"Das Temperament eines Killers"

Von Florian Regelmann
Tiger Woods und Rory McIlroy kämpfen in Pebble Beach um den US-Open-Sieg
© Getty

Rory McIlroy wird als der nächste Tiger Woods gefeiert, mit Lob überschüttet und in Video-Spielen geadelt. Vor dem US-Open-Start spricht der Nordire bei SPOX über seine Chancen, den ersten Major-Sieg seiner Karriere zu holen.

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2. Mai 2010. Tatort: Der Quail Hollow Golf Club in Charlotte im US-Bundesstaat North Carolina. Ein noch 20-jähriger Junge aus der nordirischen Kleinstadt Holywood - ja, es wird genauso ausgesprochen wie der berühmte Stadtteil von L.A. - sorgt in der Golf-Welt für einen Paukenschlag, über den man sich noch lange unterhalten wird.

Rory McIlroy feuert eine atemberaubende 62er-Runde - selbstredend Platzrekord - auf den Kurs und gewinnt in fantastischer Manier sein erstes Turnier auf der US PGA Tour. Er ist der jüngste Sieger in den USA seit einem gewissen Eldrick "Tiger" Woods 1996.

Doch dieser Woods ist zu diesem Zeitpunkt nirgends mehr zu sehen. Er hat sich mit einer desaströsen 79 am zweiten Tag frühzeitig vom Turnier verabschiedet und die Bühne frei gemacht - für seinen potenziellen Nachfolger?

Nachdem McIlroy an der 18 seine Runde mit einem 25-Meter-Birdie-Putt stylisch beendet, brüllen die Fans, und auf seinem Weg zum Clubhaus versammelt sich sofort eine Traube amerikanischer Mädels um den neuen Star.

Die neue Generation greift an

"Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich mit dieser Runde selbst beeindruckt habe, aber eines weiß ich: Ich war ziemlich stolz danach. Ich war in the zone und habe einfach versucht, so viele Birdies wie möglich zu machen. Als ich vom Platz kam, wusste ich nicht mal genau, was ich geschossen hatte", erzählt Rory McIlroy kurz vor dem Start der US Open im Gespräch mit SPOX.

Nicht nur dank McIlroy erlebt der Golfsport aktuell eine aufregende Zeit. Es gibt Jungstars en masse. Der Australier Jason Day hat in diesem Jahr schon auf der PGA Tour gewonnen, US-Boy Rickie Fowler war nahe dran, der 18-jährige Japaner Ryo Ishikawa spielte am Tag von McIlroys Triumph in Charlotte eine außerirdische 58 auf der japanischen Tour - dazu kommen die schon etablierten Anthony Kim, Camilo Villegas oder natürlich auch Martin Kaymer.

Genau das, was dem deutschen Aushängeschild noch fehlt, hat McIlroy schon geschafft. Er hat in den USA ein Ausrufezeichen gesetzt. Es gibt keinen Zweifel, dass McIlroy unter den Jungstars der am meisten gehypte ist. Er wird von allen Seiten mit Lob überschüttet. Einige Auszüge...

Bernhard Langer: "Er hat die perfekteste Technik, die ich je gesehen habe."

Ernie Els: "Ich glaube, wir sehen hier die kommende Nummer eins der Welt."

Mark O'Meara: "Rory ist besser, als es Tiger in diesem Alter war."

Padraig Harrington: "Rory wird ein ganz Großer. Er hat eine spezielle Gabe, er hat das Temperament eines Killers. Er könnte auf jeden Fall jetzt schon die US Open gewinnen, so gut ist er. Ich sehe ihn als jemanden, der mal mehr als 10 Majors gewinnen wird."

Phil Mickelson: "Er ist ein Hammer-Spieler."

Tiger Woods: "So weit habe ich den Ball nie geschlagen."

