Stan ist the Man of New York!

Von Jannik Schneider
Stan Wawrinka sichert sich mit den US-Open seinen dritten Grand-Slam-Titel
© getty

Stan Wawrinka ist auch in New York aus dem langen Schatten des Schweizer Maestros Roger Federer hinausgetreten. Der 31 Jahre alte Eidgenosse bezwang in einem mitreißenden Finale Titelverteidiger Novak Djokovic nach 3:55 Stunden 6:7 (1:7), 6:4, 7:5, 6:3 und triumphierte erstmals in seiner Karriere bei den US Open.

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Stan Wawrinka (SUI/3) - Novak Djokovic (SER/1) 6:7 (1:7), 6:4, 7:5, 6:3

"Immer versucht. Immer gescheitert. Egal. Versuch es wieder. Scheitere wieder. Scheitere besser." Das Zitat des irischen Autors Samuel Beckett prangt seit einigen Jahren als Tattoo auf dem Unteram von Stan Wawrinka und gilt als Lebensmotto des Schweizers. Und das kann er auf seine älteren Tennistage immer besser für sich nutzen.

Der Vier-Satz-Erfolg gegen den am Ende angeschlagenen Weltranglistenersten Novak Djokovic war der bereits dritte Grand-Slam-Erfolg des mittlerweile 31-Jährigen. 2014 gewann er die Australian Open, vergangenes Jahr die French Open (ebenfalls gegen Djokovic).

Dabei hatte Djokovic eigentlich den besseren Start, ließ sich auch von einem Rebreak nicht irritieren und gewann den Tiebreak des ersten Durchgangs erstaunlich souverän mit 7:1.

Danach steigerte sich Wawrinka und erhöhte die Quote bei eigenem Aufschlag. Djokovic hatte vermehrt mit sich selbst zu tun. Erst mit den eigenen Emotionen und Zwiegesprächen mit seiner Box, gegen Ende der Partie mit Adduktorenproblemen und blutigen Blasen an den Füßen.

"Hard-Hitter" Wawrinka beeindruckte mit einer Länge und Konstanz in seinen Grundlinienschlägen und verwandelte nach 3:55 Stunden seinen zweiten Matchball.

Die Reaktionen:

Novak Djokovic "Gratulation an Stan. Du hast heute mehr Mut gehabt in den entscheidenden Momenten. Ich denke, ich kann auch für Stan sprechen. Wir haben heute ein überragendes Match abgeliefert."

Stan Wawrinka: "Novak ist für mich immer eine Inspiration gewesen. Ich stehe heute auch deshalb hier, weil es Ihn gibt. Ich habe nicht viel erwartet, als ich hier heute den Platz betreten habe. Ich habe die vergangenen zwei Wochen so viel Tennis gespielt. Ich fühle mich jetzt auch etwas leer. Vielen, vielen Dank auch an mein Team. Danke, dass Ihr mich als den Menschen akzeptiert, der ich sein möchte. Und auch ein großes Danke an die Fans."

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Der Spielfilm:

Satz 1

Djokovic sucht in den Ballwechseln seines ersten Aufschlagspiels schnelle Punktgewinne, doch das nicht fehlerlos. Für die Führung reicht es dennoch. Wawrinka streut in seinem Aufschlagspiel drei Vorhandfehler ein - auch dank starker Defensivkünste des Djokers - und wird gebreakt! Danach erhöht der Weltranglistenerste mit einem Zu-Null-Spiel auf 3:0. Jetzt rückt Wawrinka vermehrt ans Netz und erzielt seinerseits seinen ersten Spielgewinn. Doch mit insgesamt 10 Unforced Errors nach 17 Spielminuten kann er den Serben nicht gefährden - 4:1. Das nächste Service Game des Schweizers gewinnt dieser fast ohne ersten Aufschlag. Beim Stand von 5:2 wehrt Stan zunächst zwei Satzbälle ab. Mit je einem Rückhand- und Vorhand-Longline-Winner hält der Schweizer doch noch seinen Aufschlag. Das scheint der Nummer Drei der Setzliste Selbstvertrauen eingehaucht zu haben, Wawrinka erspielt sich drei Breakmöglichkeiten und nutzt die Letzte dank eines Doppelfehlers des Serben. Der Satz geht in die Verlängerung, auch weil Djokovic seine Lockerheit verliert. Im Tiebreak steht der Serbe wieder viel näher an der Grundlinie und startet mit einem Minibreak. Danach folgt mit einer 19 Schläge andauernden Rally der Ballwechsel des Satzes mit dem besseren Ende für den Schweizer. Doch der Djoker zeigt sich nicht beeindruckt und lässt keinen weiteren Zähler mehr zu - der erste Durchgang geht mit 7:6 an Djokovic.

Satz 2

"Tell me something", ruft Wawrinka gleich zu Beginn des Satzes seinem schwedischen Coach Magnus Norman zu. Verzweiflung? Noch nicht. Stan hält sein Service und erhöht deutlich die Quote seines ersten Aufschlags. Djokovic dagegen wackelt, bringt zwischenzeitlich nur 33 Prozent erster Aufschläge ins Feld. Nach einem Doppelfehler und einer Wahnsinns-Rückhand von Wawrinka kassiert der Serbe das Break - wenig später steht es 4:1 aus Sicht des Schweizers. Doch genau wie Wawrinka in Satz eins gelingt auch dem Serben das Comeback zum 4:4. Nur, um dann wieder gebreakt zu werden. Den zweiten Satz, auf wirklich hohem Niveau, sichert sich der Schweizer mit 6:4.

