Neymars neue Rolle bei PSG: Nach den Abgängen von Lionel Messi und Kylian Mbappé kann der Brasilianer seine Karriere wiederbeleben

Von Thomas Hindle
Neymar
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Neymar ist in der anstehenden Saison wohl der letzte der legendären drei PSG-Stürmer. Er könnte seine bisher beste Saison in Paris erleben.

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Als er Anfang Juli als Trainer von Paris Saint-Germain vorgestellt wurde, sprach Luis Enrique auch mit deutlichen Worten über Neymar. Er konnte nicht versichern, dass der Brasilianer, der damals mit einem Wechsel ins Ausland in Verbindung gebracht wurde, bleiben würde. Er gab zu, dass er überhaupt nicht wisse, wie die Mannschaft zu Beginn der Saison 2023/24 aussehen werde. Er verwies auf die zahlreichen anderen Offensivspieler, die die Pariser im Kader haben. Letztendlich sandte er diese eine Botschaft: PSG braucht Neymar nicht.

Doch das könnte sich inzwischen geändert haben: Jetzt braucht PSG Neymar vielleicht doch. Die Zeit von Kylian Mbappé bei PSG neigt sich allem Anschein nach dem Ende entgegen, nachdem er dem Verein mitgeteilt hat, dass er seinen Vertrag nicht verlängern wird wird. Lionel Messi ist bereits abgereist. Der argentinische Weltmeister wechselte zu Inter Miami in die MLS.

Bleibt also nur noch Neymar. Das letzte verbliebene Mitglied des viel gescholtenen Superstar-Trios ist allein. Das Aushängeschild eines Projekts, das - wie schon am Anfang - viel Potenzial hat, das nicht genutzt wird. Es ging alles sehr schnell schief. Als andere große Spieler hinzukamen, schwanden der Einfluss und das Ansehen von Neymar im Team. Der Brasilianer kämpfte mit Verletzungen, für die er nichts konnte: Knöchel, Mittelfuß, Adduktoren. Aber es gab auch Probleme, für die erst selbst gesorgt hatte: wilde Partys und seltsame Urlaube und Auszeiten.

Die fünf Jahre seit seinem Wechsel zu PSG waren gefühlt verschwendete Zeit, zumindest für Neymar als Weltklasse-Spieler. Das einzige Ziel, das Neymar mit seinem Wechsel nach Paris verfolgte, war sein persönlicher Ruhm und Erfolg. Er wollte eine Mannschaft führen und im Idealfall den Ballon d'Or gewinnen. Erfolge auf dem Platz, vor allem der Titel in der Champions League, standen wahrscheinlich erst an zweiter Stelle auf seiner Prioritätenliste.

Jetzt hat es aber so etwas wie einen Neustart gegeben. Neymar hat eine weitere Chance bekommen, die Hauptrolle zu spielen. Dieses Mal ist der Druck für ihn weg. Von PSG wird nicht erwartet, dass das Team ausgerechnet nun den Henkelpott in den Parc des Princes bringt. Die Mannschaft wird auch nicht im Mittelpunkt des Medieninteresses stehen - das wird sich wahrscheinlich ganz auf das Santiago Bernabéu richten, wenn Mbappé seinen Wechsel zu Real Madrid verkündet.

Stattdessen steht Neymar nicht mehr im Rampenlicht, sondern ist der beste Spieler einer interessanten, sich entwickelnden Mannschaft. Und vielleicht ist es genau dieses Umfeld, das der Brasilianer braucht, um den Abwärtstrend, dem seine Karriere seit Jahren folgt, zu stoppen.

Neymar
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Neymar: Wie die PSG-Ära begann

Neymars Rekord-Wechsel zu PSG im Jahr 2017 war ein egoistischer Schritt. In Barcelona war alles für den Brasilianer vorbereitet. Als 24-Jähriger, der an der Seite des älteren Duos Messi und Luis Suárez spielte, schien es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis ihm alle Aufmerksamkeit im Camp Nou gehören würde.

