"Over the land of the free, and the home of the brave".
Während dieser, meist emotional vorgetragenen, letzten Zeilen der amerikanischen Nationalhymne vor NBA Spielen, senkt Taj Gibson den Kopf gen Boden. Seine Augen sind geschlossen, und er ringt jedes Mal aufs neue mit den Tränen, bevor das Spiel beginnt. In diesem Moment betet er für seine drei besten Freunde, sagt ihnen wie sehr er sie vermisst und versucht sie in seinem Herzen mit raus auf den Court zu nehmen, damit sie dort bei ihm sind, auch wenn sie es sonst nicht mehr sind.
Wir alle haben Menschen, die in unserem Leben einen solch prominenten Platz einnehmen, dass wir uns nur schwer vorstellen können ohne sie zu leben. Wenn wir leiden, wollen wir sie an unserer Seite haben, um Mitgefühl zu erfahren. Wenn wir Erfolg haben, oder wie Taj Gibson seinen Traum in der NBA leben, wollen wir das mit ihnen genießen.
Einen besten Freund zu verlieren, muss hart sein, aber alle drei wichtigen Personen zu verlieren, scheint unvorstellbar. Taj Gibson hat diese Erfahrung machen müssen und es prägt ihn jeden Tag aufs neue.

Stimmen auf der Mailbox

Als Gibson in Spiel 1 der Conference Finals gegen Miami mit zwei spektakulären Dunks Aufsehen erregte und danach mit seinen Bulls vier herbe Niederlagen in Serie und somit das Playoffs Ausscheiden kurz vor den Finals einstecken musste, wollte er nichts lieber tun, als seine Freunde anzurufen.
Nach den Spielen schaute er auf sein Handy "und ich wusste nicht, wen ich anrufen sollte", sagt Gibson heute.
Alles was ihm bleibt sind alte Nachrichten auf der Mailbox, die ihm seine Freunde hinterließen und die er jetzt nicht löschen will, um sich an ihre Stimmen erinnern zu können.
Dabei war im vergangenen Sommer noch alles gut gewesen für Gibson und seine Kindheitsfreunde. Taj ging in seine erste Off-Season und hatte eine überraschend starke Rookie Saison gespielt. Nun kehrte er nach Brooklyn zurück um den Sommer mit seinen Freunden zu verbringen.
"Wir gingen schwimmen, trainieren und Basketball spielen. Es hat Spaß gemacht", erinnert sich der Bulls Forward.
Besonders viel Zeit verbringt er mit Tremaine Patterson und verabredet sich mit ihm für die Woche nach den ersten Bulls Trainings zur neuen Saison. Als Gibson sich auf den Weg nach Brooklyn für seine Verabredung mit Patterson machen will, erreicht ihn ein Anruf seiner Schwester. Sie erklärt ihm, dass Tremaine tot sei. Erschossen vor seinem Appartment, wo er, scheinbar unbeteiligt, in den Schusswechsel eines Streits gerät.



Gibson macht sich auf den Weg zur Beerdigung und verspricht seinem besten Freund Charles Wynn sich Zeit für ihn zu nehmen, um gemeinsam darüber hinwegzukommen. Er trifft Vorkehrungen um sich knappe vier Wochen später mit Wyatt in Las Vegas zu treffen. Nachdem er dort gelandet ist, wartet er auf seinen Freund, als wieder sein Handy klingelt. "Ich denke noch er kommt, als meine Mom anruft und mir sagt, dass Charles erschossen wurde", erinnert sich Gibson. Nach Angaben des Bulls Forwards, wurde Wyatt, nachdem er in einem Prozess ausgesagt hatte, vor einem Haus per Kopfschuss geradezu hingerichtet. Fast Wyatts ganze Familie sei durch Waffengewalt gestorben und Gibson trauert mit Wyatts Mutter, die nicht nur ihren zweiten Sohn verlor, sondern für Gibson "wie eine zweite Mutter ist".

Zu Ehren der Gefallenen

Er muss in dieser Phase seelisch am Ende gewesen sein, doch lässt er sich zum Start des Bulls Training Camps nichts anmerken, um seine Mitspieler nicht mit persönlichen Problemen zu belasten. Doch es kommt noch schlimmer, denn Taj erfährt nicht lange nach Beginn des Camps vom Verschwinden eines dritten Freundes, von dem bis jetzt jegliche Spur fehlt. Auch er verschwand in einem Teil New Yorks, wo Waffengewalt an der Tagesordnung ist.

Mit diesem dritten, unglaublichen Schicksalsschlag innerhalb von 6 Wochen wird Gibson nicht fertig. Er schläft nicht, trainiert schwach, ist geistig abwesend und lässt sich komplett hängen.
Als er teilweise Bälle nicht mehr fängt und sie einfach gegen seinen Körper prallen, da er mit den Gedanken so abwesend ist, kümmern sich die Chicago Bulls um einen Therapeuten für Gibson.
Mit dessen Hilfe arbeitet er das Geschehen und das selbst für Außenstehende völlig Unbegreifliche auf. Was tut ein Mensch, wenn ihm sein persönliches Umfeld so gewaltsam und plötzlich genommen wird? Wie kann man mit einer solchen Tragödie fertig werden?Sicher ist das Leben für Sportstars einfacher, doch vor den Schmerzen des Lebens, schützt auch der Erfolg nicht.
Taj Gibson hat seine Freunde verloren, doch nicht den Lebensmut. Gibson hat den Weg zurück gefunden und kümmert sich heute beispielsweise um einen Highschool Spieler, den vorher sein Freund Charles betreut hat. Sorgt dafür, dass er genug Geld für Nachhilfe und Sportkleidung hat.
Er folgt nun dem Rat einer seiner Trainer, Adrian Griffin, der ihm in dieser schweren Zeit Halt gab.
Vor jedem Spielbeginn schreibt er den Familien seiner Freunde eine SMS und spielt dann jedes Spiel, jede einzelne Minute, um seine gefallenen Freunde zu ehren. Und wer weiß, nachdem er sie bei der Hymne darum bittet, vielleicht sind sie mit ihm auf dem Court.