Auf dem Grabstein eines Boxers irgendwo auf einem städtischen Friedhof:

"Ihr braucht nicht mehr zu zählen,
ich steh nicht wieder auf."

Was sind wir Menschen doch für rätselhafte Wesen? Wir werden geboren, leben dann in der Regel vor uns hin und später sterben wir dann. Mehr oder weniger spektakulär scheiden wir wieder aus diesem Leben. Die einen hinterlassen etwas, die anderen eher nicht. jedenfalls nichts das es wert wäre in einem Geschichtsbuch, einem Nachruf oder wenigstens auf der Trauerrede erwähnt zu werden.
Viele von uns leben ihr Leben nach Schema F : Kind sein, erwachsen werden, Karriere anschieben, Partnerschaft eingehen, Karriere weiterführen, Kinder groß ziehen, Karriere beenden, Lebensabend bestreiten, irgendwann sterben.

Bei Gottlieb Spillermann zeichnete sich im Grunde schon seit Monaten das unrühmliche Ende ab. Er fühlte sich von Tag zu Tag schlechter. Mit dem Rauchen hatte er zwar vor 12 Jahren aufgehört, trotzdem hatte er eigentlich immer das Gefühl dass der verdammte Lungenkrebs bei ihm eingezogen ist und nur darauf wartete, ihn zu vernichten. Endgültig.
Als Gottlieb vor 3 Jahren in den Vorruhestand ging bekam er von seinem Arbeitgeber - einem örtlichen Stromanbieter - eine Urkunde, eine Flasche Dujardin und einen Gutschein für einen Monat Gratis-Strom. Wahnsinn!
Nachdem er 14 Jahre lang Stromzähler überprüft, gewartet, repariert - und einigen Hundert Leuten den Strom abgedreht hat, verabschiedete man sich so von ihm. Drecksäcke! Aus lauter Ärger über so viel Unverfrorenheit machte er alles wieder rückgängig und verzichtete auf den Vorruhestand.
Nun ja, wahrscheinlich hatte er das alles auch gar nicht anders verdient. Je mehr er über sein bisheriges Leben nachdachte (in letzter Zeit machte er das immer öfter), desto enttäuschter war er von sich selber. Würde er als Gottlieb II. wiedergeboren und sich auf die Suche nach Gottlieb Spillermanns Spuren machen - er würde keine finden. Schon irgendwie traurig. Spillermann, du bist ein Oberloser!

Am heutigen Abend hat sich Gottlieb früh auf die Couch gelegt. Ihm ging es noch schlechter als sonst. Das atmen fiel ihm irgendwie schwer, er hatte wahrscheinlich auch etwas Fieber und fühlte sich matt wie schon seit längerem nicht mehr. Im Fernsehen lief irgendwas über Glaubensbekenntnisse, eine Doku. Spillermann dachte sich noch so: Na toll. jetzt bekomm ich hier statt ner letzten Ölung ne passende Abschiedsrede auf 3sat! ...wenige Minuten später schlief er ein.

Mit übertrieben langsamen Bewegungen läuft Spillermann auf den Küchenschrank zu. Jeder Schritt fühlt sich so an, als würde er durch tiefen Morast laufen. Irgendwo im Hintergrund läuft die Titelmelodie von "Ein Engel auf Erden" "Oh mein Gott, gleich kommt der weinerliche Michael Landon um die Ecke und straft ihn für die vielen Verfehlungen in seinem Leben" denkt Gottlieb ganz automatisch. Aber nichts passiert. Er öffnet langsam die Schranktür, auf der Suche nach einem Keks oder einem Zwieback. Im Schrank sitzt ein ca. 30 cm großer blauer Elefant. Der frißt den letzten Zwieback aus der Dose. Ein lauter Rülpser lockert die absurde Situation akkustisch auf, Spillermann ist nicht geschockt. Er nimmt es hin. Es gibt ja schliesslich noch Kekse ..irgendwo.. "Oooooh!!!! " Er zuckt überrascht zurück: Ein fetter Spatz sitzt in der fast leeren Keksschachtel und sieht irgendwie aus, als würde er gleich platzen. "Hey du Kackvogel!!" sprudelt es jetzt aus Spillermann heraus. "Ich reiss dir den Schnabel ab und steck ihn dir zwischen deine Federn, genau da hin wo die Sonne nie hinschein!!" Der Spatz sieht ihn kurz an, dann fällt er um..dreht sich auf dem Boden der Keksschachtel. Er lacht.. immer mehr, immer lauter... Spillermann kocht vor Wut..

