Vom Hinterradlutscher zum Toursieger

Von Torsten Adams
Das Podium der Tour de France 2011: Cadel Evans (M.), Andy Schleck (l.) und Fränk Schleck
© Getty
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Szenen, Entdeckungen, Helden und Missverständnisse

 

Die Szene der Tour: Thomas Voeckler

Keiner leidet so schön wie er, keiner liegt in der Gunst der Franzosen so weit oben wie der 32-Jährige, und keinen Namen sprechen die Gastgeber mit solcher Inbrunst und Enthusiasmus aus wie den von Thomas Voeckleeeeeer. Der Elsässer legte in den vergangenen drei Wochen die Tour seines Lebens auf Frankreichs Straßen. Okay, erst durch das Sturzpech der anderen kam er auf der Etappe nach Saint-Flour phasenweise sieben Minuten von den Verfolgern weg und später in den Genuss, das Gelbe Trikot zu tragen und zu verteidigen. Aber egal. Voeckleeeeeer beendete die Tour auf dem vierten Platz - so gut war noch kein Franzose in diesem Jahrtausend.

Was? Du warst nicht ganz zufrieden mit Deinem Abschneiden? "Ja, das stimmt. Ich bin ein wenig enttäuscht, denn nach meinen zehn Tagen in Gelb habe ich davon geträumt, in Paris auf das Podium zu kommen", sagte Voeckleeeeeer. Aber Moment, es hätte beinahe auch alles anders kommen können. Denn auf der Schlussabfahrt der 17. Etappe hatte er seine liebe Müh' und Not mit dem Parcours. Zunächst versteuerte sich Voeckleeeeeer und fand sich fast im Wald wieder. Und nur wenige Sekunden später legte er einen unfreiwilligen Ausritt auf die Terrasse eines Wohnhauses hin. Nichts passiert, Gott sei Dank. Und deshalb klopften sich die Radsportfans vor Lachen auf die Schenkel. Denn sie sind dank der TV-Bilder einer Helikopter-Kamera live dabei.

 

Die Entdeckung der Tour: Pierre Rolland

Den Franzosen nahm man erst so richtig wahr, als Teamkollege Thomas Voeckler im Gelben Trikot fuhr. Als Edelhelfer wich Rolland seinem Kapitän selbst an den steilsten Rampen nicht von der Seite. Und man hatte den Eindruck, dass der in Gien in Zentralfrankreich geborene Rolland durchaus hätte noch schneller fahren können. Erst auf der 19. Etappe erlaubte ihm Voeckler, auf eigene Kappe zu fahren. Und das tat er. Am Schlussanstieg hinauf nach Alpe d'Huez attackierte Rolland und ließ in einem packenden Finale die spanische Allianz aus Alberto Contador und Samuel Sanchez verdutzt stehen.

Kein Wunder, denn Rolland hatte sich akribisch auf die Etappe vorbereitet. In einem Trainingslager war er zehn Mal hinauf zur legendären Skistation geklettert. "Weil ich den Anstieg so gut kannte, wusste ich ganz genau, wo ich in welchem Gang fahren musste", erklärte er nach dem größten Erfolg seiner Karriere. Damit nicht genug: In Paris beendete er die Tour als Gesamtelfter und sicherte sich auch noch das Weiße Trikot des besten Jungprofis. Und wer weiß, was er im Gesamtklassement noch hätte ausrichten können, wenn er nicht Tag für Tag an der Seite von Voeckler geblieben wäre. Denkt sich auch Leopard-Teamchef Brian Nygaard: "Auf diesen Rolland müssen wir in den nächsten Jahren aufpassen."

 

Die Helden der Tour: Laurens Ten Dam und Johnny Hoogerland

Die Tour de France besteht nicht nur aus knallenden Champagnerkorken, strahlenden Siegen und hübschen Podiumshostessen. Bisweilen zeigt sie auch ihre hässliche Fratze. Vor allem die erste Tourhälfte war übersät mit teils brutalen Stürzen. Stellvertretend für die Winokurows, Klödens, Horners und van den Broecks geht der SPOX-Award für die Helden der Tour an die Niederländer Laurens Ten Dam und Johnny Hoogerland. Den einen zogen die irren Gravitationskräfte am Col d'Agnes in den Seitenstreifen, wo er nach einem Salto über den Lenker mit der Nase im Straßengraben bremste und anschließend mit acht Stichen an Lippe und Nase genäht werden musste. Ten Dams Kommentar am Start der nächsten Etappe: "Ich werde doch nicht wegen einer dicken Lippe die Tour beenden."

Den anderen flexte ein übermütiger Fahrer des französischen Fernsehens mit seinem Begleitauto von der Straße - direkt in den Stacheldrahtzaun neben der Fahrbahn. Nach dem Wechsel seiner komplett zerrissenen Rennhose und provisorischer Bandagierung seiner Schnittverletzungen stieg Hoogerland wieder auf seinen Bock und schaffte es ins Ziel. Am nächsten Tag stand der 28-Jährige wie durch ein Wunder wieder bei der Einschreibung. Mit gefühlten drei Quadratmetern Pflaster und 33 Nähten an seinen Beinen.

 

Das Missverständnis der Tour: Alberto Contador

Er war angetreten, um seinen dritten Toursieg in Folge zu holen. Gegangen ist er als Gesamtfünfter, mit fast vier Minuten Rückstand auf das Gelbe Trikot. Schon bevor Contador den ersten Kilometer zurücklegte, startete die Mission Titelverteidigung mit einem bösen Erwachen. Bei den Teamvorstellungen im pompösen Amphitheater von Puy du Fou wurden 197 Gladiatoren von den Zuschauern mit Beifall empfangen und gefeiert. Nur der Spanier erntete Pfiffe und wurde übel ausgebuht. Weiter ging es mit Stürzen auf der 1., 5., und 9. Etappe, die ihm bereits einen saftigen Rückstand bescherten.

Dem beeindruckenden Angriff auf dem Weg nach Gap folgte der Einbruch auf der Galibier-Etappe. Als das Gelbe Trikot schon lange außer Reichweite war, nahm ihm Spielverderber Rolland auch noch den Etappensieg in Alpe d'Huez weg. So blieb dem Pistolero nichts anderes übrig, als seinen Auftritt in Frankreich schönzureden: "In Anbetracht der negativen Faktoren - Stürze, Knieprobleme und dem harten Giro als nicht unbedingt ideale Vorbereitung - bin ich zufrieden." Merke: Giro und Tour in einem Jahr gewinnen kann nur Pantani. Da hilft es auch nichts, gegen in Grün gekleidete Ärzte aufmüpfig zu werden.

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