Man, was ist das für ein tolles Gefühl! Ich -- diesmal nicht nur gedankenverloren auf der Holzbank der Umkleidekabine sitzend , die Kollegen aufmunternd abklatschend..jedem von ihnen viel Glück fürs Spiel wünschend. Nein, heute ist alles anders. ICH werde heute mitspielen!
Vor 5 Minuten wars, als der Trainer plötzlich sagte: "Komm Stefan, zieh deine Sachen aus jetzt geht's los."

Die Worte klingen jetzt noch wundervoll,fast erotisch in meinen Gedanken nach. Nie hätte ich damit gerechnet. Weiss ich doch nur zu gut, dass mein Talent im Grunde nicht ausreicht für dieses tolle Team hier. Nun ja, andererseits sagt meine Mutter immer: Mein Problem ist, dass ich immer sehr selbstkritisch bin, auch mir selbst gegenüber. Und nun scheint sich das auch tatsächlich zu bewahrheiten. Ich bin stolz wie Bolle.. die Stollen meiner Fussballschuhe klacken bei jedem Schritt durch den Tunnel scheinbar lauter als alle anderen.. so kommt es mir jedenfalls vor. Und ich bin heiss... absolut fokussiert. Man kann sagen ich habe vom Feeling her echt ein gutes Gefühl.

Noch ca. 40 Meter bis zum heiligen Rasen.. das Raunen der 400 Fans im Stadion wird mit jedem Schritt deutlicher. Weiter vorne klatscht unser Trainer in die Hände : "Heute müssen wir gewinnen, alles andere ist primär! " dringt es lautstark an mein Ohr. Gänsehautsituation! ...vor allem wenn man weiss, wie unser Coach versucht hat die Mannschaft nach der echt dummen Pleite letzte Woche wieder aufzubauen. Er nahm das gesamte Team nach Abpfiff zur Seite und stellte klar: "Jungs, wir alle waren vor dem Spiel überzeugt davon dass wir gewinnen. Und so war auch euer Auftreten, zumindest in den ersten zweieinhalb Minuten..."

Eine tolle Ansprache war das... so kurz nach diesem grottigen Spiel hätte er auch komplett ausrasten können. Ich bin mir sicher er hat im Grunde gedacht: ""Ich bin immer noch am überlegen, welche Sportart meine Mannschaft an diesem Abend ausgeübt hat. Fussball war's mit Sicherheit nicht!" Aber er behielt das für sich...
Und dann die Auftritte vor der Presse! Unser Trainer liess keine Gelegenheit aus uns in Schutz zu nehmen: Sätze wie: "Meine Mannschaft ist 15 oder 16 mal ins Abseits gerannt. Das haben wir auch die ganze Woche geübt." oder "Wir wollten kein Gegentor kassieren. Das hat auch bis zum Gegentor ganz gut geklappt." liessen sämtliche Reporter mit weit aufgeklapptem Unterkiefer zurück. Bei der abschliessenden Pressekonferenz liess er dann mit dem Satz: "Den grössten Fehler, den wir jetzt machen könnten, wäre, die Schuld beim Trainer zu suchen." im Grunde keine Fragen mehr offen.

Das Training danach: Erstmal Waldlauf, okay dass hatte sich die Mannschaft redlich verdient. Danach alle im Kreis aufstellen und wieder gab es eine Ansprache: "Floh..du bist unser Stürmer. S.T.Ü.R.M.E.R!! und du bist inzwischen 694 Minuten ohne Tor. Das hat vor dir, glaube ich, nur Sepp Maier geschafft. Und überhaupt..Jungs! Erinnert ihr euch noch an den hart umkämpften Sieg vor 3 Wochen gegen die Südstädter? Würden wir jede Woche so spielen, wären unsere Leistungen nicht so schwankend! Ihr müsst einfach konzentrierter sein. Es ist doch einfach Fakt, wenn man erstmal das 0:2 kassiert, dann ist ein 1:1 nicht mehr möglich.
Seine Worte fegten wie ein Donnergrollen über den Platz. Keiner wagte auch nur einen Mucks zu sagen. Jeder schaute bedröppelt nach unten. Es sah irgendwie aus wie kollektives Grashalme zählen. Was niemand wusste: Schon zu diesem Zeitpunkt war dem Trainer klar, dass er MICH beim nächsten Spiel bringen musste. Den Floh - ja den, der dem Meier-Sepp Konkurrenz beim Tore schiessen machte - konnte er einfach nicht mehr aufstellen. "Wenn ich den Floh weiter aufstelle, glauben die Leute am Ende wirklich noch, ich sei schwul..." schoss es ihm immer wieder durch den Kopf. Die Sache war beschlossen. MEIN Platz im Team war beschlossen!

Heute nun in der Kabine -- vor 10 Minuten -- hielt unser Trainer eine flammende Rede. Jedes Wort erzeugte Zuversicht und Selbstsicherheit bei jedem einzelnen von uns.

"Leute, das Spiel letzte Woche müssen wir einfach abhaken. Solche Tage gibts eben. Zuerst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu. Heute ist es etwas ganz anderes! Wir haben gut trainiert. Klar fehlen uns 8 Punkte auf den Nichtabstiegsplatz aber wir dürfen jetzt nicht den Sand in den Kopf stecken. Und wir müssen das positive sehen: Unser heutiger Gegner soll ja auf alles treten, was sich bewegt - da hat unser Mittelfeld schonmal nichts zu befürchten!

Die Breite am Tabellenende ist dichter geworden. Wir haben also noch alle Chancen!"

Zustimmendes nicken überall.. Was keiner wusste: Zum gleichen Zeitpunkt fuhr dem Trainer im Grunde nur ein einziger Gedanke durch den Kopf: " Ich habe nie an unserer Chancenlosigkeit gezweifelt."

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Aber das alles spielt überhaupt keine Rolle. Es ist Samstag, kurz vor 14 Uhr ..die Sonne scheint , das kann ich genau sehen, jetzt wo es nur noch 10 Meter bis zum Ende des Spielertunnels sind . Die eine Hälfte des Platzes liegt im Schatten, die andere zeigt ihr saftiges Grün im gleißenden Sonnenlicht. Und ich bin glücklich. Endlich spielen! Endlich Fussball! Ich überquere die Aschenbahn ,mein Fuss betritt den wundervollen, weichen Rasen. Im Hintergrund höre ich noch einmal die Stimme unseres Trainers: "Wenn wir hier nicht gewinnen, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt." Ich lächle und denke bei mir: "Wenn ich mir irgendwann mal eine Sprüchesammlung anlege, dann muss DER unbedingt dort mit rein!"

Die Seitenwahl ist vollzogen, unser dunkelhäutiger Kapitän hat sie gewonnen, ich kann jetzt nicht beschwören ob das grad eben wirklich haargenau so war, aber ich glaube er zupfte den Schiedsrichter kurz am Arm und tuschelte ihm etwas ins Ohr. Ich stand dicht daneben und verstand so etwas ähnliches wie: " Man Schiri , wir Schwarzen müssen doch zusammenhalten!" ......
Sei es drum, jetzt ist es so weit. Der immer noch irritiert dreinschauende Schiedsrichter führt die Pfeife zum Mund ,schaut noch einmal auf seine Uhr und...........