Gründe für Neymars Weggang gab es viele. Es wird spekuliert, dass er unglücklich darüber war, dass seine Rolle in Barcelonas berühmter Remontada - das 6:1 im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League 2016/17 gegen PSG nach einer 0:4-Niederlage im Hinspiel - mit zwei Toren und zwei Assists von den Medien heruntergespielt wurde. Zyniker werden auch auf das stattliche Jahresgehalt in Höhe von 36,8 Millionen Euro hinweisen, das ihm in Paris geboten wurde.

Vielleicht wollte er aber auch einfach nur sein eigenes Team haben. Messi war schon immer der Star im Camp Nou. Diesen Status hat er sich auch bewahrt, obwohl er seit fast drei Jahren nicht mehr für die Katalanen spielt. Nach einer Saison in der Liga, in der sich die Blaugrana mit dem zweiten Platz hinter Real Madrid begnügen mussten, wurde Neymar von PSG nach Frankreich gelockt.

Dennoch war es keine Entscheidung, die in Barcelona gut aufgenommen wurde. Suárez behauptete, er habe Neymar zum Bleiben geraten und versprochen, dass Verstärkungen kommen würden, damit die Blaugrana ieder um den Titel kämpfen können. Messi selbst hat behauptet, er habe nie eine nachvollziehbare Erklärung für Neymars Abgang erhalten. Gerard Piqué war vielleicht am schockiertesten von allen. Er postete erst ein Selfie mit Neymar auf Instagram mit der Bildunterschrift "se queda", ein Versprechen, dass Neymar bleiben würde. Sehr zur Freude des Internets unterschrieb Neymar zehn Tage später bei PSG.

Neymar
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PSG: Die Vorteile eines gut zusammengestellten Kaders

Neymars Status als überlebendes Mitglied des alten PSG könnte sich als gute Sache erweisen, nicht zuletzt wegen der Art und Weise wie Luis Campos diesen Kader zusammengestellt hat. Über die PSG-Verpflichtungen der vergangenen Jahre ist viel gesagt worden. Es war eine Mannschaft, die Stars hatte und einfach noch mehr holte. Ein paar Transferfenster lang gab PSG so viel Geld wie möglich aus, ohne sich Gedanken darüber zu machen wie genau das funktionieren könnte. Sie brauchten einen Rechtsverteidiger? Man verpflichtete mit Achraf Hakimi den teuersten Rechtsverteidiger. Es fehlte ein Torhüter? Man holte Gigi Donnarumma, den Spieler des Turniers der EM 2020, für ein hohes Gehalt.

Das Ergebnis war ein Kader voller Talente aber ohne Orientierung. Es war ein Albtraum für ein All-Star-Team mit Elite-Trainern. Jeder Trainertyp wurde ausprobiert. Keiner von ihnen konnte es richtig machen.

Doch nun scheint sich das Blatt gewendet zu haben. PSG hat seine verschwenderischen Ausgaben eingedämmt und stattdessen das Geld klug für Spieler, die gerade in die Jahre gekommen sind, ausgegeben und gleichzeitig einige preiswerte Neuzugänge gefunden. Milan Skriniar ist vielleicht das beste Beispiel. Ein Innenverteidiger der Spitzenklasse der ablösefrei zu haben war.

Es gab auch noch andere Neue. Lee Kang-in, ein ehemaliger Mallorca-Star, wurde zu einem vernünftigen Preis geholt. Er war im ersten Saisonspiel wohl der beste Spieler von PSG. Der teuerste Neuzugang, Manuel Ugarte, ist ein vielseitiger zentraler Mittelfeldspieler mit wenig internationaler Erfahrung. Es wird mindestens noch einen weiteren Neuzugang geben, wahrscheinlich eine Nummer 9. Die Namen, die genannt werden - Randal Kolo Muani, Dusan Vlahovic, Victor Osimhen - sind aber keine Stars von Neymars Format.

