"Ich schaue neidisch zu Jogi Löw"

Von Interview: Florian Regelmann
Heiner Brands Vertrag beim DHB läuft noch bis 2013
© Getty

Der Countdown zum Super-Clash zwischen Hamburg und Kiel läuft - die Meisterschaft wird aller Voraussicht nach am Wochenende in einem echten Endspiel entschieden. SPOX hat Bundestrainer Heiner Brand gefragt, wie er die beiden Top-Teams einschätzt. Außerdem spricht Brand im Interview über die Lehren aus der EM und er erklärt, warum er Jogi Löw so beneidet.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

SPOX: Herr Brand, Joachim Löw hat vor kurzem seinen vorläufigen WM-Kader bekannt gegeben. Er hatte dabei sicher einige schwierige Entscheidungen zu treffen. Wie groß ist der Pool, aus dem Sie auswählen können?

Heiner Brand: Die Auswahl hält sich sicherlich in Grenzen. Deshalb schaue ich auch manchmal sehr neidisch zu Jogi Löw hinüber. Der Fußball ist wesentlich weiter und schlauer als wir. Ich habe mir mal die Altersstruktur des DFB-Kaders angeschaut - da sind mir fast die Tränen gekommen. Es gibt so viele Spieler zwischen Jahrgang 1987 und 1990, die alle auch in der Bundesliga schon tragende Rollen übernehmen.

SPOX: Und das nicht bei Abstiegskandidaten, sondern bei den Spitzenklubs.

Brand: Genau. Über Bayern müssen wir gar nicht reden. Schweinsteiger und Lahm kamen aus dem eigenen Nachwuchs, jetzt sind Badstuber und Müller tragende Größen geworden. Wenn ich dann an Bremen denke mit Özil, Bargfrede und Hunt, auch Stuttgart, Dortmund, Leverkusen und Schalke - die ersten Sechs der Tabelle haben alle hervorragende junge deutsche Spieler. Im Handball tut sich in diesem Bereich zu wenig. Es gibt zwar ein paar gute Beispiele, aber das sind alles Mannschaften, die sich im Mittelfeld befinden, nicht die Top-Teams. Der Weg, den der Fußball geht, wird sich auszahlen. Vielleicht noch nicht bei dieser WM, gerade nach dem Ausfall von Michael Ballack, aber in den nächsten Jahren sind optimale Voraussetzungen für Erfolg gegeben.

SPOX: Nun ist es ja nicht so, dass Handball-Deutschland keine Talente hätte. Die Junioren sind amtierender Weltmeister. Wann kommt einer dieser Jungs bei Ihnen im A-Team an?

Brand: Das ist die große Frage. Das große Problem im deutschen Handball ist die Anschlussförderung. Es dauert einfach zu lange, bis die Talente nach der Junioren-Zeit im Spitzen-Handball ankommen. Und es geht hierbei ja nicht nur um die von Ihnen angesprochenen Junioren-Weltmeister wie Andrej Kogut, Steffen Fäth oder Patrick Wiencek - wir haben auf einem ähnlichen Niveau noch viel mehr Spieler. Leider stürzen sich die Vereine dann immer gerne auf die Junioren-Weltmeister, um die Quote zu erfüllen, aber dabei wird die Breite vergessen. Ich war erst kürzlich wieder bei einer Jugendsichtung - wir haben im Vergleich zum Eishockey oder Basketball einen riesigen Talente-Pool, aber da muss man auch rangehen. Mein Streben ist es, dass wir wieder eine Handball-Macht werden, aber das werden wir nur schaffen, wenn sich die Vorzeichen ändern.

SPOX: Wer ist denn von den Jungs am nächsten an der Nationalmannschaft dran?