Satz 3

Der dritte Durchgang startet mit der bisher längsten Rally (28 Schläge) des Finals mit dem besseren Ende für Djokovic, der sich anschließend zwei Breakbälle erspielt. Stan wehrt diese - natürlich mit einem Rückhandwinner - ab und feuert sich nach einem weiteren Punkt lautstark mit einem "Come On" an. Danach nimmt er dem Serben den Aufschlag ab und geht 3:0 in Führung. Der Djoker ist nun mehr in einen Monolog mit seiner Betreuerbox als auf das Spielgeschehen fokussiert. Mit einer Leistungssteigerung verhindert der Serbe jedoch das 0:4, 15 Minuten später steht es 3:3 - Irre, wie hier die Führungen wechseln. Das zehnte Spiel wird zum Marathon-Spiel, ein Break liegt in der Luft. Doch Wawrinka behält mit starken Aufschlägen - zumeist auf den Körper - die Nerven. Bei 6:5 und 15:30 aus Sicht von Wawrinka korrigiert der Schiedsrichter mutig aber korrekt einen aus gegebenen Ball des Schweizers. Der Djoker muss über Einstand gehen und zeigt Nerven. Stan Wawrinka erspielt sich hier tatsächlich Satz drei mit 7:5 - Wahnsinn!

Satz 4

Die Nummer drei der Setzliste nimmt den Schwung mit in Satz vier. Bei einem Vorhandschlag verletzt sich Djokovic leicht im Adduktorenbereich. Bis er sich wieder stabilisiert hat, ist das Aufschlagspiel futsch. Danach werden die Bewegungen des Serben immer unrunder. Djokovic lässt spontan den Physiotherapeuten rufen. Etwas zu spontan nach Meinung des Schweizers, der sich lautstark beim Unparteiischen beschwert. Die Behandlungspause findet dennoch statt. Djokovic klagt über blutige Blasen an beiden Füßen, die getaped werden. Besser werden seine Abläufe danach nicht. Aber der Rhythmus von Wawrinka ist dahin, er muss sich folgerichtig mehrerer Breakchanchen erwehren. Doch Stan beißt sich durch und hält den Abstand. Bei 5:3 und eigenem Aufschlag vergibt der Schweizer zunächst einen Matchball und ergattert sich mit überragenden Grundlinienschlägen einen weiteren Championship-Point - und der sitzt.

Schlag des Spiels:

Könnte zwar als einfallslos durchgehen, aber: An der einhändigen Rückhand von "Stan The Man" durften sich die 22.000 Zuschauer auch im US-Open Finale immer wieder erfreuen. Der Schlag an sich, vor allem longline, ist schon eine Wucht. Aber am Sonntag konnte sich der Schweizer in den brenzligen Situationen stets auf seinen Paradeschlag verlassen.

Ballwechsel des Spiels:

Den liefern sich die beiden Weltklasse-Athleten bereits im Tiebreak des ersten Satzes. 19 Mal fliegt die Filzkugel mit einer unglaublichen Intensität über das Netz des Centre Courts in New York mit dem besseren Ende für den Schweizer. Es bleibt jedoch der einzige Punkt, der Serbe holt sich den ersten Durchgang. Den Ballwechsel des Finals verbucht aber Wawrinka für sich - zweieinhalb Stunden später dann ebenfalls den Titel.

So liefen die Halbfinals bei den Herren

Das fiel auf:

  • Djokovic, der im Tiebreak des ersten Satzes mental und spielerisch überzeugte, ließ ansonsten ungewohnt viele Breakmöglichkeiten ungenutzt. Bereits Mitte des dritten Durchgangs hatte er bereits 11 Chancen, nutzte davon aber lediglich zwei - Am Ende waren es 3 von 17 (Wawrinka 6 von 10). Über die gesamten US Open verteilt wehrte der Schweizer 78 Prozent der Breakmöglichkeitern gegen ihn ab. Am Sonntag waren es bärenstarke 82 Prozent.
  • Der Weltranglistenerste aus Serbien verlor nach gutem Start zunehmend den Fokus. Zeitweise steckte Djokovic mehr Energie in Gespräche und böse Blicke mit seiner Box als in sein Spiel. Aus diesem Ironiemodus befreite er sich nie mehr so richtig. Die letzten Extra-Prozent fehlten in den entscheidenden Momenten des dritten Durchgangs.
  • Wawrinka präsentierte sich wie schon im Halbfinale gegen Kei Nishikori als Spätstarter. Vor allem beim ersten Aufschlag haperte es zu Beginn noch gewaltig - nur 49 Prozent der ersten Aufschäge fanden im ersten Satz überhaupt das T-Feld. Die Quote steigerte er in den folgenden Sätzen zwischenzeitlich auf fast 70 Prozent und insgesamt trotz des schlechten ersten Durchgangs auf ordentliche 56 Prozent. Immer wieder feuerte er sich lautstark nach guten ersten Services an und öffnete auch mit dem zweiten Aufschlag hervorragend das Feld für seine harten Grundlinienschläge.
  • Die Ruhe und Ausgeglichenheit, mit der Wawrinka sein drittes Grand-Slam-Finale bestritt. Nur zweimal, zu Beginn des zweiten Satzes ("Tell me something" zu Coach Norman) und nach der Verletzungspause von Djokovic, verlor er kurzzeitig den Fokus. Spürbar das Selbstverständnis und das Selbstvertrauen nach zuletzt zehn (!) gewonnenen Finals am Stück. Der US-Open-Titel war zudem sein dritter Grand-Slam-Erfolg im dritten Finale. Eine unvorstellbare Statistik, wenn man an den jungen Stan Wawrinka denkt.

Die Weltrangliste der Herren im Überblick

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