Triumphzug trotz Flugzeugpanne und Prügel im Sudan: Marcel Koller und ein Ex-BVB-Stürmer beim "Klub des Jahrhunderts"

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"Afrikas Klub des Jahrhunderts" Al Ahly steht vor einem neuerlichen Triumph in der Champions League. Mit dabei: Ex-BVB-Stürmer Anthony Modeste und der aus Deutschland ebenfalls bekannte Trainer Marcel Koller. Ein Ortsbesuch in Kairo.

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Al Ahly ist ein Klub der Superlative. 80 von 110 Millionen Ägyptern sollen es mit dem Rekordmeister aus der Hauptstadt Kairo halten. Al Ahly gilt als "Real Madrid Afrikas" und wurde vom Kontinentalverband CAF standesgemäß zu "Afrikas Klub des 20. Jahrhunderts" gewählt.

Seitdem folgten neun weitere Champions-League-Titel, alleine drei in den vergangenen vier Jahren - und nun winkt der nächste Triumph. Im Halbfinale geht es gegen TP Mazembe aus dem Kongo. Das Hinspiel steigt am Samstag auswärts, das Rückspiel nächsten Freitag in Kairo.

Zwei in Deutschland bekannte Gesichter sind mittendrin: Stürmer Anthony Modeste, jahrelang beim 1. FC Köln erfolgreich und bis vergangenen Sommer (eher vergeblich) für Borussia Dortmund auf Torejagd. Sowie Trainer Marcel Koller, in Köln einst als Entdecker von Lukas Podolski gefeiert, später für den VfL Bochum, den FC Basel und die österreichische Nationalmannschaft tätig.

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Flugzeugpanne in Tansania, Schläge im Sudan: Kollers Erlebnisse in Afrika

Der 63-jährige Schweizer übernahm das Traineramt bei Al Ahly im September 2022 und führte den Klub auf Anhieb zum Triple aus Meisterschaft, Pokal und Champions League. Die Königsklassen-Krönung erfolgte im vergangenen Juni gegen den Wydad AC aus Casablanca/Marokko.

"Das war ein riesiger Erfolg, ein wunderbares Erlebnis", erinnert sich Koller im Gespräch mit SPOX. "Danach haben wir im Hotel gefeiert. Beim Hoteleingang gab es plötzlich keine Kontrollen mehr, also sind die Fans reingestürmt. Da ging es drunter und drüber." Unterhält man sich mit Koller über seine Erlebnisse in der afrikanischen Champions League, sprudeln kuriose, wilde Geschichten nur so aus ihm heraus.

"Bei der Reise zu einem Spiel in Tansania hatte unser Flugzeug eine Panne, also mussten wir kurzfristig auf halbem Weg ein Hotel buchen und dort übernachten", berichtet Koller. "Als wir auswärts gegen Al Hilal aus dem Sudan gespielt haben, waren keine Fans zugelassen - weil es bei einem vorherigen Duell Steinwürfe von den vollen Rängen gegeben hatte. Nach dem Geisterspiel haben aber sudanesische Ordner unsere Spieler geschlagen."

Es sei auch schon vorgekommen, "dass ein eigentlich zugesicherter Trainingsplatz vor Ort doch nicht zur Verfügung gestellt wurde". Dazu die Reisen durch unterschiedliche Klimazonen. Ein "bisschen ungewöhnlich" seien all die Unwägbarkeiten für einen Europäer wie ihn, sagt Koller und lächelt. "In Afrika muss man immer flexibel sein und auch mal spontan reagieren. Es ist nicht möglich, solche Champions-League-Auswärtsreisen starr zu planen."

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Wegen des Ramadan: Anpfiff in Kairo erst um 22 Uhr

Im muslimischen Ägypten spielt darüber hinaus die Religion eine große Rolle. "Die Spieler beten fünfmal am Tag, danach muss man die Trainings- und Besprechungszeiten richten. Oft wird direkt im Meetingraum oder in der Halbzeitpause in der Kabine gebetet", erzählt Koller. "Während Ramadan ist das nochmal anders, da verschiebt sich alles in den späten Abend."

So war es beispielsweise beim diesjährigen Champions-League-Viertelfinale gegen den Simba SC aus Tansania Anfang April. Damit die fastenden Spieler zwischen Sonnenuntergang um kurz nach 18 Uhr und Spielbeginn noch in Ruhe essen und trinken können, wird das Rückspiel beim SPOX-Besuch in Kairo erst um 22 Uhr angepfiffen.

Die Fans aber können es offenbar nicht erwarten: Bereits zwei Stunden vor Anpfiff ist die Kurve im Cairo International Stadium voll und laut und auch die Haupttribüne bereits gut besucht. Die übrigen Plätze aber füllen sich nicht mehr so richtig. Nach vielen Jahren der Geisterspiele dürfen mittlerweile zwar wieder Fans in Ägyptens Stadien, es gelten aber weiterhin Zuschauerbeschränkungen. Gegen Simba ist das 75.000 Zuschauer fassende Nationalstadion etwa zur Hälfte gefüllt.