Brand: Im Augenblick ist noch niemand wirklich nahe dran. Die Jungs müssen sich alle erst mal in der Bundesliga Stammplätze erkämpfen. Patrick Wiencek muss sich in der neuen Saison in Gummersbach durchsetzen, das wird kein Selbstläufer. Steffen Fäth muss sich in Wetzlar endgültig durchbeißen. Man muss natürlich auch sagen, dass es nicht einfach ist für sie, weil die Philosophie, dass jeder Verein deutsche Spieler nach oben bringt, nicht vorhanden ist. Und wenn ein Verein diese Philosophie nicht vorgibt, dann setzt sie der Trainer auch nicht um.

SPOX: Wie viel Verständnis haben Sie für die Haltung der Vereine?

Brand: Bevor ich Bundestrainer wurde, habe ich lange Jahre in der Bundesliga gearbeitet. Ich kenne also die Mechanismen. Ich weiß, welcher wirtschaftliche Druck auf den Vereinen lastet, aber dennoch bin ich der Meinung, dass sie eine gewisse Verantwortung tragen. Viele Vereine werden dieser auch schon gerecht, es hat sich einiges getan, aber das alles macht nur Sinn, wenn eben die Anschlussförderung stimmt. Dass ein Verein sagt, dass ihn das alles nicht interessiert und er Champions League spielen muss, kann ich nicht akzeptieren. Spanien macht es uns vor, wie es geht. Die Spanier sind mit vielen eigenen Spielern im europäischen Vergleich sicher nicht schlechter als Deutschland. Beim HSV und in Kiel spielen zwar auch Deutsche, aber das sind alles Spieler, die im fortgeschrittenen Alter geholt worden sind.

SPOX: Sie sprechen den THW an: Wenn es für Kiel schlecht läuft, könnte es eine Saison ohne einzigen Titel geben. Hatten Sie erwartet, dass der THW in dieser Saison Probleme bekommen wird?

Brand: Wir sprechen hier über Probleme auf sehr hohem Niveau. Kiel hat immer noch eine sehr gute Ausgangsposition. Eine Meisterschaft kann man ohnehin nie garantieren. Und dass der Abgang von Stefan Lövgren ein großes Loch reißen würde, war klar. Für den Erfolg des THW waren immer drei Komponenten ausschlaggebend. Zum einen die überragende Abwehr mit einem starken Thierry Omeyer dahinter, dann die unglaubliche individuelle Stärke mit Spielern wie früher Karabatic oder nun Narcisse, dazu Jicha und Andersson, und drittens eben Lövgren, der das Spiel ordnen und lenken konnte. In dieser Saison haben sie nur noch zwei der drei Komponenten, dazu ist Omeyer vielleicht nicht ganz so stabil wie gewohnt. Deshalb ist es erklärbar, dass es zwischenzeitlich Probleme gab. Aber dem THW ist nach wie vor alles zuzutrauen.

SPOX: Auch der Champions-League-Sieg?

Brand: Ich denke schon. Auch wenn Barcelona in Kiel gewonnen hat und dabei keinen schlechten Eindruck hinterlassen hat, würde ich das Halbfinale gegen Ciudad als vorgezogenes Endspiel sehen.

SPOX: In der Bundesliga liefert sich der THW mit dem HSV ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Meisterschaft. Wen sehen Sie am Ende vorne?

Brand: Für mich ist das völlig offen. Ich hatte den HSV favorisiert, aber nachdem sie nach dem Hinspiel für mich sehr überraschend bei Ciudad Real in der Champions League so untergegangen sind, bin ich mir nicht mehr so sicher. Das war ein harter Rückschlag im Selbstvertrauen. Der HSV war über weite Teile der Saison spielerisch dominant, der THW hat auf der anderen Seite unheimlich Power und einen Omeyer, der in Topform den Grundstein zum Sieg in Hamburg legen kann. Es wird auf viele Kleinigkeiten ankommen - ich sehe die Chancen Fifty-fifty.

Teil 2: Heiner Brand über seine Zukunft, die deutschen Titelchancen und Mimi Kraus