Vieles spricht für Klitschko

Von Norbert Pangerl
Im Head-to-Head hat Wladimir Klitschko (l.) deutliche Vorteile gegenüber David Haye
© Getty

Im wohl größten Schwergewichtskampf der letzten Jahre treffen am Samstag in Hamburg die beiden Weltmeister Wladimir Klitschko (IBF, WBO) und David Haye (WBA) aufeinander (22.30 Uhr im LIVE-TICKER). SPOX hat beide Kombattanten auf Herz und Nieren geprüft. Der Head-to-Head-Vergleich von Klitschko und Haye.

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In Wladimir Klitschkos Kampfrekord stehen 55 Siege (49 K.o.) und 3 K.o.-Niederlagen. Die letzte Niederlage kassierte der jüngere der Klitschko-Brüder aber bereits vor sieben Jahren. Seitdem ist er in 13 Kämpfen unbesiegt. Zehn davon konnte er vorzeitig gewinnen.

Auch David Hayes einzige Niederlage stammt aus dem Jahr 2004. Seitdem feierte der ehemalige Cruisergewichts-Weltmeister 15 Siege in Serie, 13 der Kämpfe entschied er vorzeitig für sich. Insgesamt verbuchte der Brite 25 Siege, von denen nur zwei über die volle Rundenzahl gingen.

Vorbereitung

Wie immer vor seinen letzten Kämpfen, schlug Wladimir Klitschko sein Trainingscamp im österreichischen Going auf. Sechs Wochen bereitete er sich dort gezielt mit seinem Team vor. "Das Training läuft super", bestätigte der Ukrainer beim öffentlichen Training vor einigen Wochen: "Ich fühle mich top, alles stimmt." Auch ließ er keinen Zweifel daran, dass er voll auf seinen Gegner fokussiert sei. "In meinem Leben dreht sich derzeit alles nur noch um diesen einen Menschen", sagte er, "mit Haye gehe ich schlafen, mit Haye stehe ich auf."

Doch auch David Haye hat ein intensives achtwöchiges Trainingsprogramm hinter sich. Für ihn sei es "die beste Vorbereitung" seiner Karriere gewesen. "Ich bin noch konzentrierter, als vor jedem anderen Kampf", sagte er dem "Telegraph Sport". "Ich wurde in diesem Camp neu belebt. Zum Teil, weil das Ende meiner Karriere in Sicht ist, zum anderen, weil ich weiß, dass dies die größte Herausforderung meines Lebens ist." Der Hayemaker wird also ebenfalls in Top-Verfassung in den Ring steigen, wie er selbst ankündigt: "Physisch war ich noch nie in einem besseren Zustand und psychisch bin ich besser vorbereitet als jemals zuvor." SPOX-Urteil: Unentschieden.

Erfahrung

Wladimir Klitschko kann auf eine äußerst erfolgreiche Amateur-Laufbahn zurückblicken, die er bei den Olympischen Spielen 1996 mit der Goldmedaille im Superschwergewicht krönte. Insgesamt bestritt er laut "Boxrec" 140 Amateurkämpfe, von denen er 134 gewann. Bei den Profis stand er 58 Mal im Schwergewicht im Ring und lieferte sich zahlreiche Schlachten mit einigen der besten Schwergewichtler seiner Zeit.

David Haye kann ebenfalls auf eine lange Amateurkarriere zurückblicken. 2001 holte er bei den Amateur-Weltmeisterschaften in Belfast die Silbermedaille im Schwergewicht. Im Finale unterlag er dabei Witali Klitschkos letztem Gegner Odlanier Solis. Bei den Profis hat Haye dagegen insgesamt nur 26 Kämpfe bestritten, davon wiederum nur fünf im Schwergewicht. Auch seine bisherige Gegnerschaft gehörte nicht zur Creme de la Creme. Daher lautet das SPOX-Urteil: Vorteil Klitschko.

Schlagkraft

Wladimir Klitschko hat Power in beiden Fäusten. Seine harte Führhand ist absolute Weltklasse und hat schon so manchen Gegner schwer verwundet. Auch seine Schlaghand wäre eine richtige Waffe, würde er sie häufiger einsetzen. In seinen letzten Kämpfen war dies allerdings nicht der Fall. Auch kamen viele seiner 49 Knockouts im Rekord erst, nachdem er seinen Gegner zermürbt hatte. Dennoch: Klitschko kann jeden Schwergewichtler - vielleicht mit Ausnahme von Granitkinn Oliver McCall - auf die Bretter schicken.

Auch David Haye braucht sich in Punkto Schlagkraft nicht zu verstecken. Seine K.o.-Quote (23 K.o. bei 25 Siegen) spricht eine eindeutige Sprache. Außerdem war er der Erste nach Gerald Nobles, der Nikolai Walujew ernsthaft verwunden konnte, ihn sogar zum Wackeln brachte. Auch der zweite Boxer, mit dem er über die vollen zwölf Runden musste, Ismail Abdoul, ist für seine hervorragenden Nehmerfähigkeiten bekannt, deshalb das SPOX-Urteil: Unentschieden.

