"Ich will eine Ikone werden"

Von Bärbel Mees
Für den Österreicher Gregor Schlierenzauer gibt's in diesem Jahr häufig Grund zu jubeln
© Getty

Gregor Schlierenzauer ist bei Olympia das Zugpferd des extrem starken österreichischen Skisprungteams. Dabei ist er erst 20 Jahre alt. Für ihn jedoch kein Problem. Denn neben seinem unglaublichen Fluggefühl zeichnet ihn vor allem eine gnadenlose Zielstrebigkeit aus. Und der Wunsch, eine Ikone zu werden.

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Er ist erst 20 Jahre alt, aber bereits auf dem Weg, eine Ikone des Skispringens zu werden. Er ist seit Geburt auf dem linken Ohr taub, aber mit sieben gewonnenen Weltcups der erfolgreichste Skiflieger aller Zeiten. Er war noch nie bei Olympia, gehört aber für Vancouver zum engsten Favoritenkreis.

Er - das ist Gregor Schlierenzauer. Auf der einen Seite ein ganz normaler 20-Jähriger, der gerne Pasta, Pizza und Salat isst, Jack Johnson hört und seine Zeit mit Fotografie oder mit Freunden beim Poker, Billard, Golf oder Fußball verbringt. Auf der anderen Seite aber auch das Zugpferd der österreichischen Wintersportler, der Goldgarant für Olympia.

Alle Medaillenentscheidungen der Winterspiele

Doch er selbst stapelt tief, möchte die Erwartungen an ihn selbst klein halten. "Unser Team ist sehr ausgeglichen, da hat niemand einen Fixplatz. Der Olympiasieg ist mein Kindheitstraum, aber damit er sich erfüllt, muss einfach alles zusammenspielen. Es ist zwar ein gutes Gefühl, zu wissen, dass ich auf der Schanze schon gewonnen habe, kaufen kann ich mir jedoch nichts davon. Die Karten werden jedes Jahr neu gemischt, auf Vergangenem darf man sich nicht ausruhen", sagt Schlierenzauer bescheiden.

Vom Fußball zum Skispringen

Seine rasante Karriere spricht aber für mehr als nur eine Medaille in Vancouver. Mit neun Jahren nimmt ihn ein Fußball-Freund mit zum Skispringen. Es ist Sommer und sie springen auf Matten. Schlierenzauer ist sofort infiziert.

"Im September 1999 trainierte ich erstmals auf einer Mattenschanze, seitdem ist Skispringen eine Sucht für mich", erzählt er in einem Interview mit "Red Bull" von seinen Anfängen. Der Grundstein für seine Karriere ist gelegt.

Er tritt in den SV Innsbruck-Bergisel ein, besucht später das Skigymnasium Stams. Dort trifft er auch auf Werner Schuster. Er wird sein Mentor - und später der Bundestrainer der Deutschen.

Ein Schritt, der dem jungen Schlierenzauer wehtut. Inzwischen aber stimmt die Harmonie zwischen beiden wieder. Regelmäßig sehen sie sich an der Schanze, wenn Schlierenzauer Schusters Team in Grund und Boden springt. Trotzdem: Schuster hält noch immer große Stücke auf seinen ehemaligen Schützling.

Schuster: "Arbeit mit Gregor ein Privileg"

"Er versteht es aufgrund seiner hervorragenden Feinkoordination wie kein anderer, seine Rohkraft umzusetzen. Das geht wie selbstverständlich über in die Flugphase, in der er durch sein Gefühl noch einmal viel steuern kann", sagt Schuster Anfang dieses Jahres im "Standard".

Lobende Worte. Schuster gibt aber auch zu: "Die Arbeit mit Gregor war ein Privileg, aber auch nicht immer ganz einfach. Wir waren oft nicht einer Meinung. Er ist ein Sportler, der seinen Trainer aufs Äußerste fordert, der auch widerspricht. Und er war erstaunlich selbstkritisch für sein Alter. Er war nie zufrieden. Aber er hat andere nie spüren lassen, wie gut er ist."

2006 bei der Junioren-WM in Kranji kam Schlierenzauers Durchbruch. Als Favorit wurde sein Freund Mario Innauer gehandelt. Schlierenzauer selbst war verunsichert. Die Saison war nicht so gelaufen, wie er es sich vorgestellt hatte. Zu unkonstant seine Leistungen, zu unperfekt seine Sprünge. Und doch: Er zaubert, ist auf den Punkt fit und holt zweimal Gold.

