Wohl wahr, ich rede
Von Träumen, Kindern eines müßgen Hirns,
Von nicht als eitler Phantasie erzeugt.
(Romeo & Julia; Akt I; Szene IV; Zeile 98ff)

So oder so ähnlich las sich mein Gedankengut noch im Sommer vergangenen Jahres. Meine Liebe, mein FC Bayern wieder an der Spitze Europas? Ich Träumer.

Juni bis August 2009 in München. Der FC Bayern hat eine - nett ausgedrückt - tadelnswerte Saison endlich hinter sich gebracht. Eine Saison mit Höhen und Tiefen, gekrönt durch das blamable Ausscheiden aus der Champions League. Nachgerade wurde ein Neuer Weg eingeschlagen. Mal wieder.
Einer erneuten Saison ohne nennenswerte Erfolge folgend, lässt unser allseits geschätzter Geldaristokrat Uli eine Kostenartenrechnung (Die Kostenartenrechnung ist die erste von drei Stufen der Kosten- und Leistungsrechnung. Im Rahmen […] müssen die […] Kosten sowie Leistungen einer Abrechnungsperiode erfasst und gegliedert werden) durchführen. Quintessenz des Gedankenspiels: Sinnvoll investiertes Geld schießt eben doch Tore. Zum zweiten Mal in der Vereinsgeschichte wird das sorgfältig angehäufte, grundsolide Festgeldkonto marodiert.

Neben Müller, Badstuber, Olic (eigene Jugend/ablösefrei) werden die Spieler Braafheid (2**), Pranjic (7,7**), Tymoshchuck (11**) und Gomez (30**) an die Säbener Straße zu einem geselligen Beisammensein eingeladen, fühlen sich dort auf Anhieb wohl und ergänzen fortan den -in Europa- etwas hilflos besetzen Kader des deutschen Rekordmeisters.
Unter der Führung des in Bälde gekrönten Feierbiests Louis van Gaal soll Konstanz und Ruhe im Verein einkehren. Die Devise lautet: Der Rest Deutschlands soll wieder das Fernglas ausgraben, der FC Bayern soll Europa wieder ins Gedächtnis gerufen werden. Mal wieder.

O schwöre nicht beim Mond, dem wandelbaren,
Der immerfort in seiner Scheibe wechselt.
(2/2; 108ff)

Nach einigen recht ansprechenden Testspielen (u.a. gegen Vorjahresfinalist Manchester United) folgte ein recht holpriger Ligastart. Zwei Unentschieden, eine Niederlage. Der Kader ist gut, doch eine Erkenntnis verfestigt sich endlich auch zunehmend in den Köpfen der sportlichen Leitung. Ohne Ribéry ist der FC Bayern zum aktuellen Zeitpunkt nur besserer Durchschnitt. Mit Ribéry viel zu berechenbar. Es fehlt schlicht das I-Tüpfelchen. Das Tüpfelchen, welches Ribéry entlastet und in demselben Maße für die genialen und spielentscheidenden Momente sorgen kann.

Doch still, was schimmert durch das Fenster dort?
(2/2; 1)

Es ist das größenwahnsinnige Madrid, und Arjen Robben ist die Sonne!
(Abwandlung 1f - meine)

Ohne Perspektive auf einen Stammplatz steht der beispiellos schnelle Flügelspieler für einen Spottpreis von "nur" 24 Millionen** zur Verfügung.

Fast genauso schnell wie Robbens Laufleistung über 100m Sprint gestalten sich die Transferverhandlungen. Von dem verheißungsvollen Gerücht bis hin zur offiziellen Bekanntgabe vergehen nur wenige Tage.
28. August 2009 Der FC Bayern verkündet offiziell die Vertragsunterschrift.
Nach Eindhoven, London und Madrid nun also…. München.