Dann ein lauter Knall. Die Kühlschranktür öffnet sich abrupt und aus dem gleissenden Licht welches hervorscheint, schwebt ein Engel herein. Spillermann entdeckt ein Namensschild: Dr.Winfried Tobster, Einwohnermeldeamt. Tobster schnippt mit dem Finger und ein gläserner Fahrstuhl durchbricht die Zimmerdecke. Eine Tür öffnet sich und nach einem weiteren Schnippen steht Spillermann zusammen mit Tobster im Fahrstuhl und sie bewegen sich nach oben.

"Wir haben ein kleines Problem" fängt Tobster plötzlich an zu sprechen. "Dieses Spektakel mit dem Elefanten und dem Schrank und so.. das ist eigentlich der Beginn der Sterbephase für jeden Menschen, quasi eine Art "Sterbehilfe" unsererseits, Kopfkino de luxe., Du warst halt dran, du bist schon sehr geschwächt und nach diesen absurden Bildern die wir dir da untergejubelt haben sterben die meisten vor Schreck oder sie geben einfach auf, in dem Wissen dass sie im Grunde ja eh nur noch halluzinieren"

Jetzt bemerkt Spillermann auch noch eine zweite Person hinter dem Engel. Sie ist durch und durch rot, bis aus die pechschwarzen Haare und einen goldenen Dreizack... Es ist der Teufel.
Engel und Teufel scheinen zu diskutieren. Spillermann versteht nichts, aber es geht irgendwie heftig zur Sache. Wild gestikulierend , ihn immer wieder musternd,streiten sich die beiden bis der Fahsrtuhl endlich hältt. Die Tür öffnet sich und alle drei treten hinaus. Ein langer ,mit kleinen weissen Wölkchen gesäumter Weg schlängelt sich in die Unendlichkeit. Teufel und Tobster schweben irgendwie. Spillermann muss laufen (natürlich!), wieder durch den schweren Morast - also gefühlsmäßig. Plötzlich wendet sich der Teufel ihm zu:

"Du hast die Prüfung bestanden. Du bist vollkommen krank und kommst in den Himmel! Du warst einer der wenigen, die irgendwie glaubten was sie gesehen haben. Ich nenne so etwas ignorant, oder auch arrogantes Drecksauverhalten! Damit bist du im Himmel genau richtig. Hier sind sie nämlich alle so!"

Tobster, der Engel, fügt noch hinzu:

"Wir haben gedacht, dass du unsere kleine Vorführung nicht überlebst und deswegen haben wir schon alle Formulare ausgefüllt. Das jetzt wieder rückgängig zu machen ist unmöglich."

"Scheisse!"

Sie laufen (die zwei Herrschaften links und rechts schweben natürlich noch immer) jetzt schweigend weiter den Weg entlang bis sie an einer Art Rezeption ankommen. Dort füllt unser Held einige Anmeldungen aus und empfängt seinen Zimmerschlüssel. Er verabschiedet sich vorerst von Tobster , der Teufel allerdings bleibt noch an seiner Seite. bevor er die Tür zu seinem zukünftigen Heim aufschliessen kann, packt er ihn am Arm und säuselt ihm folgendes ins Ohr:

"Hör zu, du bist mir sympatisch. Du musst nicht hier bleiben, wir haben genug Platz in der Hölle!"

