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Gründer: midget | Mitglieder: 94 | Beiträge: 41
08.10.2009 um 22:48 Uhr
Geschrieben von donluka
Fliegen und Fallen
one bad thought could lose my mind
one bad mood could swing down


Diese Zeile stammt aus einem Song "The Difference between Flying and Falling" der Punkband Gameface aus Orange County.

Der Unterschied zwischen Fliegen und Fallen also. Er liegt manchmal näher als man denkt. Wer kennt das nicht? Diese Stimmung, mal himmelhochjauchzend, mal zu Tode betrübt? Sei es, dass man in jungen Jahren mal glücklich und am nächsten Tag wieder unglücklich verliebt war, sei es, dass es im Job mal super und dann wieder richtig mies läuft, sei es, dass der geliebte Verein mal gut und manchmal furchteinflößend spielt.

Handelt es sich bei derartigen Phänomenen um Momentaufnahmen, sprechen wir gerne von Phasen. Schlechte Phasen sind für uns Durststrecken, in denen man sich einfach mal verkriecht (aber ja nicht zu lange!) oder aber durchpustet und dann bitteschön gestählt zurückkommt. Unsere Gesellschaft mag es nicht, wenn jemand leidet. Wer sitzt schon gerne im Biergarten, raucht eine Zigarette, schlürft an seinem Bier und wird dabei von bettelnden Menschen "gestört"?

Nur ist das Leben nicht immer und vor allem nicht für alle nur schwarz und weiß. Vielmehr gibt es welche, die empfinden ihr Dasein als dauerhaft: Grau.
Kritisch wird dies dann, wenn dieses Empfinden eine gewisse Dauer überschreitet. Wenn aus einem Tief ein Lebensgefühl wird.

In diesem Fall sprechen wir von einer Depression. Depressionen unterscheiden sich von Momenten, in denen es uns einfach mal kacke geht, zum einen darin, dass sie länger andauern und zum anderen, dass der Betroffene krank ist und ohne Hilfe aus diesem Loch nicht mehr hinausklettern wird. Da können wir Außenstehende die Augen verdrehen und die Köpfe schütteln, so viel wir wollen, eine Depression lässt sich nicht wie ein Kaffeeautomat ein- und ausschalten.

Warum nerve ich eigentlich mit diesem Gesülze? Ganz einfach: Mich beschäftigt an diesen Tagen der Fall Sebastian Deisler. Mit der Bezeichnung "Fall" möchte ich mich nicht am Bild-Jargon bedienen, vielmehr stellt sie eine Verbindung zu meiner Einleitung dar, denn: Deisler kennt den Unterschied zwischen Fliegen und Fallen.

War er einst der Fliegende, der Held der deutschen Fußballnation, der ungeborene Traum einer verzückten Fanseele, lernte er bald, was es bedeutet, fallen gelassen zu werden, um einmal in dem Symbol zu bleiben. Zumindest hat er die Begleitumstände seines Wechsels von Hertha zu den Bayern so empfunden.

Ich möchte nun wirklich nicht die damaligen Zusammenhänge ausgraben und sinnieren, wer denn nun wann warum woran Schuld hatte. Vielmehr geht es mir um die derzeitige Reaktion auf Deislers (vorübergehende) Rückkehr in die Öffentlichkeit vor dem Hintergrund seiner Buchveröffentlichung.

In einem Interview mit der ZEIT schildert Deisler seine Leiden ebenso wie im Interview mit Jauch bei Stern-TV (auf stern.de abrufbar). Er deutet an, wie das so ist, mit einer Depression. Die hat er sich mit Sicherheit nicht ausgesucht, aber irgendwann war sie da.

Dabei kommt so eine Depression nicht einfach aus Lust und Laune um die Ecke. Sicher, es gibt verschiedene Ursachen, die aufeinander treffen, um ein derartiges Krankheitsbild auszulösen, aber ein Faktor ist ein zwischenmenschlicher/sozialer Konflikt. Dieser wird zum Auslöser. Und eben diesen definiert jeder Betroffene anders. Und eben dieser kann - je nach Ursprungsstabilität der Psyche - noch so klein sein. Oder als klein von der Außenwelt eingeschätzt werden.

Deisler jedenfalls hat es erlebt. Und er erlebt es weiter. Jeden Tag. Jeden Tag. Jeden Tag.

Das Gefühl, nicht aufstehen zu wollen. Nicht denken zu können. Nur grübeln zu müssen. Nicht sein zu wollen.

Was mich maßlos ärgert, ist die Reaktion einiger Menschen (auch im Spox-Forum), die sich nun anmaßen, darüber zu urteilen, ob Deisler eine Heulsuse, eine "Pussy" oder was weiß ich was ist. Die meinen, es gäbe viel schlimmeres Leid in der Welt. Krebskranke zum Beispiel. Ach ja? Und wer entscheidet darüber, welche Krankheit schlimmer ist als die andere? Sind aidskranke Kinder in Afrika schlimmer oder weniger schlimm als ein leukämiekrankes Kind in Deutschland? Wieso ist Depression weniger tragisch als ein Tumor? Weil wir sie nicht sehen können?
Oder weil wir sie nicht sehen wollen?