29. August 2009: Der amtierende Meister VfL Wolfsburg ist zu Gast in der Allianz Arena, der neue Superstar nimmt bereits auf der Auswechselbank Platz. 2. Halbzeit, punkt 19.30 Uhr ist es so weit. Arjen Robben betritt das erste Mal den Münchener Rasen um ein Pflichtspiel für meine Roten zu bestreiten.
Und was für eines! Es dauert exakt 23 Minuten, bis Robben seinen ersten Treffer im Dress der Münchener erzielt, nicht einmal 13 Minuten später der zweite Streich.
Ab Minute 63 (Ribéry für Olic) scheint die perfekte Fußball Symbiose gefunden. Die VfL Abwehr beginnt zu schwimmen, ist völlig überfordert mit zwei solchen Ausnahmekönnern. Was die beiden da auf dem Platz veranstalten, ward in der Bundesliga ewig nicht gesehen. Diese beiden Spieler haben nur darauf gewartet, zusammen zu spielen! Uli sei Dank nicht in Madrid!

Der Liebe leichte Schwingen trugen mich,
Kein steinern Bollwerk kann der Liebe wehren.
(2/2; 43f)

So oder so ähnlich muss es an diesem Tag in den Köpfen der Spieler ausgesehen haben. Eine neue Leichtigkeit hält in München Einzug.
Sogar Marcel Reif lässt sich an diesem wunderschönen Samstag mitreißen:

"Schauen Sie sich DAS an was da los ist. Schauen Sie sich DAS an. (…) Der Zirkus ist in der Stadt, die Bayern machen wieder Laune!"

Zutreffender kann man es nicht beschreiben. Der FC Bayern besitzt fortan die wohl beste Flügelzange der Welt. Die Offensive liest sich wie aus dem Bilderbuch. Robben, Ribéry, Gomez, Klose, Olic, dazu ein aufstrebender und unglaublich gefährlicher Thomas Müller bringen jede Abwehr in Verlegenheit.

Was nun folgt ist wohl an emotionalen Höhepunkten nicht mehr zu überbieten. Eine Saison mit so viel Schmerz und Freude, die kaum zu ertragen ist. Einfach unglaublich. Und unglaublich nah mit diesem Mann verknüpft: Arjen Robben.

Nach einigen starken Spielen (u.a. Wolfsburg, Dortmund) kommen die Bayern noch nicht wirklich ins Rollen. Bereits nach einem Monat verletzt sich Arjen Robben im Top Spiel der Champions League gegen Juventus Turin, die ersten Schreie hallen durch die Medien: Ist der Mann aus Glas ein Fehleinkauf? Was für eine Entehrung!

Die beiden wichtigen Spiele gegen Bordeaux gehen sang und klanglos verloren, die Europa League schien nur noch auf die Münchener zu warten. Bayern schien am Boden, Lahm' explosives Interview erschien, Louis Thron wackelt bedenklich.
Doch das Wunder geschieht. Bordeaux schlug Juventus und die Bayern hatten ihr Endspiel in Turin. Doch auch dort der schnelle Rückstand. Der Kuss, der Dornröschen aus dem Schlaf riss. Und wie! Turin wird 4-1 abgefertigt, in der Liga bleibt man 18 Spieltage am Stück ungeschlagen. Und wer erinnert sich nicht an das Folgende. Shakespeare hätte es nicht dramatischer verfassen können. Die leichten Schwingen schießen die Bayern nahezu im Alleingang ins Champions League Finale, jedes Spiel ein absoluter Kracher. Florenz in der 89. umstritten geschlagen, im Rückspiel dem Rückstand hinterhergelaufen. Die Schande von Barcelona 99 aus der Welt geschafft, das Rückspiel in Manchester wohl Trauma und Segen zugleich für jeden Fan der Roten. Die wohl am meisten beeindruckende Choreografie der Champions League Geschichte, das Theater um Ribéry's Sperre, das grandiose DfB Pokal Finale. Und endlich. Nach langen Jahren des Wartens. Champions League Finale. In Madrid. Den Ort, wo sie Robben nicht wollten. Wo er uns fast im Alleingang hinführte..

Danke Uli für diesen Einkauf! Danke für diese Saison! Danke für den Verbleib von Ribéry! Danke, diese beiden Ausnahmekönner in meinem Trikot sehen zu dürfen. Ich freue mich auf Wembley 2011!

**Transfermarkt.de