"Vettel wird nur schwer zu schlagen sein"

Von Interview: Alexander Mey
Sebastian Vettel wurde 2011 auf Pirelli-Reifen Formel-1-Weltmeister
© Getty

Pirelli hat die Formel 1 2011 zu einem Spektakel gemacht. Sportchef Paul Hembery verspricht im SPOX-Interview für 2012 sogar noch eine Steigerung. Außerdem verrät er seine Lieblingsstrecke und wem er Siege mehr gönnt als Sebastian Vettel.

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SPOX: Anfang 2011 haben sich die Fahrer über Ihre vermeintlich zu aggressiven Reifen beschwert. Am Ende der Saison waren sie ihnen dann sogar zu konservativ. Können Sie es denn niemandem recht machen?

Paul Hembery: (lacht) Nun ja, wir sind in der Formel 1 und da haben wir nun einmal sehr anspruchsvolle Kundschaft. Aber es ist in der Tat ironisch, dass die gleichen Leute, die uns am Anfang eine zu radikale Herangehensweise vorgeworfen haben, am Ende über zu konservative Reifen gejammert haben. Es ist unvermeidlich, dass sich so brillante Köpfe wie die in der Formel 1 früher oder später auf jede Neuerung einstellen. Daraus folgt für uns die Herausforderung, uns ständig neu zu erfinden, um etwas Neues zu bieten.

SPOX: McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh hat Sie sogar aufgefordert, den Teams Kopfschmerzen zu bereiten. Werden Sie das tun?

Hembery: Wir würden den Teams lieber neue Möglichkeiten verschaffen als Kopfschmerzen. Wir haben in unserer Debüt-Saison eine Menge gelernt und würden das gerne 2012 in der Praxis umsetzen. Dadurch, dass die verschiedenen Reifenmischungen 2012 viel näher beieinander liegen, sollten die Rennen enger werden, weil die Unterschiede zwischen Autos auf verschiedenen Reifenmischungen nicht mehr so gravierend sein werden. Strategie wird noch wichtiger werden.

SPOX: Ist das Ihr Ziel für die zweite Saison?

Hembery: Wir wollen die Rennen aufregend gestalten, dass war und ist unsere Maxime. Die Reifen sollen ein wichtiges Gesprächsthema bleiben. Die 2012er Reifen werden für die Teams nicht mehr so eine große Überraschung sein wie die 2011er, schließlich haben auch sie jede Menge Erfahrungen gesammelt. Aber ich denke, die neuen Mischungen haben sich genügend verändert, um wieder eine ganze Reihe actionreicher Rennen zu verursachen.

SPOX: Wie genau sollen die neuen, näher beieinander liegenden Mischungen die Show verbessern?

Hembery: Sie sollen mehr Spielraum für unterschiedliche, auch aggressive Strategien bieten. Es wird nicht mehr so klar sein wie 2011, welche der beiden zur Verfügung stehenden Mischungen im Rennen die bevorzugte ist. Die neuen Mischungen halten zwar nicht länger, aber sie bringen ihre optimale Leistung über einen längeren Zeitraum.

SPOX: Es wird also nicht noch mehr Boxenstopps als 2011 geben.

Hembery: Nein. Das Ziel in Sachen Boxenstopps bleibt das gleiche wie 2011: zwei bis drei. Deshalb beträgt die Lebensdauer aller unsere Reifen rund 100 Kilometer. 2011 hatte jeder Fahrer im Schnitt 2,25 Boxenstopps pro Rennen, wir lagen also perfekt im Plan.

SPOX: Wie viele Reifen werden Sie 2012 verbrauchen und was wird das ungefähr kosten?

Hembery: Wir werden ungefähr 45.000 Reifen für die Formel 1 zur Verfügung stellen, dazu kommen weitere 25.000 für GP2 und GP3. Während der Tests kamen 739 Reifensätze zum Einsatz. Was das kostet, ist schwer zu sagen, da das meiste Geld in die Entwicklung der Reifen geht. Das genau zu beziffern, ist fast unmöglich.

SPOX: Wie haben Fahrer und Teams bei den Tests auf die neuen Mischungen reagiert?

Hembery: Das Feedback aller Fahrer war grundsätzlich gut. Die Reifen haben genau so funktioniert, wie wir das erwartet hatten. Allerdings waren die Temperaturen bei den Tests sehr niedrig, sodass wir die Reifen nicht über die gesamte Bandbreite testen konnten. Aber so ist es eben in der Formel 1. Zu viele Informationen gibt es nie.

SPOX: 2011 gab es Fahrer wie Sebastian Vettel, die von Anfang an besser mit den Reifen zurechtkamen als andere. Wird es so etwas auch diesmal wieder geben?