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Taschenlampen und Fan-IDs als Erinnerungen an die Tragödie von 2012

Hintergrund der Restriktionen sind Vorfälle während des arabischen Frühlings: Genau wie die Ultras des Kairoer Stadtrivalen Zamalek SC beteiligten sich auch Al Ahlys Ultras Ahlawy 2011 an den Protesten gegen Langzeit-Herrscher Hosny Mubarak. Unter bis heute nicht restlos aufgeklärten Umständen kam es daraufhin 2012 zur Stadion-Katastrophe von Port Said. Bei Auseinandersetzungen mit bewaffneten Anhängern von Al Masry starben 72 Al-Ahly-Fans, die Polizei intervenierte nicht. Theorien zu den Vorfällen gibt es viele, gemeinhin werden sie als Rache des Regimes erachtet.

Der Klub stellte daraufhin kurzzeitig den Spielbetrieb ein, die Fans wurden jahrelang ausgesperrt. Seit ihrer Teil-Rückkehr in den vergangenen Jahren sind Erinnerungen an damals auch in den Stadien allgegenwärtig. Durch eingeschaltete Handy-Taschenlampen in der 72. Minute eines jeden Spiels von Al Ahly. Aber auch durch personalisierte Fan-IDs, die um die Hälse der Fans baumeln, mittlerweile Voraussetzung für einen Stadionbesuch in Ägypten.

Viele der treuesten Anhänger verzichten aufgrund dieser Regularien weiterhin auf Stadionbesuche, die Stimmung ist ohne die 2018 aufgelösten Ultras Ahlawy nicht mehr vergleichbar mit der von früher. "Unglaublich" sei es damals gewesen, sagt ein Fan. Und heute? Naja, er zuckt mit den Schultern und zeigt in die phasenweise immer noch beachtlich laute, aber nicht mehr perfekt durchkoordinierte Kurve. Nach dem 1:0-Auswärtssieg in Tansania gewinnt Al Ahly das Rückspiel gegen Simba souverän mit 2:0 und zieht ins Champions-League-Halbfinale ein. Das erste Tor bereitet der Ex-Dortmunder Modeste vor.

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Kritik und Siegtor im Supercup: Ex-BVB-Stürmer Anthony Modeste in Kairo

Die ablösefreie Verpflichtung des 36-jährigen Franzosen sorgte vergangenen September für Begeisterung. Nach einer durchwachsenen Saison in Dortmund tat sich Modeste aber auch in Kairo zunächst schwer, bei den Fans geriet er deshalb schnell in die Kritik.

"Er hatte vor seinem Wechsel zu uns zwar bei Fortuna Köln mittrainiert, aber schon länger nicht mehr gespielt. Wir wussten, dass er ein bisschen Zeit braucht - gerade bei seinem nicht mehr jugendlichen Alter", erklärt Koller. Beim ägyptischen Supercup-Finale gegen den Modern Future FC erzielte Modeste Ende Dezember das Siegtor in der Verlängerung, insgesamt hält er mittlerweile immerhin bei acht Scorerpunkten.

"Er bringt viel Erfahrung und ein hervorragendes Kopfballspiel mit und ist darüber hinaus eine hervorragende Persönlichkeit", lobt Koller. "Anthony schaut nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf seine Mitspieler." In Europa bekannte Akteure tummeln sich in der Mannschaft abgesehen von Modeste nicht, dafür aber zahlreiche ägyptische Nationalspieler. Als Ägypten beim Afrika Cup Anfang des Jahres im Achtelfinale scheiterte, standen acht Spieler von Al Ahly im Kader.

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43 Meistertitel für den Volksverein: Unterschiede zum Stadtrivalen Zamalek

In der Meisterschaft hinkten Modeste und seine Mannschaft zuletzt den Erwartungen etwas hinterher, und übrigens auch dem Spielplan. Aufgrund von zahlreichen Supercup- und Klub-WM-Verpflichtungen war Al Ahly nur an elf der bisherigen 18 Spieltage tatsächlich im Einsatz, die übrigen Partien wurden verlegt. Entsprechend geht es aktuell Schlag auf Schlag, fast alle drei Tage steigt ein Spiel.

Die Titelverteidigung ist immer noch möglich: Bei vier weniger ausgetragenen Partien beträgt Al Ahlys Rückstand auf Tabellenführer Pyramids FC elf Punkte. Am Montag setzte es eine Derby-Pleite gegen Stadtrivale Zamalek, der bisher erst auf 14 Meistertitel kommt - im Vergleich zu Al Ahlys 43. Beide Klubs wurden Anfang des 20. Jahrhunderts während der britischen Regentschaft in Ägypten gegründet. Zamalek galt stets als Klub der Besatzungsmacht und der höheren Schichten, Al Ahly dem Namen entsprechend dagegen als Volksverein unter ägyptischer Führung. Al Ahly bedeutet schließlich "national":

Aufgrund der längst irrsinnigen Dimensionen des Real Madrids Afrikas ist Volksnähe heutzutage aber ein kompliziertes Unterfangen. "Wenn ich in Kairo auf die Straße gehe, ist der Spaß vorbei", sagt Koller. "Dann will jeder ein Foto mit mir, oder mich nur anfassen. Es haben mich schon Kinder festgehalten und nicht mehr losgelassen."

Koller selbst will unterdessen den vergangenen Jahr gewonnenen Champions-League-Titel nicht mehr loslassen und ihn verteidigen.

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