"Lemgo plant nicht mehr mit mir"

Von Interview: Florian Regelmann
Michael Kraus erzielte beim 24:18-Sieg im EHF-Cup-Final-Hinspiel gegen Schaffhausen 4 Tore
© Imago

Bei der enttäuschenden EM in Österreich stand Michael Kraus im Zentrum der Kritik. Bei SPOX spricht der 26-Jährige über die Abgabe des Kapitänsamts in der Nationalmannschaft und seine Zukunft.

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SPOX: Sie hatten in dieser Saison unglaublich viele Probleme mit Verletzungen. Daher die berechtigte Frage: Wie geht's Ihnen?

Michael Kraus: Danke, aktuell fühle ich mich gut. Ich kann nicht klagen.

SPOX: Aber gibt es irgendein Körperteil, das Ihnen in dieser Saison keine Schmerzen bereitet hat?

Kraus: Wenn ich so darüber nachdenke, tut mir doch glatt der Kopf weh (lacht). Klar, es zwickt mal hier und es zwickt mal da - und manchmal ist es auch wesentlich mehr als nur ein Zwicken. Aber Gott sei Dank leistet unsere medizinische Abteilung richtig tolle Arbeit und biegt uns wieder hin. Und von einem Seuchenjahr will ich eigentlich gar nicht sprechen. Im Moment fühle ich mich toll und das zeigt sich auch auf dem Spielfeld.

SPOX: Generell gibt es gerade zu diesem späten Zeitpunkt der Saison wohl wenige Spieler, denen nicht irgendetwas wehtut. Geht es da manchmal nur noch mit Schmerztabletten?

Kraus: Wenn es nicht mehr geht, dann helfen auch Schmerztabletten nicht mehr. Dann sitze ich auf der Bank und versuche, mein Team über anfeuern zu pushen. Ich bin auch kein sonderlich großer Fan von Schmerztabletten. Verletzungen sind beim Handball nun mal keine Seltenheit und gehören leider dazu.

SPOX: Bei der EM waren Sie nicht fit und konnten nicht Ihre beste Leistung abrufen. Wer bekommt dann Ihren Frust in solchen Situationen ab?

Kraus: Ich lasse meinen Frust nicht an anderen aus. Manchmal liegt dann eben ein wenig mehr Gewicht auf den Hanteln oder die Musik ist etwas härter und lauter. Ich lasse mich davon nicht runter ziehen, ich bin eine Frohnatur.

SPOX: Hätten Sie im Nachhinein die EM absagen sollen? So wie es Pascal Hens gemacht hat.

Kraus: Es bringt mir nichts, darüber nachzudenken, was ich im Nachhinein hätte tun sollen. Ich habe meine Lehren aus dieser Entscheidung gezogen und sicherlich für die Zukunft viel daraus gelernt.

SPOX: Sie haben immer gesagt, dass Sie sehr stolz waren, Kapitän von Deutschland zu sein. Wie weh tut es dann jetzt,  dass Sie nicht mehr Kapitän sind?

Kraus: Es tut nicht weh, sonst hätte ich mich ja nicht dazu entschieden, das Amt abzugeben.

SPOX: Heiner Brand hat im SPOX-Interview gesagt, dass dem Team auch bei der EM wieder der Kopf gefehlt hat. Sie sind ein ganz anderer Spielertyp, als es Markus Baur war, aber bleibt es dabei, dass Sie in Zukunft trotzdem dieser Kopf sein wollen?

Kraus: Ich denke nicht, dass es rein die Frage des Spielertyps ist, ob man eine Mannschaft führen kann. Dazu gehört noch einiges mehr. Wir sind eine Mannschaft, die sich mitten im Umbruch befindet und es wird eine Weile dauern, bis wir uns gefunden haben. Und in diesem Prozess werden auch die Rollen verteilt. Ob die Mannschaft dann von einem oder vielleicht auch drei Spielern angeführt wird, das werden wir sehen.

