Formel 1, Die Tops und Flops der Saison 2023: Harte Jahre für die deutsche Brille - ein Ex-Weltmeister wie guter Wein

Von Christian Guinin
Kevin Magnussen, Nico Hülkenberg
© getty

Die Formel-1-Saison 2023 ist Geschichte. Zeit für SPOX, ein Fazit zu ziehen und die Tops und Flops des abgelaufenen Jahres zu küren. Was war besonders gut oder schlecht?

Anzeige
Cookie-Einstellungen
Max Verstappen
© getty

Formel 1: Die Tops der Saison 2023

Max Verstappen

Dass die Saison 2023 in die Geschichtsbücher eingeht, ist zu einem sehr großen Teil der Verdienst des Niederländers. Klar hatte Verstappen ein zu 100 Prozent auf ihn ausgerichtetes Paket zur Verfügung, was er daraus Rennen für Rennen machte, ist aber mehr als außergewöhnlich und kann mit Worten nicht hoch genug gelobt werden.

Im Vergleich zu den Vorjahren ist der Weltmeister noch einmal reifer, ruhiger und souveräner geworden. Sein Reifen-Management und die Fähigkeit, auf den Punkt da zu sein und in Drucksituationen immer noch einmal eine Schippe drauflegen zu können, suchen in der langen Historie der Formel 1 ihresgleichen.

Mit einem Verstappen in dieser Verfassung dürfte es für die Konkurrenz in den kommenden Jahren schwierig werden, ernsthafte Ambitionen auf den Titel anzumelden. RB-Motorsportchef Helmut Marko deutete sogar an, dass der Niederländer noch nicht am Ende seines Entwicklungsweges angelangt sei: "Wir haben noch nicht den Zenit gesehen."

Helmut Marko, Christian Horner
© getty

Red Bull

Für den Gewinn eines Weltmeistertitels bedarf es in der Formel 1 einer Kombination aus einem guten Piloten und einem schnellen Auto. Mit Verstappen hat Red Bull den besten Fahrer im Feld unter Vertrag, hinzu kommt jedoch auch, dass die Österreicher über die letzten Saisons einen verdammt guten Job gemacht haben, um ihrem Aushängeschild das Leben auf der Strecke so einfach wie möglich zu gestalten.

In Sachen Aerodynamik ist Red Bull dank Adrian Newey ohnehin seit Jahren das Maß aller Dinge, in Zusammenarbeit mit Honda baut das österreichische Team mittlerweile aber auch extrem leistungsfähige und zuverlässige Antriebseinheiten. In lediglich einem einzigen Rennen (Singapur-GP) stand ein Fahrer eines anderen Rennstalls ganz oben auf dem Podest. So etwas hat es in der Formel 1 zuvor noch nie gegeben.

Lando Norris
© getty

Lando Norris

Ähnlich wie Verstappen ist auch der Engländer 2023 noch einmal einen Entwicklungsschritt nach vorne gegangen. Hatte Norris zu Beginn des Jahres noch mit dem schwachen McLaren zu kämpfen, wurde er spätestens in den letzten Rennen vor der Sommerpause zu einem dauerhaften Anwärter auf die Podestplätze.

Schwächen gibt es bei ihm lediglich noch in der ein oder anderen Drucksituation, wenn er zu viel will oder zu ungestüm agiert. Auf der anderen Seite gehört er in Sachen Race-Speed zu den besten Piloten im Feld. Kommt Norris in seinen Rhythmus und kann sein Programm durchziehen, muss er sich vor den anderen Größen im Feld, etwa einem Verstappen, Fernando Alonso oder Lewis Hamilton, keineswegs verstecken.

Zu hoffen bleibt, dass es McLaren im kommenden Jahr schaffen wird, von Anfang an ein konkurrenzfähiges Paket zur Verfügung zu stellen. Spätestens dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis Norris seinen ersten Sieg in der Formel 1 feiern wird.

Oscar Piastri
© getty

Oscar Piastri

Auch wenn der Abstand zum Teamkollegen im WM-Klassement auf den ersten Blick gewaltig aussieht, darf man das erste Königsklassen-Jahr des australischen Rookies durchaus als Erfolg verbuchen. In den ersten Saisonrennen war Piastri noch sehr weit weg von Norris, im Laufe des Jahres kam er jedoch immer näher heran.

Vor allem in der Qualifikation hat der Australier seine Stärken, auf eine Runde kochte er seinen deutlich erfahreneren Teamkollegen ein ums andere Mal ab. Wird er nun im Rennen noch konstanter und schafft es, schonender mit den Reifen umzugehen, wird er im nächsten Jahr noch stärkere Ergebnisse einfahren. Dennoch: Zwei Podiumsplatzierungen in einem McLaren sind für die Debütsaison sehr ordentlich.