Kinn

Dieser Punkt ist wohl der am kontroversesten diskutierte und könnte den Kampf am Samstag entscheiden. Beide Boxer mussten im Laufe ihrer Karriere bereits mehrmals zu Boden. Während Klitschkos erste Niederlage gegen Ross Puritty eher der Erschöpfung geschuldet war, fing er sich gegen Corrie Sanders und Lamon Brewster zwei lupenreine Knockouts ein. Auch bei seinen Siegen gegen DaVarryl Williamson und Samuel Peter fand er sich auf dem Ringboden wieder. Aus diesen Gründen wird Wladimir immer wieder ein Glaskinn zugeschrieben.

David Haye ist ebenfalls nicht für seine außergewöhnlichen Nehmerfähigkeiten bekannt und musste schon mehrmals auf die Bretter. Hinter seinem Kinn steht daher auch ein großes Fragezeichen. Da Klitschko seine Knockdowns, im Gegensatz zu Haye, allesamt gegen ausgewachsene Schwergewichtler einsteckte, lautet das SPOX-Urteil: Vorteil Klitschko.

Ausdauer

In seinen jungen Jahren neigte Wladimir Klitschko dazu, sich oftmals viel zu schnell zu verausgaben. Im Kampf gegen Puritty war er bereits vor dem Niederschlag stehend K.o. Mittlerweile hat er aber dazugelernt und weiß, wie er seine Kraft effektiv einteilen muss, um ohne Probleme die volle Distanz von zwölf Runden gehen zu können.

David Haye wurde bei seiner einzigen Niederlage bei den Profis gegen Carl Thompson ebenfalls das Opfer seines hohen Anfangstempos. Generell ging er in seinen Kämpfen erst zweimal über die volle Distanz. Zwar toppt Klitschko dies mit seinen drei Zwölf-Rundern nur knapp, beendete aber viele seiner Kämpfe erst im letzten Viertel. In Kombination mit seiner größeren Ringerfahrung liegt der Vorteil auf seiner Seite. SPOX-Urteil: Vorteil Klitschko.

Körperliche Verfassung

Von der Physiognomie ist Wladimir Klitschko seinem Kontrahenten überlegen. Mit 1,99 Meter ist er etwa acht Zentimeter größer als David Haye. Der gehört zwar mit seinen 1,91 Metern auch nicht zu den kleinsten Schwergewichtlern, hat aber gegenüber dem Ukrainer deutliche Nachteile.

Auch das Gewicht von Klitschko - er wog am Freitag mit 110 Kilogramm ein - ist eines stattlichen Schwergewichtes würdig. Darüber hinaus findet sich an Wladimirs Körper im Gegensatz zu vielen anderen Divisionskollegen kein Gramm Fett.

Haye ist derweil von seiner Fitness absolut überzeugt: "Es wird der Kampf des Jahrhunderts. Ich bin in der Form meines Lebens und habe Idealgewicht. Wladimir wird im Ring vor meinen Füßen liegen", sagte der Brite nach dem Wiegen. Dort brachte er nur 96,5 Kilogramm auf die Waage und passt damit schon eher ins Cruisergewicht, wo er ursprünglich herkommt. Auch bei der Reichweite (Haye 198cm, Klitschko 206cm) ist er deutlich unterlegen. Daher SPOX-Urteil: Vorteil Klitschko.

Fähigkeiten

Klitschkos technische Fähigkeiten sind ob seiner sportlichen Meriten unbestritten. Seine beste Waffe ist der Weltklasse-Jab, mit dem er die letzten Kämpfe durchweg dominierte. Doch auch seine Schlaghand ist Extraklasse. "David hat nie die Schlagkraft gezeigt, einen Mann vom Kaliber Klitschkos in den Rückwärtsgang zu zwingen", ist sich der ehemalige Schwergewichts-Weltmeister Mike Tyson im Gespräch mit "RTL" sicher und räumt dem Briten wenig Chancen ein: "Wir wissen, dass David Haye nicht hart genug schlägt, um den Respekt von Wladimir Klitschko zu bekommen."

Haye verfügt dennoch über ein ansehnliches Schlag-Arsenal und ist als Puncher bekannt. In Punkto Schnelligkeit liegt der Vorteil sogar beim Briten, der bedingt durch seine Statur explosiver zu Werke geht als der Ukrainer, der eher überlegt und methodisch agiert. Auch Hayes Hand-Speed und seine Beinarbeit sind besser als die von Klitschko. Im Infight ist der Brite ebenfalls gefährlich, weshalb Klitschko versuchen wird, diesen zu meiden.