Für Neymar können die Transferaktivitäten von PSG nur eine gute Sache sein. Es handelt sich nicht unbedingt um eine Mannschaft, die für ihn zusammengestellt wurde, aber Campos hat zahlreiche Spieler geholt, die an seiner Seite sehr effektiv sein dürften. PSG hat es jahrelang an Ausgeglichenheit gefehlt. In vielerlei Hinsicht war Neymar und sein offensichtlicher Mangel an Einsatz abseits des Balls das Sinnbild dafür. Jetzt aber könnte die Mannschaft ausgeglichener sein. Neymar wird davon profitieren.

Milan Skriniar
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PSG: Ein Taktiker an der Seitenlinie

Natürlich gab es bei PSG immer Probleme mit den Trainern. Laurent Blanc, Carlo Ancelotti, Unai Emery, Thomas Tuchel, Mauricio Pochettino und Christophe Galtier durften sich alle in Paris versuchen. Alle hatten ihre eigenen Vorstellungen in Bezug auf Taktik, Philosophie und Auftreten. Aber alle scheiterten an der gleichen Aufgabe - dem Erfolg in der Champions League - und das meist auf dramatische Art und Weise.

Man kann sich also zurecht fragen, warum der nächste Trainer das schaffen kann, was seine sechs Vorgänger nicht geschafft haben. Luis Enrique ist kein besserer Taktiker als Tuchel. Er ist kein besserer "Spieler-Trainer" als Ancelotti. Und er legt mit Sicherheit nicht so viel Wert auf die Offensive wie Pochettino. Hinzu kommt, dass er, wenn man Berichten Glauben schenken darf, nur die vierte Wahl für den Job war. Das richtige Vertrauen in ihn ist allem Anschein nach schon vor dem Start nicht vorhanden.

Doch Luis Enrique hat hier sicherlich einige Vorteile. In erster Linie hat sich der neue Trainer den Ruf erworben, wenig darüber nachzudenken, was andere von ihm halten. Er ist ein Trainer, der sich nicht scheut, mit Stars zu streiten oder große Namen auf die Bank zu setzen. Das hat er in der spanischen Nationalmannschaft bewiesen, als er einige mutige Entscheidungen traf, indem er die Teenager Pedri und Gavi schon nominierte, als sie gerade in der ersten Mannschaft des FC Barcelona Fuß gefasst hatten.

Er hat auch eine bemerkenswerte Ruhe im Umgang mit der Presse. Ein Selbstvertrauen, das Galtier im Besonderen fehlte. In seiner ersten Pressekonferenz scherzte er, dass er kein Problem mit den bekanntermaßen kleinlichen französischen Medien haben werde: "Wir werden gut miteinander auskommen, denn ich verstehe nichts auf französisch!"

Am wichtigsten für Neymar ist vielleicht, dass Luis Enrique ihn schon einmal trainiert hat. Der Trainer hat seinen Star während der gemeinsamen Zeit bei Barça meist in Schutz genommen, indem er ihn regelmäßig mit Ronaldinho verglich und seine Tricks und Kunststückchen so verteidigte, wie es nur wenige seiner anderen Trainer seither getan haben.

Es ist kein Geheimnis, dass Neymar ein Fußballer ist, der bei Laune gehalten werden muss. Man kann natürlich auch sagen, dass er zu viel Aufmerksamkeit verlangt. Aber Luis Enrique hat das schon einmal hinbekommen und Neymar dazu gebracht, seinen besten Fußball zu spielen. Das könnte nun wieder passieren.

Luis Enrique
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Neymar bei PSG: Schlimmer kann es doch gar nicht mehr werden, oder?

Neymar hat in der Sommerpause etwas für ihn untypisch Reifes getan. In einem langen Interview mit CazeTV akzeptierte der Brasilianer, dass er vielleicht nie von den PSG-Fans geliebt werden wird. Er versprach aber, nach Paris zurückzukehren. Egal, ob die Fans nun seinen Namen singen oder nicht. Die Messlatte liegt damit zugegebenermaßen ziemlich tief, aber es ist vielleicht ein Hinweis darauf, wie weit es schon in Paris gekommen ist. Wenn man Buhrufe und Pfiffe akzeptiert, ist das nicht unbedingt die Basis für eine harmonische Beziehung.

