Drama, wir brauchen Drama!

Von Florian Regelmann
Jean Van de Velde und sein Waterloo bei der Open Championship 1999
© Getty

Nachdem Rory McIlroy das Feld bei der US Open in brutaler Weise vernichtet hat, wünscht sich die Golf-Welt bei der British Open in Sandwich wieder mehr Spannung. Gibt es im Royal St. George's Golf Club ein Drama? Es wäre wahrlich nicht das erste in der Geschichte der Open Championship.

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1. JEAN VAN DE VELDE!

Wer es 1999 gesehen hat, wird es in seinem Leben nie mehr vergessen. Nie mehr. Der damals 33-jährige Jean Van de Velde, der bis zu diesem Zeitpunkt gerade mal ein Turnier (1993 Roma Masters) gewonnen hatte, steht am Finaltag in Carnoustie am 18. Abschlag und hat den Claret Jug praktisch schon in Händen. Van de Velde hat drei Schläge Vorsprung und ist ganz dicht davor, der erste französische Open-Championship-Sieger seit Arnaud Massy 1907 zu werden.

Dieser Massy bekam damals übrigens 30 britische Pfund für seinen Sieg, bei Van de Velde wäre der Siegerscheck etwas höher ausgefallen (350.000). Aber statt den Sieg locker nach Hause zu bringen, fabrizierte Van de Velde den wohl größten Kollaps der Golf-Geschichte.

Man muss es noch einmal bewusst machen. Schon ein lausiges Doppel-Bogey hätte ihm zum Sieg gereicht. Im Prinzip hätte er den Ball nur irgendwie aufs Grün murmeln müssen. Das Drama ging schon mit dem Abschlag los. Statt auf Sicherheit zu spielen, zückte Van de Velde den Driver aus der Tasche und verzog prompt seinen Abschlag.

Wäre aber auch noch nicht schlimm gewesen, wenn er jetzt nicht einen Gehirnkrampf bekommen hätte. Van de Velde legte nicht vor, sondern wollte einen Glanzschlag zeigen und landete im dichten Rough. Von dort beförderte er den Ball in den Barry Burn, einem Bach vor dem Grün. Jetzt drehte sich bei ihm alles im Kopf.

Van de Velde zog sich Schuhe und Socken aus, krempelte die Hosenbeine rauf und stellte sich ins Wasser. Ein Bild, das um die Welt gehen sollte. Er überlegte tatsächlich, den Ball aus dem Wasser zu spielen. Dann meldete sich der Verstand aber doch kurz zu Wort.

Van de Velde nahm einen Strafschlag in Kauf und er schaffte - unfassbarerweise - noch ein geniales Up-and-Down aus dem Bunker und rettete sich mit dem Triple-Bogey ins Stechen gegen Justin Leonard (USA) und Paul Lawrie (Schottland). Lawrie krönte sich im Playoff zum Champion, aber an seinen Sieg erinnert sich heute kein Mensch mehr. Carnoustie 1999 wird für immer das Van de Velde-Turnier bleiben.

2. Rocca und Daly...

The Open Championship 1995. St. Andrews. Im Home of Golf ereignete sich ein irrer Zweikampf zwischen zwei unglaublichen Spielern. Auf der einen Seite: John Patrick Daly. The Wild Thing. Auf der anderen Seite: Der Italiener Costantino Rocca.

Daly hat am Finaltag bereits eine 71 notiert und sitzt bei einem Gesamtscore von sechs unter Par im Clubhaus. Er muss jetzt zuschauen, was Rocca macht. Der Italiener liegt zu diesem Zeitpunkt einen Schlag hinter Daly und hat die 17 und 18 noch zu absolvieren.

Am berühmten Road Hole haut Rocca seinen zweiten Schlag auf die Straße hinter dem Grün, schafft aber noch ein grandioses Par. Damit bewahrt er sich alle Chancen. Ein Birdie an der 18 und er ist im Stechen. Und es sieht gut aus. Rocca zimmert einen langen Abschlag wenige Meter vors Grün.

Doch dann das Drama. Rocca verbockt seinen Chip total, der Ball kugelt nur wenige Meter ins sogenannte Valley of Sin. Der Ball ist bestimmt 20 Meter vom Loch entfernt - Daly kann eigentlich schon feiern. Den wird der Rocca doch jetzt nicht lochen... Doch! Wird er! Roccas Putt fällt, der Italiener sinkt zu Boden. Er ist tatsächlich im Playoff. Dieses verliert er aber dann gegen Daly.

Übrigens: Der junge amerikanische Amateur Tiger Woods (+7) landet abgeschlagen im Feld. Den dritten Rang hinter Daly und Rocca teilen sich Michael Campbell (Neuseeland), Mark Brooks (USA) und der Engländer Steven Bottomley. Wer kennt ihn nicht? An dieser Stelle ist es Zeit, mal wieder zu betonen, dass seit Nick Faldo (1987, 1990, 1992) kein Engländer mehr die Open Championship gewonnen hat.

