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NFL Legendenserie - Emmitt Smith: Der vergessene Rekordmann

Von Leopold Grünwald
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Emmitt Smith war eines der Gesichter der großen Dynastie der Dallas Cowboys in den 90er Jahren und brach den scheinbar unantastbaren Rushing-Rekord von Walter Payton. Knapp 20 Jahre nach seinem Karriereende ist Smith jedoch in der Versenkung verschwunden - und wird bei der Frage nach dem besten Running Back der NFL-Geschichte oft unterschlagen. Wie konnte es dazu kommen?

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Die Geschichte der NFL lässt sich gut in Dynastien einteilen. Etwa die der Pittsburgh Steelers der 1970er oder die der San Francisco 49ers der 1980er. Und natürlich die der New England Patriots von Bill Belichick und Tom Brady im neuen Jahrtausend.

Aber keines dieser Teams hat wohl den Legendenstatus, wie ihn jene Mannschaften der Dallas Cowboys besitzen, die von 1992 bis 1996 gleich dreimal den Super Bowl gewannen und den Klub zu "America's Team" machten: zum Inbegriff von Exzellenz, Leistungsbereitschaft und Star-Power.

Die Top-Spieler lesen sich wie eine Aufzählung der Pro Football Hall of Fame: Quarterback Troy Aikman, Wide Receiver Michael Irvin, dazu die Defensive um Pass Rusher Charles Haley, die ab 1995 sogar noch durch Cornerback Deion "Primetime" Sanders verstärkt wurde.

Und schließlich das Herzstück der Franchise mit Running Back Emmitt Smith: der Spieler, der den scheinbar ewigen Rekord für Rushing Yards von Walter Payton (16.726) nicht nur brach, sondern mit unglaublichen 18.355 Yards damals sogar pulverisierte.

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NFL-Legende Emmitt Smith: Bei GOAT-Debatte eher stiefmütterlich behandelt

Smith ist einer von nur zwei Spielern in der Historie der besten Football-Liga der Welt - neben Receiver-Legende Jerry Rice - der nicht als Kicker eingesetzt wurde und trotzdem über 1.000 Punkte erzielen konnte.

Die Liste seiner Bestmarken und Ehrungen ist lang genug für einen eigenen Teppich vor seiner Büste in der Hall of Fame. Und trotzdem wird Smith, der nach absoluten Zahlen stärkste Running Back der NFL-Geschichte, oft vergessen, wenn über die Besten seiner Zunft gesprochen wird.

Beispiel gefällig? Als die Liga 2010 ihre 100 besten Spieler "aller Zeiten" kürte, landete der heute 54-Jährige nur auf Rang 28 - und damit deutlich hinter seinen Positions-Kollegen Barry Sanders (Nummer 17), Walter Payton (Nummer 5) und Jim Brown (Nummer 2).

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NFL-Legende Emmitt Smith: Langlebigkeit war seine große Stärke

Alles herausragende Spieler, die ohne Frage zu Recht weit vorn auf der Liste landeten und je nach persönlichem Gusto verdientermaßen als der Tom Brady der Running Backs gesehen werden können.

Dennoch ist es mehr als überraschend, dass Smith nicht höher eingestuft wird. Gerade weil er von 1990 bis 2004 durchgehend auf höchstem Niveau unterwegs war und mit Ausnahme von 2003 nie unter 1.000 Scrimmage Yards erzielte: Keine Selbstverständlichkeit auf einer Position, wo selbst Top-Stars oft nach wenigen Jahren ihre Karriere beenden.

Sanders etwa hatte nach zehn Jahren bei den Detroit Lions eines Morgens plötzlich die Nase voll, drehte auf dem Weg ins Training Camp um und rief in der Geschäftsstelle an, um mitzuteilen, dass seine Karriere zu Ende sei.

Auch Brown (9 Jahre) und Payton (13 Jahre) spielten deutlich kürzer, als Smith, der alleine 13 Saisons für Dallas die Football-Schuhe schnürte, bevor er seine Karriere noch zwei Spielzeiten bei den Arizona Cardinals ausklingen ließ.