Fernando Alonso
© getty

Fernando Alonso

Manchmal hat man das Gefühl, der Spanier altert wie guter Wein. Je mehr Jahre ins Land ziehen, desto besser wird Alonso im Cockpit. Quasi im Alleingang sorgte er für das gute Abschneiden von Aston Martin im WM-Klassement, nachdem der Rennstall in den Jahren zuvor als graue Maus im Mittelfeld festhing und man keinerlei Fortschritt feststellen konnte.

Auch wenn die Ergebnisse Alonsos zum Saisonende hin etwas nachließen und er nicht mehr regelmäßig aufs Podium fuhr - auch weil die Konkurrenz um McLaren und Alpine stärker wurde bzw. näher heranrückte - ist P4 im zarten Alter von 42 Jahren in der Fahrerwertung ein Ausrufezeichen. Nach wie vor gehört er zu den besten Fahrern im gesamten Feld und wird das aller Voraussicht nach auch im kommenden Jahr noch sein, wenn er dann in seine 21.(!) F1-Saison geht.

Formel 1, Fans, Zuschauer
© getty

Zuschauerzahlen

Man kann den hohen Tieren der Formel 1 sicherlich viel vorwerfen. Einige Entscheidungen, die in den letzten Jahren getroffen wurden, haben dem Sport eher geschadet als geholfen. Die Marketingstrategie von Liberty Media, dem Besitzer und Promoter der Königsklasse, schlägt aber wie ein Komet ein.

Die Marke "Formel 1" ist gefragt wie nie, auf dem amerikanischen, arabischen und asiatischen Markt boomen - auch dank der Erfolgsserie "Drive to survive" - die Zahlen. Insgesamt wirkt sich das auch auf die Zuschauerzahlen aus. Egal wo die Formel 1 in diesem Jahr hintourte, die Tribünen rund um die Strecken waren nahezu immer ausverkauft. An vielen Orten wurden Zuschauer-Rekorde gebrochen, was auch der oftmals kritisierten Stimmung in der Formel 1 zugutekam.

Formel 1
© getty

Las Vegas

Mit einer gehörigen Portion Skepsis beäugten viele Fahrer, Team-Angehörige und auch Fans den Abstecher der Formel 1 in die "Sin City", schließlich wurde eine überdramatisierte Show zulasten des Sports befürchtet.

Letztlich muss man konstatieren, dass es an Showfaktor auf keinen Fall mangelte, irgendwie passt ja eine solche Art der Durchführung wie die Faust aufs Auge zu Las Vegas, das sportliche Drumherum wusste jedoch auch zu überzeugen. Lässt man das kleine Malheur mit dem Gully-Deckel aus dem Training außen vor, hat der Las Vegas Strip Circuit auf jeden Fall was zu bieten. Auch die Piloten waren positiv überrascht.

Formula 1
© getty

Formel 1: Die Flops der Saison 2023

Track Limits

Es ist ein leidiges Thema in der Formel 1. Im Laufe vieler Wochenenden stand das Thema Track Limits bei zahlreichen Fahrern und Verantwortlichen zur Debatte. "Zu hart" und "dem Racing nicht förderlich" lauteten die vielen kritischen Stimmen, die von der Rennleitung ein generelles Umdenken in der Sache forderten. Diesem Wunsch kann man restlos zustimmen.

Es kann nicht im Sinne des Rennsports sein, dass am Rennsonntag im Minutentakt Verwarnungen und Strafen vergeben werden. Nicht nur ist es für den Fan schwierig, den Überblick zu behalten, es geht offensichtlich auch den Piloten auf den Geist. So logisch die Maßnahmen in der Theorie auch sein mögen, in der Praxis ist die Umsetzung eine völlige Katastrophe. Dann doch lieber zurück zu einem good old Kiesbett.

Charles Leclerc
© getty

Reisestrapazen

Über 13.000 Kilometer Luftlinie, ein Zeitunterschied von zwölf Stunden - nach den ermüdenden Nachtschichten von Las Vegas verlangte die Formel 1 den Fahrern, Mechanikern und Betreuern für einen letzten strapaziösen Mammut-Transfer für das Saisonfinale in die Vereinigten Arabischen Emirate noch einmal alles ab.