Hembery: Das ist sicher möglich, aber zu diesem frühen Zeitpunkt Namen zu nennen, wäre pure Spekulation. Das wird sich erst bei den ersten Rennen herauskristallisieren. Bislang scheint nur klar zu sein, dass es sehr eng zugehen wird, und darauf hoffen wir doch alle im Sinne des Sports.

SPOX: Haben Sie Teams mit besonderen Reifenproblemen ausgemacht?

Hembery: Nicht wirklich. Der generelle Eindruck aller Fahrer war positiv, egal, ob sie in einem Spitzenauto saßen oder in einem der kleineren Teams. Natürlich haben die kleinen Teams grundsätzlich einen Nachteil, aber letztlich hängt es von der Brillanz individueller Fahrer und Ingenieure ab, das Optimum aus dem Material herauszuholen.

SPOX: Wie helfen die Daten, die Sie in der Saison 2011 gesammelt haben, bei der Vorbereitung auf die neue?

Hembery: Die Hilfe ist enorm. In der Vorbereitung auf 2011 haben wir unabhängig mit unserem eigenen Team getestet und kannten keine der Strecken. Jetzt kennen wir die Bedürfnisse jedes einzelnen Teams und haben zudem Zugriff auf die aktuellsten Informationen. Für die Auswahl der Mischungen haben wir jetzt ebenfalls viel mehr Daten und dazu noch Proben der Streckenbeläge. Es ist aber trotzdem keine leichte Übung, unter Berücksichtigung von Streckenlayout, Streckenbelag, Wetter und Action für die Zuschauer die richtige Wahl zu treffen.

SPOX: Welche Strecken sind für die Reifen am härtesten?

Hembery: Jede Strecke bietet ihre eigenen Herausforderungen für die Reifen, das macht unseren Job ja so spannend. Aber Spa und Monza stechen neben einigen anderen schwierigen Strecken heraus.

SPOX: Wie bereiten Sie sich auf die neuen Strecken im Rennkalender in Bahrain und den USA vor?

Hembery: In Bahrain haben wir schon getestet, von dort haben wir also schon eine Menge Daten. Für Austin arbeiten wir, wie übrigens auch für Bahrain, mit erweiterten Simulationen. Dazu bekommen wir auch von dort Asphaltproben, sobald er verlegt ist. Das wird bei unseren grundsätzlichen Entscheidungen über die Mischungen helfen. Hey, immerhin sind diesmal nur zwei Strecken neu, nicht alle. (lacht)

SPOX: Haben Sie persönlich eigentlich eine Lieblingsstrecke?

Hembery: Ich liebe Silverstone, das habe ich schon immer getan. 2011 habe ich zudem fantastische Rennen in China, Kanada und Monaco gesehen. Japan und Singapur hatten eine ganz spezielle Atmosphäre. Die gehören also auch alle zu meinen Favoriten.

SPOX: Wie stellen Sie sich das perfekte Rennen vor?

Hembery: Das ist eine interessante Frage. Ich denke nicht, dass ich schon das für mich perfekte Rennen gesehen habe. In so einem Rennen müssten alle Möglichkeiten, die unsere Reifen bieten, einem möglichst großen Publikum vorgeführt werden. Kanada und Monaco kamen 2011 diesem perfekten Rennen sehr nah. Dort haben die Reifen für einen dramatischen Rennausgang gesorgt. In Monaco kämpften drei Fahrer mit völlig unterschiedlichen Reifenstrategien um den Sieg.

SPOX: Sie haben über die neuen Autos gesagt, sie seien hässlich, und die Befürchtung geäußert, dass sie die Fans sogar abschrecken könnten.

Hembery: Viele Leute haben gesagt, dass sie die abgestuften Nasen hässlich finden, und ich stimme ihnen zu. Aber ich denke, dass das Spektakel in den Rennen die Fans mehr beeinflussen wird als das Aussehen der Autos.

SPOX: Pirelli würde sich doch aber für einen normalen Werbespot kein hässliches Auto aussuchen.

Hembery: Das würde wohl niemand tun, aber in den Augen der Teams ist ein Auto dann schön, wenn es gewinnt. Das ist ihnen sicher viel wichtiger als die Frage, wie ihr Auto in unseren Werbespots aussieht.

SPOX: Ihr Tipp: Wird auch 2012 die Kombination Vettel/Pirelli den Titel holen?

Hembery: Vettel ist ein großer Champion und wird sicher nur sehr schwer zu schlagen sein. Aber auch wenn ich natürlich unparteiisch sein muss, darf ich doch noch Patriot sein, denke ich. Ich wäre also sehr glücklich, wenn sich die britischen Fahrer gut schlagen würden.

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