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NFL-Legende Emmitt Smith: Kein Lautsprecher aber nicht ohne Kontroversen

Zwar wird Smiths Langlebigkeit oft als Grund angegeben, um seine unglaublichen Statistiken abzuwerten, aber das erklärt noch nicht, wieso der "All-Time Leading Rusher" in der Erinnerung nicht so richtig hängen bleiben will.

Denn Smith war zwar keine Zitate-Maschine wie die manchmal etwas großmäuligen Irvin oder Sanders, aber keineswegs frei von Kontroversen.

Als Rookie stellte er etwa 1990 mit seiner 48-tägigen Bestreikung des Training Camps wegen eines Disputs über die Länge seines ersten Vertrags einen damaligen Franchise-Rekord auf.

Und nachdem eine Einigung erzielt wurde, formulierte der First-Round-Pick direkt das Ziel, eines Tages die Rushing-Bestmarke der Bears-Legende Payton zu brechen: Eigentlich ein Eklat, bedenkt man, wo Neulinge in der Hierarchie des American Footballs stehen.

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NFL-Legende Emmitt Smith: Holdout zwingt Jerry Jones in die Knie

Streiks blieben ein Thema in der Karriere des Erstrundenpicks. Nachdem die Cowboys 1992 mit ihm als führendem Rusher der NFL den Super Bowl gewonnen hatten, kam es erneut zu Streitigkeiten um sein neues Arbeitspapier.

Da die Liga beschlossen hatte, sich ab 1994 eine Gehaltsobergrenze aufzuerlegen, weigerte sich Team-Eigentümer Jerry Jones lange, den Forderungen seines Superstars nachzukommen.

Erst als die Cowboys ihre ersten beiden Saisonspiele verloren hatten und die Kabine weiterhin zu Smith stand, knickte der Unternehmer ein und machte seinen Top-Star mit 13,6 Millionen Dollar über vier Jahre zum damals bestbezahlten Running Back der Liga. Den harten Hund Jerry Jones in Verhandlungen in die Knie zu zwingen? Durchaus Stoff für Smiths Mythos.

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NFL-Legende Emmitt Smith: Die MVP-Saison 1993

Nach der Beilegung der Streitigkeit setzte der Running Back seine überragenden Leistungen fort, die er seit Ankunft des neuen Offensive Coordinator Norv Turner zur Saison 1991 mit enormer Konstanz zeigte.

Unter ihm hatte Smith bereits zweimal den Rushing-Titel gewonnen und die Liga in Carries, also Läufen mit dem Ball, angeführt (1991: 414; 1992: 432)..

1993 gelangen ihm in nur 14 Spielen (13 von Beginn an) mit 283 Carries gleich 1.486 Rushing Yards, womit er zum dritten Mal in Serie die meisten Rush Yards aller Läufer gesammelt hatte. Das wurde mit der Auszeichnung zum wertvollsten Spieler der Spielzeit belohnt.

Als krönende Leistung der Saison und seiner gesamten Karriere gilt sein Auftritt im Finale der Regular Season gegen die New York Giants im Kampf um den Titel der NFC East.

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NFL-Legende Emmitt Smith: "Signature Game" gegen den Rivalen

In der ersten Hälfte der Partie kugelte sich der damals 24-Jährige die rechte Schulter aus, bestand aber darauf, wieder auf den Platz zurückzukehren.

Und wie: 32-mal für 168 Yards lief er mit dem Ball, fing zehn von zehn Pässen für weitere 61 Yards und einen Touchdown und führte die Cowboys zu einem 16:13-Sieg in Overtime über die Division-Rivalen aus dem Big Apple.

Ein Martyrium, dass als das "Emmitt-Smith-Game" bekannt wurde und der Protagonist selbst einmal bildlich beschrieb: "Jedes Mal, wenn ich getroffen wurde oder auf dem Boden aufschlug, hörte ich ein Krachen in meiner Brust und meiner Schulter. [...] Ich versuchte mich selbst davon zu überzeugen, dass ich keine Schmerzen spüre. Aber ich habe alles gespürt."

Mit dem immer noch angeschlagenen Smith erreichten die Cowboys zum zweiten Mal hintereinander den Super Bowl, wo erneut die Buffalo Bills warteten, die man im Vorjahr noch mit 52:17 abgefertigt hatte.