SPOX: Vielleicht ist es ja auch besser, wenn Sie sich einfach nur darauf konzentrieren können, mit Ihrer individuellen Klasse auf dem Feld die Mannschaft zu führen?

Kraus: Das ist sicher ein Baustein, den es auszufüllen gilt, wenn man eine Mannschaft anführen und Erfolg haben will. Jeder muss seinen Teil dazu beitragen. Ich will zum Erfolg von 2007 zurück und werde meinen Beitrag leisten.

SPOX: Wenn Deutschland die WM-Qualifikation gegen Griechenland schafft, geht es nach der Leistung bei der EM als Außenseiter nach Schweden. Wie realistisch sehen Sie die deutschen Titelchancen in den nächsten Jahren?

Kraus: Sicher werden wir nicht zu den heißesten Titelkandidaten zählen. Aber: Jeder weiß, dass Deutschland nie zu unterschätzen und immer für eine Medaille gut ist.

SPOX: Was man bei Ihnen gerne vergisst, ist, dass Sie erst 26 Jahre alt sind - aber schon eine Menge erreicht haben. Wie zufrieden sind Sie bis jetzt mit Ihrer Karriere?

Kraus: Zufriedenheit ist ein Wort, das mir nicht gefällt, denn es gilt immer noch: Stillstand ist Rückschritt. Ich will meine Stärken stärken und meine Schwächen schwächen. Diese zu verraten, wäre aber unclever (lacht).

SPOX: Wie würde eigentlich der Trainer Mimi Kraus mit dem Spieler Mimi Kraus auskommen? Was würde der Trainer Kraus dem Spieler Kraus sagen?

Kraus: Sie würden sehr gut miteinander auskommen, da beide die gleiche Auffassung haben: Bedingungsloser Einsatz für den Erfolg. Er würde ihm sagen, dass er weiterhin hundert Prozent im Training geben soll, wie bisher.

SPOX: Als Sie vor einigen Jahren Göppingen verlassen haben und nach Lemgo gegangen sind, wollten Sie sich sportlich verbessern. Jetzt steht Lemgo aber hinter Göppingen. Haben Sie sich mal überlegt, ob Sie vielleicht in Göppingen hätten bleiben sollen?

Kraus: Sicher steht Göppingen vor dem TBV. Aber auch Göppingen steht noch nicht da, wo ich hin will.

SPOX: Können Sie sich aber grundsätzlich eine Rückkehr zu den Schwaben vorstellen?

Kraus: Sicher, warum nicht? In Göppingen bin ich geboren, in Göppingen bin ich aufgewachsen, in Göppingen habe ich Handball spielen gelernt, in Göppingen habe ich viele Freunde, meine Eltern wohnen in Göppingen. Spricht doch eigentlich nichts dagegen, irgendwann mal nach Göppingen zurück zu gehen. Vielleicht kommt aber auch alles ganz anders, wer weiß?

SPOX: Es wurde viel über einen möglichen Wechsel zum HSV spekuliert. Wie ist der aktuelle Stand?

Kraus: Der TBV hat gesagt, dass er nächste Saison nicht mehr mit mir plant. Mehr gibt es nicht zu sagen. Ich habe mich ja schon öffentlich dazu geäußert, dass ich nächste Saison Champions League spielen will.

SPOX: Glauben Sie nicht daran, dass Lemgo in den nächsten Jahren Kiel und Hamburg angreifen kann?

Kraus: Kurz- oder mittelfristig wird es Lemgo nicht schaffen, sich an der Tabellenspitze zu etablieren. So ein Vorhaben braucht Zeit, damit notwendige Strukturen und Finanzkraft geschaffen werden können. Man kann es ja bei anderen Vereinen beobachten, dass sich so ein Plan nicht übers Knie brechen lässt. Aber der TBV ist jetzt schon in der Lage, die ersten drei Teams jederzeit ärgern zu können.

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