Wie geht McIlroy mit so viel Lob und dem dadurch nicht geringer werdenden Druck um? "Ganz ehrlich, der einzige Druck, den ich spüre, ist der, den ich mir selbst mache. Wenn es so sein soll, dass ich der nächste Superstar werde, dann wird es passieren. Und wenn nicht, dann wird es nicht daran gelegen haben, dass ich nicht alles versucht hätte. Ich habe eine tolle Gruppe von Freunden zuhause und gemeinsam mit meiner Familie sorgen sie dafür, dass ich nicht abhebe", sagt McIlroy. Und auch wenn man solche Aussagen von vielen Sportlern hört, ihm glaubt man es.

Seine offene, herzliche und fröhliche Art, auch im Umgang mit den Fans, beeindrucken genauso sehr wie seine 325-Meter-Drives, die auf die Mitte der Fairways krachen. "Mein Vater hat mir immer gesagt: 'Es kostet keinen Penny, nett zu sein.'", sagt McIlroy, der häufig von einem Traum spricht, den er leben würde.

McIlroy: "Schwierig zu sagen, ob ich bereit bin"

Ein Traum, der sich um Major-Siege dreht. Im Juli werden die British Open auf dem Old Course von St. Andrews ausgetragen. Auf dem ehrwürdigen Kurs hat McIlroy noch nie mehr als 69 Schläge benötigt - er scheint prädestiniert, dort seinen ersten ganz großen Triumph zu feiern. Aber sollte McIlroy schon in Pebble Beach zuschlagen, darf es auch niemanden überraschen.

"Es ist sehr schwierig zu sagen, wann man genau bereit für einen Major-Sieg ist. Ich glaube, das weiß man erst im Nachhinein, wenn es passiert ist. Ich bin immer noch dabei, in allen Majors Erfahrungen zu sammeln. Und je mehr Erfahrungen ich mache, desto größer werden meine Chancen", erklärt McIlroy und fügt an: "Ich hoffe, dass ich um den Sieg mitspielen kann und es wäre natürlich toll zu gewinnen, aber dafür muss eine Menge zusammenkommen. Ich werde mein Bestes geben. Wenn ich gewinnen sollte, werde ich auf und ab springen", erklärt McIlroy lachend.

Wer mit ihm spricht, merkt, dass er sich noch nicht ganz wohl fühlt, über Major-Siege zu sprechen, solange er noch keines gewonnen hat. Für die US Open gibt er bescheiden Lee Westwood, Ernie Els, Phil Mickelson und Tiger Woods als seine Favoriten an.

"Die Zeit wird zeigen, ob Tiger den Rekord von Jack Nicklaus (18 Major-Siege, Anm. d. Red.) brechen wird, aber ich bin mir absolut sicher, dass Tiger noch sehr, sehr lange eine Macht darstellen wird", meint McIlroy.

Hauptrolle in Tigers Video-Spiel

Auch wenn sich die Tiger-Vergleiche eigentlich alleine schon deshalb verbieten, weil es mit großer Wahrscheinlichkeit nie mehr jemanden geben wird, der das schafft, was Tiger Woods geschafft hat, seine erste US Open mit 15 Schlägen Vorsprung gewinnen zum Beispiel, muss McIlroy mit dem Label als "The Next Tiger Woods" fertig werden.

Wer schon mit zwei Jahren Drives weit über 30 Meter raus haut, wer mit neun Jahren sein erstes Hole-in-One spielt, wer mit 16 sein erstes Turnier auf der European Tour und mit 18 eine 68 bei der British Open in Carnoustie spielt und auch sonst allerhand Großartiges auf dem Golfplatz vollbringt, der erinnert einen nun mal an TW.

Dass McIlroy diese Herausforderung annimmt und es nach eigener Aussage sogar lieben würde, im letzten Einzel im direkten Duell gegen Woods den Ryder Cup für Europa zu gewinnen, spricht nur für seine Furchtlosigkeit.

Und in einem Punkt hat er schon mit Woods gleichgezogen. Zum ersten Mal in der Geschichte ist Tiger nicht allein auf dem Cover seines beliebten Video-Spiels. In der neuesten Version "Tiger Woods PGA Tour 11" steht McIlroy neben Woods. Ein deutlicheres Zeichen für McIlroys derzeitige Stellung im Golf gibt es nicht.

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