Geht es um die Schlag-Genauigkeit, hat wiederum der Ukrainer die Nase vorne: Während Haye normalerweise viel und oft schlägt, wartet Wladimir ab, bis es sich tatsächlich rentiert. Insgesamt geht auch dieser Punkt an Klitschko, da er über die breitere Palette von Fähigkeiten verfügt. SPOX-Urteil: Vorteil Klitschko.

Mentale Stärke

Schon im Vorfeld versuchte David Haye immer wieder, Wladimir Klitschko durch gezielte Provokationen zu verunsichern. Neben einer gehörigen Portion Marketing dürfte dabei auch eine Rolle gespielt haben, dass Haye den normalerweise absolut coolen Klitschko soweit verärgern wollte, dass dieser im Ring sein taktisches Konzept über den Haufen wirft und sich von seinen Emotionen leiten lässt.

Vor dem Kampf hat Klitschko dem Briten diesen Gefallen nicht getan. Smart und ruhig wie eh und je hat er die teils geschmacklosen Aktionen Hayes ertragen und erklärt, er wolle seinen respektlosen Gegner lieber im Ring zerlegen. Auch hinsichtlich der unmittelbaren Vorbereitung in der Woche vor dem Kampf zeigte sich Klitschko deutlich lockerer als sein Gegenüber, der sich in Hamburg von den Medien fernhielt und ein Geheimtrainingslager organisierte. Beide scheinen mental für diesen Fight gerüstet, doch Haye machte den etwas dünnhäutigeren Eindruck. Deshalb SPOX-Urteil: Vorteil Klitschko.

Das Momentum

Der Druck, der auf beiden Fightern lastet, ist enorm. Seit Wochen und Monaten wird der "Schwergewichts-Kampf des Jahres" in den Medien angekündigt und kein Schritt der beiden Kontrahenten bleibt unbeobachtet. Beide haben in der Vergangenheit bewiesen, dass sie mit diesem Druck umgehen können, Klitschko öfter als Haye. Da Klitschko aber als großer Favorit ins Rennen geht und in der Vergangenheit um seine Anerkennung kämpfen musste, hat er deutlich mehr zu verlieren als David Haye, der eine große Klappe und ein noch größeres Ego in den Ring mitbringt.

Der 30-Jährige hat in seiner Karriere noch nicht das erreicht, was Klitschko vorweisen kann und ist deshalb hungrig, sich seinen Platz in den Box-Geschichtsbüchern zu sichern. Hier liegt der Knackpunkt, der zu Hayes Gunsten ausfällt: Während alle Welt erwartet, dass Wladimir Klitschko den Kampf dominiert und Haye "das Maul stopft", kann der Brite relativ befreit in den Kampf gehen. Gewinnt er, ist er der absolute Superstar. Verliert er, dann hat er halt gegen den besten Schwergewichtler seiner Zeit eine Niederlage eingesteckt - trotzdem kein Beinbruch. SPOX-Urteil: Vorteil Haye.

Fazit

"Mein Herz sagt David, mein Kopf sagt Wladimir" - so formulierte es der letzte uneingeschränkte Schwergewichts-Champion Lennox Lewis. Blickt man auf die einzelnen Kategorien, geht Wladimir Klitschko als haushoher Favorit in den Kampf. Aber nichts ist so sicher im Boxen, wie die Unsicherheit.

Ein Boxer kann einen Kampf zwölf Runden lang dominieren, um sich dann in der Schlussrunde den entscheidenen Schlag des Gegners einzufangen und K.o. zu gehen. Insbesondere im Schwergewicht. Über die Punkte wird David Haye den Kampf in Hamburg wohl nicht gewinnen können. Er benötigt einen K.o, und der ist ihm allemal zuzutrauen.

Für Wladimir Klischko gilt die Devise: Verlieren verboten. Wenn er Haye schlägt, wird er wohl auch vom letzten Kritiker als der beste Schwergewichtler seit Lewis angesehen und bekäme endlich den Respekt, der ihm als langjähriger Champion eigentlich gebührt.

Der Faktor Open-Air - und im speziellen das Hamburger Wetter - sollte beim Kampf keine große Rolle spielen. Die prognostizierte Regenwahrscheinlichkeit zu Kampfbeginn von 85 Prozent wird die beiden Boxer nicht beeinflussen. Ein Wellblechdach (25 mal 25 Meter) deckt den Ring komplett ab und durch die Lichtmasten um das Seilgeviert werden die kühlen Außentemperaturen von 14 Grad relativieren. Fraglich bleibt lediglich, ob der Westwind (25 km/h) sich auf die Boxer auswirkt, wobei das HSV-Stadion durch seine Enge dafür nicht anfällig sein sollte.

K.o.-Sieg Klitschko, Punktsieg Klitschko oder K.o.-Sieg Haye - in diesem Kampf ist alles drin, was das Boxerherz begehrt. Und obwohl die Prognose über den Kampfausgang schwierig ist, kann der Head-to-Head-Vergleich nicht ohne Ergebnis enden. In diesem Sinne lautet das SPOX-Urteil: K.o.-Sieg Klitschko.

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