remi Taffin seine Freude kaum im Zaum halten. "Red Bull und Renault haben eine großartige Partnerschaft. Nachdem wir in Indien die Weltmeisterschaften gewonnen haben, ist es fantastisch, sogar noch mehr Erfolg zu haben - besonders am Ende der V8-Ära", sagte der Einsatzleiter der Franzosen.

Davon ist im November 2015 nichts mehr geblieben. Das Traumpaar hat sich auseinandergelebt. Zwar ist nach dem öffentlichen Rosenkrieg wieder etwas Ruhe eingekehrt, seitdem klar ist, dass Red Bull weder mit Mercedes noch mit Ferrari in die Kiste hüpfen kann. Doch dass die früheren Ehepartner wieder unter einem Dach arbeiten? Unvorstellbar.

Red Bull prägt Saison 2015

Red Bull hat in Renault den Schuldigen für seine Misere gefunden. Und damit die Saison 2015 geprägt.

"Wir haben die Ziele, die wir uns selbst gesetzt haben, nicht erreicht", räumte Renaults F1-Geschäftsführer Cyril Abiteboul in Abu Dhabi ein: "Ich hoffe, dass man dieses Jahr nur als Abweichung von unserer gewöhnlich guten Form sehen wird. Platz 4 in der Weltmeisterschaft ist für Red Bull ohne Frage nur schwierig zu akzeptieren."

Der angeblich verbesserte Motor, den Daniel Ricciardo in Brasilien fuhr? Laut Red Bull ein Schuss in den Ofen, laut Renault ein echter Fortschritt. "War es eine Verbesserung? Hört auf Cyril. Was er sagt, stimmt absolut - und deswegen ist der Motor an diesem Wochenende nicht im Auto", machte sich Teamchef Christian Horner in Abu Dhabi lustig.

Mercedes' Erfolg verkommt zur Randnotiz

Während Mercedes bei seiner Dominanz an fast jedem Sonntag Zeit für eine kleine Verschnaufpause gehabt hätte, schlitterte die Konkurrenz hinterher. 16 Siege, 18 Pole Positions, 32 Podiumsplätze, 33 Starts aus der ersten Reihe im Jahr 2015 - die Fabelzahlen der Saison 2014 haben die Silberpfeile nochmals getoppt.

Mercedes' überragender Erfolg verkam neben dem Dauerzwist des besten Rennstalls der letzten Jahre mehr und mehr zur Randnotiz. Die Formel 1 zieht weniger Zuschauer an die Rennstrecken und vor den Fernseher. Die Nörgelei von Red Bull übertrug sich auf die Fans.

Dass die TV-Reichweite stetig sinkt, ist durch das veränderte Mediennutzungsverhalten einfach erklärt. Digitale Sender und Bewegtbildangebote im Internet nagen am Fundament der ehemaligen Quotengaranten.

Das ist aber nur eine Sichtweise. In Print- und Onlinemagazinen ist vom Sport ebenso wenig die Rede.

Die Formel 1 als Telenovela

Es geht um Anschuldigungen, fatale Missverständnisse und politische Ränkespielchen. Die Formel 1 präsentiert sich immer mehr wie eine Telenovela mit Motorsport-Hintergrund.

Das Verwirrspiel um die Trennung von Red Bull und Renault samt dem beabsichtigten Wechsel der Österreicher zu Mercedes, später Ferrari, noch später Honda ließ GZSZ wie eine realistische Dokumentation wirken. Dass der französische Automobilkonzern sich zum Ziel nahm, das ehemalige Werksteam in Enstone vom insolventen Lotus-Rennstall wieder ins eigene Unternehmen einzugliedern, und daraus eine monatelange Hängepartie machte, krönte die Vorkommnisse.

Das Vorhaben der Franzosen hängt noch immer in der Schwebe. Ob es in Enstone weiter geht, ist nach wie vor davon abhängig, ob sich Konzernchef Carlos Ghosn von den Motorsport-Befürwortern im Unternehmen nach monatelangen Unterredungen mit Alain Prost und seinen Mitstreitern zur überreden lässt. Oder besser gesagt: Bernie Ecclestone muss Zahlungen aus den Millionen-Töpfen der Premiumhersteller zusichern. In Abu Dhabi fanden gleich mehrere Gespräche zwischen dem Formel-1-Boss und Renault statt.

Red Bull mit Renault? Es geht weiter!

Am Ende führt das monatelange Wechselspiel aus Schuldzuweisungen wohl dazu, dass die zerstrittenen Partner sich zusammenraufen. Renault bekommt sein Geld, weil sonst gleich drei Teams aus der Formel 1 aussteigen müssen, das frühere Traumpaar bildet nach der eigentlich beschlossenen Scheidung eine Zweckgemeinschaft.

Die Franzosen polstern durch Bernie und die Motorenlieferung ihr Budget auf, Red Bull bekommt die für den Motorsport nötigen Antriebe und wechselt ab der Saison 2017 mit seinen Teams zu Mercedes und/oder Ferrari, die erst die nötige Infrastruktur schaffen müssen.

Ausgerechnet der Verbleib des durch das aktuelle Hybrid-Reglement ins Hintertreffen geratenen Weltkonzerns aus Frankreich würde den GAU verhindern, für den die Regelhüter des Automobilweltverbands verantwortlich sind: Der von Motorenherstellern herbeigeführten Ausschluss mehrerer Teams.

Wolffs Wunsch bleibt ein Traum

Ohne Red Bull, Toro Rosso und Lotus wäre zwar der von Mercedes-Motorsportdirektor Toto Wolff favorisierte Plan zur Aufstockung des Starterfeldes mittels eines dritten Wagens der Topteams Realität geworden. Der hätte die Problemschraube allerdings um drei Umdrehungen angezogen.

Würden die Topteams die ersten Plätze mit drei Autos noch mehr unter sich ausmachen, bekämen die übrigen Konstrukteure weniger Aufmerksamkeit der Medien. Damit würden Werbeeinnahmen schrumpfen, weitere Privatiers in die Nähe der Insolvenz kommen.

Schon jetzt kämpfen neben Lotus auch Sauber und Force India, um ihr Budget auf demselben Level zu halten. Das als Virgin zur Saison 2010 eingestiegene Marussia-Team hatte es noch nie und rutschte Ende 2014 ins Insolvenzverfahren, bevor es als Manor gerade so überlebte. McLaren gleicht seine Verluste in der Formel 1 durch die Gewinne beim Sportwagenbau aus.

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