Rasant geht es bergauf

Ab diesem Zeitpunkt ist der Groschen gefallen. Im selben Jahr debütiert er im Weltcup der Großen und landet bei seinem ersten Springen mit Platz 24 in den Punkterängen. Vier Weltcups gewinnt er in seiner ersten Saison und setzt in Sapporo mit WM-Gold im Team noch eins drauf.

Er ist nun eine feste Größe im Skisprungzirkus. In der folgenden Saison gewinnt er sechs Weltcups, inklusive der beiden Flug-Wettbewerbe in Planica. Das Fliegen hat es ihm sofort angetan. Bei seiner ersten WM holt er Doppel-Gold - er ist bis heute der erfolgreichste Skiflieger aller Zeiten.

Doch die erfolgreichste Saison steht ihm noch bevor: 2008/09 räumt Schlierenzauer die Pokale quasi im Alleingang ab. Bei 13 Weltcups steht er ganz oben auf dem Stockerl und bricht damit den Rekord seines Idols Janne Ahonen.

Überhaupt: Rekorde zermalmen kann er. Er landet in dieser Saison 20 Mal auf dem Podest, gewinnt sechsmal in Folge und holt sich mit 2083 Punkten den Gesamtweltcup. Vier langjährige Rekorde zerbröseln in ein paar Monaten.

Trauma Vierschanzentournee

Und doch hat er noch nicht alles gewonnen. Ein Sieg blieb ihm auch in dieser Saison verwehrt: Der erste Platz bei der Vierschanzentournee. Schon mit 18 wurde er als Anwärter auf den Sieg gehandelt. Eine der wenigen Erwartungen, die er nicht erfüllen konnte.

"Es ist lässig und auch irgendwo eine Würde, hier auch Favorit zu sein. Für mich ist die Tournee eines der größten Highlights, die man als Skispringer haben kann", sagte er 2008 vor dem ersten Springen der "Welt".

Doch es wird nur der dritte Platz. Wolfgang Loitzl schnappt ihm den Sieg vor der Nase weg, dieses Jahr ist es Andreas Kofler. Beide Male Teamkollegen, beides Athleten, die er im Weltcup so oft ohne Probleme hinter sich lässt.

"Dieser Wettkampf war eine brutale Herausforderung für mich. Natürlich war ich über die Niederlage enttäuscht, aber ich bin davon überzeugt, dass mich diese Erfahrung irgendwann stärker machen wird", resümiert Schlierenzauer anschließend in den "Salzburger Nachrichten".

Ambitionen und Selbstkritik

Was ihn so stark macht, sind nicht nur seine körperlichen Voraussetzungen und ein angeborenes Fluggefühl, sondern auch eine für sein junges Alter erstaunliche Reife und gnadenlose Zielstrebigkeit. Er weiß, was er will. Und er weiß, wie er es bekommt.

"Das Ziel ist es, irgendwann mal eine Ikone zu sein. Sich weiterzuentwickeln ist die große Herausforderung. Ich glaube, es gibt immer irgendetwas zu verbessern", verkündete er in der "Süddeutschen Zeitung". Ambitionierte Ziele gepaart mit Selbstkritik machen ihn mental so stark. Toni Innauer nennt ihn gar ein "nie dagewesenes Talent".

Gecoacht vom Onkel

Abgehoben ist Schlierenzauer abseits der Schanze dennoch nicht. Gecoacht wird er von seinem Onkel Markus Prock, immer wieder zurück auf den Boden geholt von seiner Familie.

"Ich habe zum Glück viele Leute im Hintergrund, die mich auf dem Boden der Tatsachen halten. Vor allem meiner Familie habe ich viel zu verdanken. Zu Hause kann ich perfekt abschalten", sagt Schlierenzauer.

Und weil einem Schlierenzauer die Erfolge auf der Schanze nicht reichen, versucht er sich nebenbei auch noch als Designer. Style ist ihm wichtig, deshalb hat er sein eigenes Mode-Label gegründet. "GS" heißt es und die ersten Bekleidungsstücke sollen noch vor Vancouver auf den Markt kommen. Olympia und sein Label gleichzeitig unter einen Hut zu bringen, ist für einen Schlierenzauer nämlich kein Problem, sondern lediglich ein kleiner Schritt auf dem Weg zur Ikone.

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