Generell stöhnten viele Fahrer über die extremen Reisetrapezen zwischen den Rennen. Lange Transfers ist man in der Formel 1 ja gewohnt, 2023 war diesbezüglich in vielen Belangen aber noch einmal ein neues Extrem. "Ich werde völlig verloren sein", meinte Verstappen vor der Abreise nach Abu Dhabi - zum nächsten Nachtrennen am anderen Ende der Welt: "Es ist eine so große Zeitverschiebung, dass es, besonders am Ende der Saison, wenn alle schon ein bisschen müde sind, ein bisschen viel ist."

Für 2024 will die Königsklasse an einer Lösung für dieses Problem arbeiten, schließlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis Piloten aufgrund der hohen Belastung gesundheitliche Schäden davontragen und im schlimmsten Fall sogar für Rennen ganz ausfallen könnten. Durch eine stärkere Regionalisierung soll der logistische Aufwand zumindest verringert und die Saison nachhaltiger gestaltet werden. Japan im April, Aserbaidschan im September - und auch für das Finale in Abu Dhabi ließ sich die Königsklasse etwas einfallen. Das vorletzte Rennen der kommenden Saison findet in Doha/Katar und damit in unmittelbarer Nähe zu Abu Dhabi statt.

Max Verstappen
© getty

Kein WM-Kampf / wenig Abwechslung

Schon im letzten Jahr war der Kampf um den WM-Titel eine äußerst einseitige Angelegenheit, 2023 setzte alldem aber noch einmal die Krone auf. 19- von 22-mal stand Max Verstappen bei einem Rennen als Sieger ganz oben auf dem Podium, nimmt man nun noch die Siege von Teamkollege Pérez hinzu, gewann Red Bull sogar 21 von 22 Grands Prix.

Auch auf dem Podest gab es nur wenig Abwechslung. Elf verschiedene Fahrer schafften mindestens einmal den Sprung unter die besten drei, zumeist durfte jedoch die Kombination aus Verstappen (21 Podest-Platzierungen), Pérez (9 Podest-Platzierungen) und Alonso (8 Podest-Platzierungen) mit zur Siegerehrung. Abseits der großen drei Teams (Red Bull, Mercedes, Ferrari) sowie Alonso schafften lediglich Lando Norris, Oscar Piastri, Pierre Gasly und Esteban Ocon es, ein Podium einzufahren. Diese vier Fahrer kommen insgesamt jedoch auch nur auf zehn Top-3-Ergebnisse.

George Russell
© getty

George Russell

Agierte der junge Engländer 2022 noch auf Augenhöhe mit Teamkollege Lewis Hamilton, zahlte Russell in seinem zweiten Jahr bei den Silberpfeilen ordentlich Lehrgeld. Vom siebenfachen Weltmeister wurde er nicht nur nach Punkten ordentlich in die Tasche gesteckt, auch abseits der schwachen Pace fiel Russell mit vielen Unkonzentriertheiten und Fehlern auf - etwa beim Großen Preis von Singapur, als er ein gutes Ergebnis mit einem Crash wenige Runden vor Schluss wegwarf.

In einem schwierig zu handelnden Mercedes schien Russell deutlich größere Probleme als Hamilton zu haben. Während der Routinier sich vor allem zum Ende des Jahres aber immer besser reinfand und das Auto zu verstehen begann, legte sich beim jungen Engländer dieser Schalter nie um. Der Kampf um den Nummer-eins-Status bei Mercedes scheint aufs Erste somit klar entschieden.

Max Verstappen, Formel 1
© getty

Sprint-Format

Das 2021 eingeführte Format kassierte in der laufenden Saison eine überwältigende Welle an Kritik. Als "überflüssig", "wenig unterhaltsam" und "ohne Mehrwert" wurde der Sprint gebrandmarkt, von dem sich die F1-Macher einst so viel versprochen hatten. Sowohl bei Fans als auch bei Fahrern kam es überhaupt nicht gut an: "Wenn Sie meine ehrliche Meinung zu den Sprintwochenenden hören wollen, dann bin ich nicht wirklich begeistert davon", befand Max Verstappen. "Alle wissen nach diesem Rennen mehr oder weniger, was morgen (am Sonntag; Anm. d. Red.) zwischen den Autos in Bezug auf die Pace passieren wird, und das nimmt ein wenig die Spannung weg."

Auch deshalb sind Änderungen am Format bereits in Planung. Die F1-Kommission unterstützt ein "Update" des aktuellen Sprintformats für die Saison 2024. Die geplanten Änderungen sollen das Wochenende "weiter rationalisieren", indem die Sprinteinheiten vom Grand Prix losgelöst werden, so heißt es in einem Protokoll zur Sitzung. Konkret beschlossen ist hier aber noch nichts. Gerüchte gibt es über eine eigene Sprint-WM-Wertung, eine umgedrehte Start-Reihenfolge und ein erhöhtes Preisgeld für Siege, um mehr Anreiz zu schaffen.