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NFL-Legende Emmitt Smith: 1993 - ein historisches Jahr

Buffalos hervorragend eingestellte Defense machte Dallas' Offensive in der ersten Halbzeit das Leben schwer, weshalb Cheftrainer Jimmy Johnson nach der Pause vollkommen auf Smith umstellte, der trotz Schmerzen in der Schulter 158 Scrimmage Yards und zwei Touchdowns einfuhr.

Die Cowboys drehten und gewannen das Spiel in seinem Fahrwasser, was dem 24-Jährigen die Ehrung als Super Bowl MVP einbrachte, wodurch er zum ersten und bis heute einzigen Running Back der NFL-Geschichte wurde, der in einer Saison zum MVP und Super Bowl MVP gewählt wurde - und im gleichen Jahr den Super Bowl und den Rushing-Titel holen konnte.

Allein für diese Spielzeit 1993 wäre ihm in anderen Städten vermutlich eine Statue errichtet worden.

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NFL-Legende Emmitt Smith: Exzellent ohne besonders zu sein

Im Kosmos von "America's Team" verliert sich der Leistungsträger hingegen hinter Charakteren wie Top-Receiver Irvin (Spitzname: "Playmaker") oder "Primetime" Sanders, die beide bis heute für ihre Extravaganz und ihre großen Töne bekannt sind.

Ebenfalls hinderlich dürfte die Anwesenheit des nach heutigen Maßstäben eher durchschnittlichen Quarterbacks Aikman gewesen sein, der durch sein Aussehen und Auftreten ein wichtiger Anschlusspunkt für das weiße Publikum der NFL war.

Selbst in der hyper-genauen Berichterstattung, die die NFL in den USA begleitet, blieb medial also nur wenig Platz für den Running Back, der den zutreffenden aber vielsagend langweiligen Spitznamen "Mr. Consistent" trug.

Wer sich Highlights von Smith anschaut, der sieht einen Spieler, der kaum zu Boden gebracht werden konnte, weil seine Gegenspieler aus unerfindlichen Gründen an ihm abprallten, abrutschten oder ihn gar nicht erst zu fassen bekamen.

"Als Rusher bin ich vielseitig: Ich kann dich über den Haufen rennen, ich kann dich austanzen, um dich rum- oder wenn es sein muss durch dich durchlaufen", beschrieb der heute 54-Jährige seinen Spielstil einmal selbst.

Er hatte alles - und doch fehlte ihm diese eine Eigenschaft, die ihn hervorhob: der Stiff-Arm eines Derrick Henry, die blitzschnellen Füße eines Sanders oder der vor Brutalität strotzende Power-Laufstil von Brown.

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NFL-Legende Emmitt Smith: Legendäre O-Line der Cowboys

Ein weiterer Faktor, der Smiths absolutem Legendenstatus geschadet haben dürfte, ist die überragende Blockarbeit, die er von einer der besten Offensive Lines der NFL-Geschichte um Guard Larry Allen und im Zusammenspiel mit Fullback Daryl Johnston erhielt.

"Moose", wie der legendäre Vorblocker genannt wurde, hielt "Mr. Consistent" die in die Gaps sprintenden Linebacker vom Hals, wofür ihm Smith in seiner Hall-of-Fame-Rede tränenreich dankte und Johnston mit den Worten würdigte: "Du hast auf mich aufgepasst, wie auf einen kleinen Bruder. Ich weiß, dass ich es ohne dich nicht hierher geschafft hätte."

Eine Bescheidenheit und Weitsicht, die Smith über seine gesamte Karriere und darüber hinaus auszeichnete, ihm aber in Sachen Aufmerksamkeit mehr geschadet als genutzt haben dürfte.

Insgesamt, so scheint es, ließ Smith lieber Taten als Worte sprechen. Rückblickend muss man fast sagen, dass es so vielleicht auch besser war.

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NFL-Legende Emmitt Smith: Kein Wortakrobat

Bei mehreren Anläufen als TV-Analyst für ESPN oder das NFL Network kam er nicht über kurze Intermezzos hinaus. Dabei sorgte er für Hohn und Spott, weil er in schöner Regelmäßigkeit Wörter falsch benutzte oder sich ohne Not verhaspelte, was der Late-Night-Host Jimmy Kimmel zum Anlass für eine Collage mit Smiths besten Versprechern nahm.