3. Das Fast-Wunder

Auch wenn Tom Watson am Ende das Stechen gegen seinen amerikanischen Landsmann Stewart Cink verlor - was 2009 in Turnberry passierte, war eine der großartigsten Geschichten überhaupt. Nicht nur im Golf, im Sport allgemein.

Ach, hätte Watson im Alter von 59 Jahren doch seinen sechsten Titel bei einer Open Championship geholt. Es gab wohl kaum ein Turnier, bei dem die gesamte Golf-Welt so komplett hinter einem Mann stand.

Es war einfach nicht zu fassen, wie gut Watson spielte. Als er in der Finalrunde an der 17 ein Birdie notierte, lag er mit einem Schlag vorne und brauchte jetzt nur noch ein Par, um das Wunder perfekt zu machen.

Watsons zweiter Schlag am Schlussloch war dann eigentlich top, flog aber einfach ein bisschen zu weit und rollte nach einem harten Bounce in die Senke hinter dem Grün. Nach einer guten Annäherung mit dem Putter blieb ihm ein 3-Meter-Putt zum Triumph. Warum der Golf-Gott dann nicht mithalf, Watsons Putt zu versenken, wird sein Geheimnis bleiben.

Im Treffmoment wusste Watson schon, dass der Putt nichts war. Er war kurz, er war rechts, er hatte keine Chance. Im Stechen ging es gegen den stark aufspielenden Cink dann schnell dahin. Schade, Tom. Echt schade.

4. Paddy-Time

Die Open Championship 2007. Der Major-Durchbruch von Padraig Harrington. Und die Geschichte, wie ein Lip-Out eine Karriere veränderte. Es ist schön zu sehen, dass Sergio Garcia aktuell wieder auf dem Weg zurück zu alter Stärke ist, aber ein Putt bei der Open Championshp 2007 in Carnoustie war neben privaten Dramen mit dafür verantwortlich, dass er in den letzten Jahren überhaupt in der Wildnis verschwand.

Der beste Golfer, der nie ein Major gewonnen hat? Phil Mickelson musste lange mit diesem Label leben, besiegte aber dann seinen Major-Fluch. So wanderte das Label auf die Schultern von Garcia. Und 2007 schien auch der große Tag für den Spanier gekommen.

Garcia übernahm schon am ersten Tag die Führung und hatte das Turnier praktisch die ganze Zeit im Griff. Er ging mit drei Schlägen Vorsprung auf Steve Stricker (USA) in den Finaltag. Die nächsten Verfolger lagen sogar schon sechs Schläge zurück. Zu ihnen gehörte unter anderem auch Harrington.

Der Ire, bis dahin als ewiger Zweiter verschrien, wurde dann zum Star der Finalrunde. Es hätte auch Andres Romero werden können, der unfassbar heiß lief und 10 (!) Birdies spielte, aber der Argentinier schmiss einen möglichen Sieg mit einem Doppel-Bogey-, Bogey-Finish weg. Auch Harrington schien am Ende, als er nach einer großartigen Runde an der 18 gleich zweimal das Wasser fand und mit einem Doppel-Bogey aufhörte.

Es war alles bereit für Garcia, der an der 18 nur noch ein Par benötigte. Nachdem sein zweiter Schlag im Grün-Bunker gelandet war, hatte Garcia einen Putt zum Sieg. Doch er lippte aus. Wer weiß, vielleicht hätte Garcia inzwischen schon mehrere Majors gewonnen, wenn dieser Putt gefallen wäre. So setzte sich Harrington im Stechen durch, wurde der erste irische Open-Champion seit 60 Jahren - und ist jetzt dreifacher Major-Sieger. Ach ja, bester Amateur war 2007 ein gewisser Rory McIlroy...

5. Tiger-Slam

Jedem Major, bei dem Tiger Woods nicht dabei ist, fehlt etwas. Ist einfach so. Nach der US Open muss Woods jetzt auch in Sandwich aussetzen. Wann er zurückkommt? Wann er wieder gewinnt? Ob er jemals den Major-Rekord von Jack Nicklaus (18 Titel) bricht? Niemand weiß es.

Fakt ist, dass er uns 2000 in St. Andrews, als er im Alter von 24 Jahren seinen Karriere-Grand-Slam perfekt machte, eine atemberaubende Major-Leistung zeigte. 67-66-67-69 - Woods siegte mit einem unmenschlichen Gesamtergebnis von 19 unter Par. Der niedrigste Major-Score aller Zeiten.

Mit acht Schlägen Rückstand landeten Thomas Björn (Dänemark) und Ernie Els (Südafrika) auf Rang zwei. Interessant: Damals platzierten sich sechs US-Boys in den Top 10. Europa war nur mit Björn, dem Nordiren Darren Clarke und dem Schweden Pierre Fulke vertreten. Bei der Open Championship 2011 sollte das Verhältnis etwas anders aussehen...

Der Stand in der Weltrangliste