Surer: "Die bluffen nicht, da ist der Wurm drin"

Von Alexander Mey
Weltmeister Lewis Hamilton fuhr bei den Tests im McLaren-Mercedes hinterher
© Getty

Der letzte große Test vor dem Start der Formel-1-Saison in Melbourne ist vorüber. Brawn GP hat in Barcelona für eine Sensation nach der anderen gesorgt, McLaren-Mercedes enttäuschte dagegen auf ganzer Linie. Für Ferrari, BMW-Sauber und Toyota lief es sehr viel besser. Wie sieht das Kräfteverhältnis im Feld aus? SPOX und Premiere-Experte Marc Surer analysieren den Stand der Dinge vor dem Australien-GP.

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Für die meisten Teams ist der Hammer gefallen. Ferrari, BMW-Sauber, Toyota, Red Bull, Toro Rosso und Force India packen schon einmal ihre Sachen für die Reise nach Australien. Nur McLaren-Mercedes, Brawn GP, Renault und Williams sind kommende Woche in Jerez noch einmal auf der Teststrecke.

SPOX blickt gemeinsam mit Premiere-Experte Marc Surer auf die vielleicht spannendsten und überraschendsten Testfahrten seit vielen Jahren zurück und analysiert das Kräfteverhältnis vor dem ersten Rennen.

Die Sensation:

Brawn GP

Statistik: Testtage: 4; Testkilometer: 2016; Bestzeiten: 2

Analyse: Mit Brawn GP hatte niemand gerechnet. Viel zu spät konnte der Honda-Nachfolger eigentlich auf die Strecke, dazu war lange die Finanzierung unsicher. Jetzt fährt das Team plötzlich allen um die Ohren. Sollten die Testzeiten aus Barcelona ohne Tricks zustande gekommen sein, ist Brawn GP - so unglaublich das klingt - in Melbourne kaum zu schlagen. Eine Einschätzung, die sogar so namhafte Piloten wie Felipe Massa teilen. Dennoch: Zeiten, die bei Tests gefahren wurden, haben in der Vergangenheit schon häufig getäuscht.

Das sagen die Verantwortlichen: Rubens Barrichello: "Ich glaube, dass wir die Überraschung des Jahres sein werden. Unser Auto ist aerodynamisch sehr stark. Es harmoniert gut mit dem Motor, was Leistung und Fahrbarkeit angeht. Es läuft mit viel Benzin gut, mit wenig Benzin gut - eigentlich mit allen Benzinmengen."

Das sagt der Experte: Marc Surer: "Klar gibt es mögliche Erklärungen, vor allem das Gewicht. Aber selbst, wenn sie die Zeiten ohne Gewicht fahren, ist die Zeit erstaunlich gut. Man kann auf jeden Fall davon ausgehen, dass das Auto gelungen ist, dass sie es aber zur Show ohne Ballast auf die Strecke geschickt haben. Schließlich braucht man ja auch noch ein paar Sponsoren. Ich würde nicht so weit gehen, dass Brawn GP in Melbourne gewinnt, aber sie werden auf jeden Fall vorne mitmischen. An dem Auto ist kein Geheimnis dran, also kann es gar nicht so überlegen sein. Mich erinnert das ein bisschen an Arrows vor einigen Jahren. Die sind damals auch Bestzeiten gefahren, die kein Mensch verstanden hat. Am Ende stellte sich heraus, dass sie extrem leicht unterwegs waren."

Die Enttäuschung:

McLaren-Mercedes

Statistik: Testtage: 17; Testkilometer: 5785; Bestzeiten: 0

Analyse: Der Silberpfeil hat riesige Probleme mit dem neuen Heckflügel. Er generiert deutlich zu wenig Abtrieb auf der Hinterachse, das Auto liegt unruhig, die Fahrer können nicht ans Limit gehen. Wenn sie es doch tun, dann fliegen sie von der Strecke. So geschehen am Mittwoch in Barcelona bei Lewis Hamilton.

Das sagen die Verantwortlichen: Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug: "Wir sind keineswegs dort, wo wir sein wollen. Es fehlt insgesamt an Abtrieb. Das Auto verhält sich grundsätzlich nicht schlecht, wir sind aber derzeit eindeutig zu langsam."