"Okay okay,aber warum sollte ich das überhaupt wollen? "

" Na ganz einfach, hier oben leben die langweiligsten Menschen die es auf Erden gab. Schiller, Goethe, Edgar A. Poe, Smudo, Patrick Steward.. - alles fantasievolle Menschen, ohne Zweifel. So wie du eben.Aber was haben die denn sonst noch zu bieten? Bie mir unten tobt das wahre Leben. Denn bei mir wohnen die Helden! Helden haben nämlich alle eines gemeinsam: Ihre über und über gute Seite, jene, die das Heldentum in ihnen heraufbeschwor, ist auch dafür verantwortlich, dass sich in ihrem Inneren eine gegensätzliche Seite entwickeln konnte. Ein schlechter Charakter, kriminelle Energie, Egoismus. Du musst dir das so ungefähr vorstellen wie bei Dr.Jeckyll und Mr. Hyde!"

"Verstehe. Muss ich mich bei euch nicht anmelden und muss ich mich im Himmel wieder abmelden?"

"Nein, wir würden das schon für dich machen und für dich wär sogar ein kleines Werbegeschenk drin! Wir erhalten nämlich für jeden der zu uns kommt, Prämien vom Himmel-Hölle Budget. Nur eines noch. Du müsstest mit irgendwas heldenhaftes erzählen was du zu Lebzeiten getan hast"

Bam!! War ja klar dass es da einen Haken gibt. Spillermann überlegt. Nichts fällt ihm ein. Er hatte den Idiotentest nach seinem Führerscheinentzug 1996 ohne Probleme beim ersten Anlauf geschafft. In seinen Augen war das schon ziemlich heldenhaft, der Teufel schüttelt allerdings heftig mit dem Kopf:

"Das reicht nicht"

Plötzlich hat Spillermann das richtige gefunden.

"Ich habe Hunderten von Leuten des Strom abgeschaltet weil sie ihre Rechnung nicht bezahlt haben!"

Der Teufel sieht erstaunt auf . "Und DAS soll heldenhaft sein?"

"Nein , dass vielleicht noch nicht, aber ich habe diesen hunderten von Menschen auch den Strom wieder ANgestellt, nachdem sie bezahlt hatten. Und glaub mir, JEDER hat bezahlt, irgendwann"

Jetzt huscht ein zufriedenes Lächeln über das Gesicht des Teufels.

"Das ist es! Und neben diesen Heldentaten hast du quasi auch gleich das Klischee von Dr.Jeckyll und Mr. Hyde bedient. Handschlag! Ab sofort bist du bei uns. "

Schon wenige Minuten später sieht sich Spillermann durch die Höllenpforte gehen. Und es ist einfach toll hier unten. Schon nach kurzer Zeit hat er sich angefreundet mit Prinzessin Diana, Karl Marx und so ca. 8 Päpsten. Es war perfekt. Sogar Gott schaut ab und an mal vorbei zu einem Elvis Konzert oder einem Fussballspiel PSG - ManCity. Er will hier nie wieder weg.. und plötzlich...

"..god bless the hell... god bless..the ....Gott schütze die Hölle... "

Spillermann öffnete die Augen, er war schweissgebadet. Zuerst wusste er gar nicht wo er war, doch dann erkannte er nach und nach sein Wohnzimmer. Der Fernseher hat sich automatisch abgeschaltet. Draussen begann es schon zu dämmern. Irgendwie fühlte er sich heute gut.

Mist! Es war so schön in seinem Traum. Und jetzt? Missmutig schaute er in sein Notizbuch: 9.30 Uhr Müller, Platanengasse 6 , Strom abklemmen
10 Uhr , Fiedler, Gerhardstrasse 43 , Strom anstellen. Forderung bezahlt. 10.20 Uhr Tobster, Kirchengasse 66, Kundengespräch wegen Wechsel des Stromanbieters.
Er strich sich noch etwas gedankenverloren über die Haare, vielleicht war es ja gar nicht so schlecht dass er noch hier auf der Erde war. Immerhin hatte er so die Gelegenheit , vielleicht noch irgendwann mal eine richtige Heldentat zu vollbringen. Nur sicherheitshalber. Damit er später auch wirklich in die Hölle kam.

Er stand auf, schlurfte Richtung Küche. Der Küchenschrank stand einen Spalt weit offen. Aus dem Inneren vernahm Spillermann ein leises Geräusch.. einem Schmatzen ähnlich - und ein sonderbares kichern...

"Kackspatz verdammter, jetzt bist du dran!!"