Während viele seiner früheren Teamkollegen heute aus der US-Medienlandschaft nicht mehr wegzudenken sind - am prominentesten wohl Troy Aikman im Kommentatoren-Duo mit Joe Buck und Michael Irvin unter anderem in der Debattier-Show "First Take" auf ESPN - ist es, abgesehen von gelegentlichen Interviews und zwei Teilnahmen an "Dancing with the Stars", medial eher ruhig um den MVP von 1993 geworden, der sich eine eigene Baufirma aufgebaut hat.

Auch das dürfte eine große Rolle dabei spielen, dass er in der Erinnerung von NFL-Fans immer wieder untergeht, trotz seiner individuell und auf Vereinsebene mit drei Super-Bowl-Titeln enorm erfolgreichen Karriere.

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NFL-Legende Emmitt Smith: Der Tim Duncan der NFL?

Ein Fall, der fast nur mit Tim Duncan in der NBA zu vergleichen ist. "The Big Fundamental" sprach nur dann, wenn er wirklich musste und gewann als zentraler Baustein der Dynastie der San Antonio Spurs fünfmal die NBA-Meisterschaft, auch wenn Andere bisweilen stärker im Rampenlicht standen.

Wie sein Spitzname erahnen lässt, war Duncans Spielstil nicht von enormer Athletik oder Sprungkraft geprägt, sondern vielmehr von einer Solidität auf höchstem Niveau, die darauf basierte, dass er die Grundlagen des Basketballs wie kein Zweiter beherrschte - also eine Art "Mr. Consistent".

Beides hatte zur Folge, dass er weniger stark im kollektiven Gedächtnis der NBA - außerhalb der Blase in San Antonio -verankert ist, als beispielsweise seine Gegenspieler zu seiner aktiven Zeit wie Kobe Bryant, Shaquille O'Neal oder Kevin Garnett.

Smith war zwar bei weitem nicht so still wie Duncan, doch die Parallelen sind durchaus vorhanden.

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NFL-Legende Emmitt Smith: Der Zenit 1995

Natürlich wird Smith niemals vollends vergessen werden. Dazu sind seine Leistungen zu groß, seine Bestmarken zu unerreichbar und sein Anteil an der Erschaffung von "America's Team" in Dallas durch drei Super Bowls in vier Jahren zu bedeutend.

Als Teil der "Drillinge" der Cowboys mit Aikman und Irvin bleibt er unsterblich und es steht nicht zu erwarten, dass seine im Laufe seiner Karriere angehäuften Rushing Yards zeitnah übertroffen werden - im Gegenteil: Angesichts der Entwicklung von Offensiven in der NFL scheint der Rekord unerreichbarer denn je.

Nachdem er 1995 Karrierebestwerte in den Bereichen Rushing Yards (1.773), Touchdowns (25) und Scrimmage Yards (2.148) aufgestellt und seinen dritten Super Bowl gewonnen hatte, wurde Smith nie mehr zum All-Pro berufen und in den finalen zwei Jahren seiner Karriere 2003 und 2004 bei den Arizona Cardinals war er nur noch ein Schatten seiner selbst.

Dennoch macht das seine Laufbahn und die diversen erreichten Meilensteine nicht weniger beeindruckend.

Und umso herausragender ist der Umstand, dass es Smith in seiner letzten Saison bei den Cowboys 2002 endlich gelang, das großes Ziel vom Anfang seiner Karriere zu erreichen.

In Woche 8 gegen die Seattle Seahawks brach der damals 33-Jährige den Rekord des 1999 verstorbenen Walter Payton und wurde zum neuen Leading Career Rusher der NFL: Der wahrscheinlich letzte Punkt auf der Liste seiner Ziele.

Umgekehrt gehört es auf die Liste der heutigen Football-Fans, sich Emmitt Smith wieder als den in Erinnerung zu rufen, der er war: nicht nur als Teil eines legendären Teams. Sondern als absoluten Ausnahmekönner, dem es gelungen ist, sein gesamtes Potenzial voll auszuschöpfen.

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