Aber für einen Spieler, der unterstützt und geliebt werden will, der von Kunststückchen lebt und eine eigene Marke aufgebaut hat, die nur mit der Liebe der Fans auch bekannt wird, war es ein überraschendes Eingeständnis. Vor ein paar Monaten versammelten sich die PSG-Ultras noch vor seinem Haus und brüllten, er solle gehen. Jetzt hat Neymar versprochen zu bleiben.

Für den Brasilianer ist das fast schon kontraintuitiv. Wenn jetzt wieder alles schief geht, wird der Ruf nach seinem Abgang nur noch lauter werden. Neymars Beziehung zu den Fans kann aber unmöglich noch schlechter werden. In den Augen der Pariser Anhänger ist sie schon auf dem Tiefpunkt angekommen.

Ein Spieler, der einst in der Bewunderung der Fans aufging, hat zugegeben, dass die Liebe verblasst ist. Ob er das nun selbst verschuldet hat oder nicht: Neymar weiß vielleicht, dass er in Paris nie der Spieler der Herzen sein wird. Und wenn diese Erkenntnis nun bedeutet, dass er ab sofort nicht mehr verachtet wird, sondern nur noch ungeliebt ist, könnte das ein Schritt nach vorne sein. Das Ende seines unerbittlichen Strebens nach der Liebe der Fans könnte eine der besten Entwicklungen seiner PSG-Zeit sein.

Neymar
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PSG: Was kann Neymar ohne Druck leisten?

Es ist schwer zu sagen, wann Neymar das letzte Mal ohne Druck gespielt hat. Selbst als Teenager, der bei Santos als einer der zukünftig Besten der Welt gehandelt wurde, lebte er schon mit Millionen an YouTube-Aufrufen und dem zahlreichen Lob der brasilianischen Legenden. Er ist ein Fußballer, der einfach nicht weiß, wie es ist, nicht im Rampenlicht zu stehen.

Und vielleicht ist es aber genau das, was er braucht. Alles an der Art, wie Neymar spielt, ist darauf ausgerichtet, vor den Kameras zu glänzen. Von seinem bekannten Trick - dem Rainbow Flick - bis hin zu den Rollen auf dem Boden nach minimalen Berührungen - er ist ein Spieler, den man sehen muss, um ihn zu schätzen und vor allem zu verstehen. Bei Neymar sagen die Statistiken wenig bis gar nichts über ihn als Spieler aus.

Aber was ist, wenn die Kameras auf jemanden anders gerichtet sind? Was ist, wenn seine Mannschaftskameraden hart arbeitende, sehr gute, aber nicht überragende Fußballer sind, die aus einer Reihe von Teams kommen, die nicht um die ganz großen Titel mitgespielt haben? Wenn sein Trainer vielleicht schon seinen Höhepunkt als Coach erreicht hat?

PSG ist weiterhin der Top-Favorit in der Ligue 1 - daran ändert sich nichts. Aber der Titel in der Champions League erscheint unerreichbar. Es könnte sogar ein paar Jahre dauern, bis das Team zusammengewachsen ist und sich entwickelt hat. Neymar war schon einmal an diesem Punkt. Jedes Jahr gibt es die gleichen Diskussionen, die gleichen Kolumnen werden geschrieben. Es ist wirklich schwierig, ernsthaft zu behaupten, dass sich die Dinge bei PSG doch noch ändern könnten.

Aber in der Vergangenheit konnte Neymar auf andere zeigen: Mbappé, Messi, eine Reihe von schlecht vorbereiteten Trainern. Diesmal hat Neymar das Glück, ohne Druck zu spielen, trägt aber gleichzeitig die Verantwortung. PSG wird so weit kommen, wie Neymar das Team führen will. Diese besondere Situation könnte genau das sein, was er braucht, wenn es jetzt um seine Karriere geht.

Wenn dies seine letzte Chance ist, wenn er es dieses Mal wirklich ernst meint, dann sind die Voraussetzungen für den seit Jahren versprochenen Neustart optimal..

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