FC Bayern München und die Baustelle Mittelfeld: So managt Tuchel das dünn besetzte Herzstück

Konrad Laimer, Leon Goretzka
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Über keine Position gab es beim FC Bayern München in den vergangenen Wochen so viele Diskussionen wie über das defensive Mittelfeld. Mittlerweile ist ein vermeintlich gescheitertes Duo gesetzt, während der designierte Herausforderer auf ungewohnter Position überzeugt, ein Innenverteidiger aushelfen muss - und der Wunschspieler überrascht.

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München verfügt über genau einen Laimer Platz, es ist die westliche Endstation der U-Bahnlinie U5. Beim lokalen Fußballklub FC Bayern gibt es dagegen gleich mehrere Laimer Plätze: Neuzugang Konrad Laimer war eigentlich für das defensive Mittelfeld eingeplant, hilft aktuell aber als Rechtsverteidiger aus.

Zunächst spielte Laimer dort jeweils per Einwechslung: 19 Minuten gegen den FC Augsburg (3:1), dann 45 gegen Borussia Mönchengladbach (2:1). Beim Spitzenspiel gegen Bayer Leverkusen (2:2) am Freitag stand Laimer an Stelle von Noussair Mazraoui als Rechtsverteidiger sogar in der Startelf und lieferte eine überzeugende Leistung.

Speziell in der ersten Halbzeit schaltete sich der 26-jährige Österreicher regelmäßig ins Offensivspiel ein, verteidigte aber dennoch stabil. "Er hat es richtig gut gemacht", lobte Sportdirektor Christoph Freund anschließend, die beiden kennen sich aus gemeinsamen Salzburger Tagen. "Er gibt der Mannschaft eine Energie und Aggressivität, die sehr guttut. Er ist ein richtiger Fighter."

Erste Erfahrungen mit der Position des Rechtsverteidigers sammelte Laimer einst schon bei seinem Ex-Klub RB Leipzig, in der österreichischen Nationalmannschaft spielte er zuletzt im rechten Mittelfeld.

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© Getty Images

FC Bayern: Thomas Tuchel findet kreative Lösungen

Dass Laimer aktuell in der Startelf des FC Bayern steht, kommt mit Blick auf die Vorbereitung wenig überraschend. Dass er aber rechts hinten spielt, sehr wohl. Nach seinem ablösefreien Wechsel von Leipzig nach München war Laimer in allen Testspielen im defensiven Mittelfeld gesetzt, bis auf eine Ausnahme stets an Joshua Kimmichs Seite. Leon Goretzka kam nur von der Bank, weshalb trotz Vertrages bis 2026 sogar über einen vorzeitigen Abschied spekuliert wurde. Darauf angesprochen gab Goretzka ein emotionales Treuebekenntnis ab.

Laimer dürfte in Tuchels Vorbereitungs-Gedanken insgeheim nur einen Platzhalter für den vom Trainer sehnlichst erwarteten Neuzugang gegeben haben. Die drei verfügbaren Kandidaten hätten laut Tuchel "ähnliche Qualitäten", weshalb er unbedingt eine "Holding Six" wolle, doch sie kam nicht. Unter kuriosen Umständen scheiterte am Deadline Day eine Verpflichtung von João Palhinha vom FC Fulham - und gleichzeitig auch die eines neuen Rechtsverteidigers.

Josip Stanisic, Ryan Gravenberch und Benjamin Pavard verließen den Klub trotzdem, das Feld lichtete sich. "Wir werden jeden benötigen und in Zukunft vielleicht auch auf ungewöhnlichen Positionen", sagte Tuchel. Tatsächlich liefert der Trainer durchaus kreative Lösungen.

Der in der vergangenen Saison viel gescholtene Goretzka ist im defensiven Mittelfeld neben Kimmich wieder gesetzt, in allen vier bisherigen Bundesligaspielen begannen die beiden. Als Alternativen firmieren Innenverteidiger Matthijs de Ligt, der auf seiner Stammposition aktuell nicht an Min-Jae Kim und Dayot Upamecano vorbeikommt, und Laimer. Er duelliert sich als Aushilfs-Rechstverteidiger aber unterdessen auch mit Noussair Mazraoui.

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FC Bayern: Leon Goretzka ist der Gewinner des Saisonstarts

Nachdem Goretzka noch als großer Verlierer der Vorbereitung gegolten hatte, darf er sich nun als Gewinner des Saisonstarts fühlen. Aus Tuchels Sicht vermutlich mangels Alternativen, aber das ist letztlich auch egal: Goretzka ist plötzlich wieder wichtig. Auch wenn die altbekannten Spielaufbau- und Positionierungs-Probleme im Duett mit Kimmich nicht verschwunden sind, so präsentiert sich das Duo bisher stabiler als in der Vorsaison.

