NFL

Musterprofi, Revolutionär, Abrissbirne

Von Philipp Böhl
Lawrence Taylor war der letzte Defensivspieler, der es zum MVP brachte
© getty
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Mark Moseley, 1982

19. Dezember. Dichter Schneefall. Vier Sekunden sind noch zu spielen. Die Giants führen bei den Redskins mit 14:12. Die Redskins sind in Ballbesitz, der Ball ruht an der Line of Scrimmage, direkt dahinter steht Mark Moseley, selbst für damalige Verhältnisse ungewöhnlich, in einer Linie hinter dem Holder und dem Snapper. In seinem geraden Blickfeld hat der Kicker die Torstangen in 42 Yards Entfernung.

Mit einem schnurgeraden Anlauf und einem präzisen Kick entscheidet Moseley das Spiel für seine Redskins und ebnet den Weg zur ersten Playoffteilnahme seit sechs Jahren. Aber dieser Kick bedeutete weit mehr als nur den Sieg und das Verbessern der Redskins-Serie auf 6:1. Es war auch ein Kick in die Geschichtsbücher der NFL.

Evolution des Field Goals

Ein Kicker als MVP? Heute unvorstellbar - selbst wenn Rekorde aufgestellt werden, wie beispielsweise vergangene Saison durch Matt Prater mit seinem 64-Yard-Field-Goal gegen die Tennessee Titans. Moseley schaffte es trotzdem.

Der Football in den 80ern ist nur schwer zu vergleichen mit dem heutigen. So existiert in Sachen Career Field Goal Percentage nur ein Spieler, der in den 80er Jahren spielte und gleichzeitig in den Top 30 all time rangiert. Während Kicker es heute schaffen, über 90 Prozent der Field Goals ins Schwarze zu treffen, lagen die Werte damals weit darunter.

Moseley, der von 1970 bis 1986 in der NFL spielte, liegt in diesem Ranking beispielsweise auf dem 98. Platz - mit rund 65 Prozent Trefferquote. Neben dem allgemeinen Fortschritt in Sachen Athletik gibt es eine weitere Erklärung: "Erinnern Sie sich an den unglaublichen Untergrund im RFK's Field? Voller Matsch, das ganze Jahr über. Heute kicken die Spieler nicht mehr auf so schwerem Untergrund wie wir früher."

Doch auch die Technik wurde revolutioniert. So war Moseley noch einer der damals schon seltenen Straight On Kicker, also einem Placekicker, der einen schnurgeraden Anlauf auf den Ball nimmt. Bei der "Fußball-ähnlichen" Technik, die heutzutage gang und gäbe ist, läuft der Kicker von der Seite an und kann dadurch entschieden weiter sowie genauer kicken.

Moseleys Rekord-Jagd

Wie konnte ein solcher Straight On Kicker also den MVP-Award einstreichen? Man kann es eine Verkettung glücklicher Umstände nennen. Zunächst war er nämlich nicht einmal als Starting Kicker vorgesehen. Weil Rookie Dan Miller jedoch floppte, sprang Moseley ein und zeigte gleich im ersten Spiel eine starke Leistung. So war er es, der mit einem 48-Yard-Field-Goal den Ausgleich im vierten Viertel erzielte, um sein Team in der Overtime später sogar zum Sieg zu kicken.

Ab dem dritten Spieltag der durch einen Streik auf neun Wochen gekürzten Saison zog sich ein Schema wie ein roter Faden durch die Saison der Redskins: Das Team um Quarterback Joe Theismann brachte Moseley zwar immer wieder in Field-Goal-Range, verpasste es aber häufig, Touchdowns zu erzielen. Damit wurde es Moseley ermöglicht, dem Spiel seinen Stempel aufzudrücken.

Dem Kicker gelang sogar ein neuer Rekord: 21 Field Goals am Stück - ausgerechnet mit jenem Game-Winning Kick im dichten Schneefall gegen die Giants. Die "Washington Post" betitelte den Kick im Anschluss an die Partie als "einen der dramatischten Momente in der Redskins-Historie".

Das Team war damals tatsächlich auf Moseley angewiesen. Alleine der 12:7-Sieg in der Regular Season gegen St. Louis war symptomatisch: Die zwölf Punkte entstanden durch vier Field Goals - alle von Moseley getreten.

MVP-Wahl: Subjektive Entscheidung

Zwar lief nicht alles perfekt in der Saison, was die Quote von 16 aus 19 Extra-Punkten beweist, in einer kurzen Spielzeit trumpfte Moseley dennoch groß auf. Ein großer Aspekt, der am Ende zu seiner MVP-Nominierung führte, ist mit einem Stichwort zusammenzufassen: Clutchness. In den entscheidenden Momenten war Moseley zur Stelle und verhalf den Redskins am Ende zur ligabesten Bilanz von 8-1.

Dass so eine Wahl zum MVP zudem eine durchaus subjektive Entscheidung von Journalisten ist, wusste auch Moseley: "Ich glaube, dass, sobald ich nominiert wurde, ich so etwas Außergewöhnliches war, dass jeder für mich gestimmt hat." Dementsprechend überrascht war er anschließend über seinen Triumph: "Als man mir sagte, dass ich gewonnen hatte, war ich geschockt und sprachlos."

Dabei gab es nicht einmal eine Trophäe für den heute 66-Jährigen, der stattdessen nur noch alte, eingerahmte Zeitungsartikel als "Auszeichnung" behalten hat: "Leute fragen mich immer, ob ich ihnen meine Trophäe zeigen könne. Aber ich habe keine. Damals gab es noch keine und alles was ich habe, ist die Titelseite der 'Washington Post'", sagte er in einem "ESPN"-Interview.

"Zur richtigen Zeit am richtigen Ort"

Dennoch kann Moseley die günstigen Umstände sehr realistisch einschätzen: "Ich realisiere jetzt, wie viel Glück ich hatte, der einzige Kicker, der je nominiert wurde, gewesen zu sein - unabhängig davon, auch zu gewinnen. Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort."

Hinter Moseley landete in diesem Jahr Chargers-Quarterback Dan Fouts mit stolzen 320 Passing Yards pro Spiel. So viel gelang weder Ken Anderson, dem MVP von 1981, noch Joe Theisman, der die Auszeichnung 1983 erhielt. Auch das zeigt den Stellenwert von Moseleys Ehrung.

Eine weitere MVP-Nominierung gab es aber nicht mehr, trotz 161 Punkten in der darauffolgenden Saison. Vielleicht auch, weil das Thema Kicker als MVP bereits abgehakt war. "Keine Sensation - keine Wahl" schien die Devise zu sein. Und so ist Moseley bis heute der einzige Kicker, der je als MVP ausgezeichnet wurde.

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