Dass Deisler nun in die Öffenrtlichkeit geht, mag die Meinungen spalten. Nur: Wir, die Öffentlichkeit, waren ein kleiner Teil des Auslösers. Des Druckes, der auf einem labilen und psychisch gefährdeten Mann lag.

Da frage ich mich: Wieso sollte Deisler eben dieser Öffentlichkeit nicht zeigen dürfen, wie er an seiner Gedankenwelt zugrunde geht?
Aufrufe: 13229 | Kommentare: 140 | Bewertungen: 61 | Erstellt:08.10.2009
ø 8.4
KOMMENTARE
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oliver
09.10.2009 | 11:33 Uhr
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oliver : 
09.10.2009 | 11:33 Uhr
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oliver : 
natürlich nicht. aber das passiert ja in fast allen anderen bereichen des lebens auch. da wird man leider mit leben müssen. dennoch: sehr, sehr gut beschrieben, das alles.
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donluka
09.10.2009 | 11:19 Uhr
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donluka : 
09.10.2009 | 11:19 Uhr
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donluka : 
@oliver: Das ist es ja! Darüber (also über das an die Öffentlichkeit-Gehen) kann man ja auch diskutieren. Was in meinen Augen aber einfach mal überhaupt nicht geht, ist, Dinge zu bagatelisieren, die man überhaupt nicht beurteilen kann.
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oliver
09.10.2009 | 11:11 Uhr
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oliver : ...
09.10.2009 | 11:11 Uhr
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oliver : ...
stark! bei der sache mit dem an die öffentlichkeit gehen hab ich zwar eine etwas zwiespältige meinung, die ich hier lieber nicht hinschreibem aber wie das so ist, wenn man sowas hat, und wie andere leute damit umgehen, das hast du sehr gut geschrieben. dennoch ist das wohl so: wer keine erfahrungen damit hat, wird das nur schwer verstehen oder nachvollziehen können...
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midget
09.10.2009 | 10:30 Uhr
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midget : 
09.10.2009 | 10:30 Uhr
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midget : 
ein ganz toller, tiefgehender und für manche zu schwerverständlicher blog.
das ist eine 10. nicht weniger. wer hier weniger gibt hat vom "spiel des lebens" nocht nichtmals den ersten hügel gesehen.

zum thema depression: werde ich mich nicht mehr äußern. nicht hier.
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donluka
09.10.2009 | 10:05 Uhr
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donluka : 
09.10.2009 | 10:05 Uhr
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donluka : 
Es freut mich, zu sehen, dass es doch Einige gibt, die es wagen, einen tieferen Blick auf diese Situation zu riskieren, um sich näher mit dem "Fall" zu befassen - auch wenn das beschwerlicher ist, als es als Pillepalle abzutun.
Das ist wirklich beruhigend!



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Büchsenmacher
09.10.2009 | 09:26 Uhr
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Büchsenmacher : @ Honk
09.10.2009 | 09:26 Uhr
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Büchsenmacher : @ Honk
Starker Kommentar
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FabianPramel
09.10.2009 | 09:15 Uhr
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09.10.2009 | 09:15 Uhr
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wow honky... starkes statement!
du kannst.
ja doch.
sinn und worte
in deinem
satzbau
darstellen!
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xxlhonk
09.10.2009 | 09:12 Uhr
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xxlhonk : 
09.10.2009 | 09:12 Uhr
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xxlhonk : 
Ganz großes DING.

Man, ich bekomme Gänsehaut beim Lesen.
Zum einen, weil DU das wirklich erstklassig geschrieben und die Problematik anschaulich und verständlich erklärt hast.
Zum anderen, weil ich mir die gestrige "Diskussion" hier auch reingezogen hatte.
Und ich nicht wusste, wie und ob ich darauf etwas erwidern kann.
Und es ließ.
Und somit zu einem Teil der schweigeneden Menge wurde, die zu oft schweigt, die sich zu oft solche Kommentare gefallen lassen muss.

DU mein Freund, und ich bin STOLZ darauf, dass DU das bist, hast es perfekt formuliert.
Grandios.

Das es Menschen wie dich hier gibt, gibt mir auch ein wenig Hoffnung.
Obwohl ich weiß, wie wenig deine Worte bei vielen leider auf fruchtbaren Boden FALLEN werden.
Aber dennoch.
Es ist ein Schritt.
In die richtige Richtung.
Und wie heißt es so schön:
Der Weg ist das Ziel!

Lasst ihn uns gehen.
gemeinsam.
gegen Intoleranz und Ignoranz.
Gegen Kleingeistigkeit und Niveaulosigkeit.
DANKE!
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FabianPramel
09.10.2009 | 08:54 Uhr
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09.10.2009 | 08:54 Uhr
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tolles ding don. größtes lob haste ja schon von büchse erhalten...
der lässt den promille-pegel für dich jetzt mal fallen anstatt ihn, wie üblich konstant zu halten.
nur um deinen blog zu lesen. stark. starkes thema. starker blog!
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gartenzwerg
09.10.2009 | 08:42 Uhr
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09.10.2009 | 08:42 Uhr
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Ohne viele Worte zu machen....
Wir würden nicht für Möglich halten, wer alles unter Depressionen
zu leiden hat.

Toller Blog, Don
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