Kevin Magnussen, Nico Hülkenberg
© getty

Haas

Die gute Nachricht für Mick Schumacher wird sein: Wäre sein Vertrag Ende letzten Jahres verlängert worden und hätte er damit noch ein Jahr mehr im Haas-Cockpit gesessen, würde es mittlerweile noch viel mehr kritische Stimmen geben, die dem Sohn von Ex-Weltmeister Michael vorwerfen würden, nicht genügend Talent für die Königsklasse mitzubringen.

Schließlich war das, was Haas 2023 ablieferte, teilweise sogar noch schlechter als die Jahre zuvor. Die Truppe von Günther Steiner setzte lediglich im Qualifying bei einer Handvoll Rennen Ausrufezeichen. Im Rennen war das Paket der US-Amerikaner aber überhaupt nicht konkurrenzfähig. Folgerichtig beendete man die Saison auf dem letzten Platz der Konstrukteursmeisterschaft.

Nicht einmal das groß angekündigte und heiß erwartete Update zum Heim-GP in Austin brachte die erhoffte Wende. Nico Hülkenberg und Kevin Magnussen gurkten weiter völlig abgeschlagen am Ende des Feldes herum. Findet 2024 kein gewaltiger Sprung statt, ist es für den einzig verbliebenen Deutschen im Feld eine mehr als missratene Rückkehr in die Formel 1.

Lewis Hamilton
© imago images

Show statt Sport

Man kann ja verargumentieren, dass Rennen in den USA aufgrund der vergleichsweise jüngeren und unerfahrenen Zuschauerschaft mit Events rund um das Wochenende aufgehübscht werden müssen. Die Netflix-Serie "Drive to Survive" hat in den Staaten viele neue Fans hervorgebracht, für die die tatsächliche Action auf dem Asphalt eher weniger interessant ist.

Die Show rund um die Rennen in Miami, Austin und Las Vegas, dass jeder Fahrer einzeln via Walk-in vorgestellt werden muss, es große Zeremonien mit albernen Spielchen auf großen Bühnen gibt und man den tatsächlichen Sport in den Hintergrund rückt, ist dann aber doch etwas over the top.

Bestes Beispiel dafür war die aufgeblasene Show vor dem Großen Preis von Miami, als das Orchester, samt Namens-Announcer und "Dirigent" will.i.am. vor der obligatorische Nationalhymne einen mehr als schrägen Eindruck hinterließen. Einmal im Jahr, etwa in Las Vegas - wo es thematisch ja auch irgendwie passt - mag das in Ordnung sein. Doch bitte nicht bei jedem einzelnen Abstecher in die Staaten.

Lance Stroll
© getty

Lance Stroll

Als der Kanadier beim Saisonauftakt in Bahrain trotz lädierter Hand mit Teamkollege Fernando Alonso mithalten konnte und seinen Aston Martin auf P6 abstellte, staunten viele nicht schlecht. Könnte Stroll über eine komplette Saison hinweg etwa auf Augenhöhe mit dem spanischen Routinier agieren?

Die Antwort gab es nur wenige Rennen später. Während Alonso in den ersten sechs Rennen immer auf dem Podium stand, holte Stroll in dieser Zeit magere 27 Punkte. Auf 23 Rennen hochgerechnet betrug der Abstand zwischen den beiden AM-Piloten letztlich 132 Punkte - das ist selbst gegen einen ehemaligen Weltmeister eine verheerende Bilanz.

Nico Hülkenberg
© getty

Deutsche Brille

Zwar wurde eine Formel 1 ohne einen einzigen deutschen Fahrer durch das Comeback von Nico Hülkenberg in letzter Sekunde noch abgewendet, generell bleibt aber festzuhalten, dass der Königsklasse aus deutscher Sicht harte Jahre bevorstehen. Hülkenberg wird auch im kommenden Jahr im Haas maximal um den ein oder anderen Punkt mitkämpfen können - die Zeiten eines Michael Schumachers und Sebastian Vettel sind damit endgültig Geschichte.

Ähnlich schwarz sieht es mit einer Rückkehr des F1-Zirkuses an eine deutsche Strecke aus. Sowohl Hockenheim als auch der Nürburgring fielen in den letzten Jahren aus dem Kalender, eine Einigung zwischen den Streckenbetreibern und den F1-Promotern ist nicht in Sicht.

Artikel und Videos zum Thema