Sowohl in der zweiten Halbzeit gegen Gladbach als auch gegen Leverkusen spielte Goretzka als Achter leicht versetzt vor Kimmich und hinter Thomas Müller - kämpferisch stark und mit Zug nach vorne. "Für mich ist das eine Position, auf der ich mich sehr wohlfühle", erklärte Goretzka. Gegen Leverkusen gelang ihm zudem der vermeintliche Siegtreffer, dem dieser Status aufgrund unglücklicher Geschehnisse im letzten Moment doch noch entzogen wurde.

Zu diesem Zeitpunkt agierte Goretzka bereits mit seinem dritten Mittelfeld-Partner des Spiels. Kimmich wurde in der 61. Minute ausgewechselt, war später beim Jubel über Goretzkas Treffer aber dennoch als erster beim Torschützen. Für Kimmich neu rein kam Rechtsverteidiger Mazraoui, Laimer rückte neben Goretzka, ehe kurz vor Schluss auch er ausgewechselt wurde und Platz machte für de Ligt. Viel Unruhe für ein fragiles Herzstück.

Ob Goretzkas positiver Entwicklung überraschte es, dass Bundestrainer Hansi Flick in der zurückliegenden Länderspielphase auf den langjährigen Nationalspieler verzichtete. Weil der DFB künftig aber seinerseits auf Flick verzichtet, dürften sich Goretzka in der Nationalmannschaft demnächst neue Chancen bieten - vor allem, sofern tatsächlich Favorit Julian Nagelsmann die Nachfolge antritt. Goretzka hielt bereits ein ausgiebiges Plädoyer. Auch Kimmich, der beim DFB zuletzt die Interimsbinde und den Posten im Mittelfeldzentrum abgeben musste, dürfte profitieren.

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Joshua Kimmichs Machtverlust und die Lage bei Palhinha

Kimmich ist nämlich Nagelsmanns unumstrittener Lieblingsspieler, Goretzka kommt bald dahinter - ungefähr gleichauf mit de Ligt, der wegen seiner niederländischen Nationalität von dessen Bundestrainer-Berufung aber nicht profitieren könnte. Beim FC Bayern degradierte Tuchel de Ligt innerhalb kürzester Zeit vom Abwehrchef zum Aushilfs-Sechser. Nach dem Leverkusen-Spiel ließ der 24-Jährige im Mixed-Zone-Interview tief blicken.

Kimmich verlor durch den Trainerwechsel zwar noch nicht seinen Stammplatz, aber dafür an Macht. Während der Vorbereitung konterte der 28-Jährige mehrmals Aussagen seines Trainers, am berühmtesten: "Ich bin ein Sechser." Zwischenzeitlich kamen Gerüchte über einen vorzeitigen Abschied auf. Gegen Leverkusen ärgerte sich Kimmich über die vorzeitige Auswechslung, die aufgrund seiner gerade erst ausgeheilten Verletzung eigentlich abgesprochen war. Danach gefragt, ging er in der Mixed Zone einfach weiter und rief keck: "Fragt den Trainer!" Der Anstoß zu ausgiebigen Diskussionen.

Bevor Kimmich das Recht zum Spielen entzogen wurde, war ihm aus dem gleichen Grund auch schon das Recht auf Eckbälle entzogen worden. "Das war, weil Joshua eine Entzündung an der Sehne hat. Da wollten wir die zusätzliche Belastung mit dem Schießen der Eckbälle vermeiden, weil der Reiz einfach zu groß ist", erklärte Tuchel. Nachdem Kimmich gegen Augsburg per ruhendem Ball Mathys Tels spätes Siegtor vorbereitet hatte, trat gegen Leverkusen Leroy Sané die Ecken. Sein erster Versuch führte prompt zum Erfolg: Edmond Tapsoba verlängerte, Harry Kane nickte zur frühen Führung ein.

Während Tuchel beim FC Bayern munter experimentiert, verlängerte Wunschspieler Palhinha völlig überraschend in Fulham. Eigentlich ist weiterhin ein Wechsel im Winter angedacht, doch aufgrund der Vertragsverlängerung des 28-jährigen Portugiesen mehren sich nun Zweifel. Bei der Pressekonferenz blockte Tuchel Fragen nach Palhinha ab.

FC Bayern München: Die nächsten drei Pflichtspiele des FCB

DatumWettbewerbGegner
20. September, 21.00 UhrChampions LeagueManchester United (H)
23. September, 15.30 UhrBundesligaVfL Bochum (H)
26. September, 20.45 UhrDFB-PokalPreußen Münster (A)
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