Das sagt der Experte: Marc Surer: "Die bluffen nicht, da ist der Wurm drin. Sie haben definitiv ein aerodynamisches Problem. Es würde mich wundern, wenn sie bis Melbourne kurzfristig noch etwas erreichen könnten. Man kann sicher davon ausgehen, dass sie das Problem in den Griff bekommen, aber ein Siegerauto wird aus dem Silberpfeil nicht plötzlich werden."

Die Hinterbänkler:

Williams

Statistik: Testtage: 16; Testkilometer: 6513; Bestzeiten: 0

Analyse: Zu Beginn der Tests sah es für Williams gar nicht schlecht aus. Doch dann kam das alte Leid. Das Team von Nico Rosberg konnte sich nicht so rasant verbessern wie die Konkurrenz und fuhr zuletzt in Barcelona nur noch im Mittelfeld herum. Sicher ist wieder die eine oder andere Überraschung drin, aber mit dem Anschluss an die Spitze wird es wieder nichts werden.

Das sagen die Verantwortlichen: Nico Rosberg: "Wir haben viele Runden gedreht und dabei definitiv Fortschritte gemacht. Es ist schwer zu sagen, wo alle stehen, weil die Zeiten so eng beieinander liegen, aber wir haben nächste Woche noch einen Test. Das könnte ein Vorteil sein."

Das sagt der Experte: Marc Surer: "Williams ist am letzten Tag in Barcelona mal eine schnelle Runde ohne Gewicht gefahren. Dabei war man verglichen mit dem Brawn GP zu langsam. Das Team ist nicht vorne dabei."

Toro Rosso

Statistik: Testtage: 11; Testkilometer: 4883; Bestzeiten 7 (alle im alten Auto)

Analyse: Das neue Auto kam erst sehr spät, dazu sind beide Fahrer noch relativ unerfahren. Keine guten Voraussetzungen, um den STR4 auf die Schnelle perfekt zu entwickeln. Es wird kaum möglich sein, das Traumjahr 2008 ohne Sebastian Vettel zu wiederholen, auch wenn die Basis des Autos die gleiche ist wie beim neuen Red Bull RB5.

Das sagen die Verantwortlichen: Technikchef Giorgio Ascanelli: "Ich freue mich darüber, dass unser Debüt gerade einmal 22 Tage nach dem ersten Roll-Out des Rennwagens von Red Bull stattfand. Das kann sich im Vergleich zum Vorjahr wirklich sehen lassen."

Das sagt der Experte: Marc Surer: "Man spürt, dass sie einen großen Testrückstand haben. Die Voraussetzungen vom Auto her sind ähnlich wie bei Red Bull, nur passt der Ferrari-Motor von der Abstimmung her nicht so optimal zum Auto wie der Renault-Motor. Das Auto hat nicht wie der Brawn GP auf Anhieb funktioniert. Sie kommen nicht gut aus den Startlöchern."

Force India

Statistik: Testtage: 8; Testkilometer 3095; Bestzeiten: 0

Analyse: Das neue Auto profitiert vom Mercedes-Motor, ähnelt aber auch am Heck dem Vorbild von McLaren. Wenn man sich deren Probleme ansieht, kein allzu gutes Omen. Das Team von Adrian Sutil hat zwar sicher Fortschritte gemacht, aber leider offenbar nicht so große wie viele Konkurrenten.

Das sagen die Verantwortlichen: Giancarlo Fisichella: "Wir gehen mit dem Set-Up in die richtige Richtung und das Auto war sehr zuverlässig. Allerdings könnten wir etwas mehr Anpressdruck gebrauchen. Es macht Mut, dass wir wissen, wo wir uns verbessern müssen."

Das sagt der Experte: Marc Surer: "Ich wüsste nicht, wieso Force India vom Ende des Feldes nach vorne kommen sollte. Im Moment können sie ein Team wie Toro Rosso, das mit der Entwicklung noch nicht fertig ist, schlagen. Aber langfristig sehe ich da wenig Hoffnung."

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