Robin Dutt vom VfL Bochum im Interview: "Leipzigs System ist gefährlich für die Ausbildung"

Robin Dutt ist seit Februar 2018 Trainer beim VfL Bochum.
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Dutt: Weil das Fachliche nur ein Teil des Trainerjobs ist. Der weitaus wichtigere Teil wird immer die Mannschafts- und Menschenführung bleiben. Mit einer guten Taktik, aber einer schlechten Mannschaftsführung hast du als Trainer keine Chance. Mit einem durchschnittlichen oder gar schlechten Training, aber einer guten Mannschaftsführung kannst du trotzdem noch eine Chance haben. Doch woher soll der Mitte-30-jährige Trainer die Erfahrung in Sachen Mannschaftsführung haben? Ich habe das am eigenen Leib erfahren, als ich von Freiburg nach Leverkusen wechselte - und ich war beim SCF ja bereits Erstligatrainer. Das war 2011 und ich war schon 46 Jahre alt. Bei Bayer habe ich im Nachhinein gemerkt, wie groß der Sprung im Vergleich zu Freiburg ist, wenn du auf einmal Spieler der Kategorie Leverkusen im dortigen Umfeld trainierst.

Inwiefern ist Julian Nagelsmann mit seinen 31 Jahren hier eine Ausnahme?

Dutt: Er ist ein außergewöhnliches Trainertalent, aber er war über Jahre im Nachwuchsbereich tätig und bekam dann in einem kleinen Umfeld die Chance ganz oben.

Nagelsmann wäre also aktuell noch kein Trainer für einen ganz großen Klub wie den FC Bayern? So argumentierte ja auch Rummenigge.

Dutt: Da widerspreche ich ihm nicht. Er kann die Bayern in Zukunft sicherlich trainieren, aber jetzt ist es eventuell noch zu früh. Nicht, weil er ein schlechtes Training macht oder keine gute Taktik hat, ganz im Gegenteil, sondern weil er auf dem Gebiet der Mannschaftsführung noch weitere Erfahrung sammeln muss, um mit den Superstars dieser Welt umgehen zu können.

Wie sind Sie einst damit umgegangen, als Sie in Leverkusen Größen wie Michael Ballack trainiert haben?

Dutt: In Freiburg ging die Mannschaft für mich durchs Feuer, in Leverkusen war es genau das Gegenteil. Es war mir gegenüber eine Skepsis da. Ich hatte auch noch nicht die Erfahrung, dass es nichts bringt, wenn ich meine gesamte Fußballidee dort einfach hineinkippe. Im Nachhinein wäre die Fußballidee erst einmal nicht das Wichtigste gewesen. Ich hätte anfangs vielleicht zwei Monate mehr Wert darauf legen sollen, dass alle Spieler zueinanderfinden, sich wertgeschätzt fühlen und man ein für alle Beteiligten gutes Klima erzeugt. Die Spieler hatten ja alle Qualität und konnten kicken. Es hätte daher vermutlich gereicht, taktisch behutsamer vorzugehen.

Was passierte stattdessen?

Dutt: Am Anfang haben die Spieler kurz mitgemacht, doch dann fühlten sich die ersten auf den Schlips getreten. Darauf habe ich wie in Freiburg reagiert, denn dort bist du als Trainer der Chef. Nach und nach flog mir so aber das ganze Ding um die Ohren. Man muss als Trainer schlichtweg in der Lage sein, auch schwierige Personalien zu moderieren. Das kriegst du aber nicht hin, wenn du einen zu großen Teil der Mannschaft nicht im Griff hast.

In der 2. Liga sollen in der Vorsaison mit Hannes Wolf beim HSV und Anfang in Köln zwei junge Trainer auch an solchen Herausforderungen gescheitert sein.

Dutt: Schauen Sie sich die letzte Bundesligatabelle an: Hinter den Bayern kommen mit Favre und Rangnick zwei 61-Jährige, es kommen die über 50-jährigen Bosz, Hecking und Labbadia. Die Vereine, die vorne stehen, wurden alle von erfahrenen Trainer gecoacht. Die jungen Trainer machen tolle Arbeit, aber sie machen sie ab Platz sieben abwärts. Nur eine Handvoll setzt sich wirklich durch, so wie aktuell Nagelsmann oder Kohfeldt, der ebenfalls lange im NLZ arbeitete.

Sie sind als Trainer in der 2. Liga ziemlich weit weg vom sportlichen Glamour. Wie beobachten Sie daher Entwicklungen wie eine aufgeblähte WM, eine EM in mehreren Ländern, eine WM im Winter in Katar oder die diskutierte Reform der Champions League?

Dutt: Garantiert nicht wohlwollend. Diese Suche nach weiteren Einnahmequellen und mehr Macht ist eben die logische Konsequenz einer immer größer werdenden Gier. Wenn es geschlossene Wettbewerbe mit den zu Großteilen immer gleichen Teams geben soll, dann verschwindet letztlich der Leistungsgedanke. Mir als Fußballanhänger ist das schlicht zu viel. Da habe ich keinen großen Spaß mehr, weil ich mich immer seltener emotionalisieren kann. Ich hoffe nur, dass die Bundesliga-Macher so schlau sind und die Liga vor dem Kaputtgehen bewahren.

Wie meinen Sie das?

Dutt: Es könnte ja sein, dass irgendwann einmal ein Konkurrenzprodukt aufgeht und es wie beim Boxen verschiedene Verbände gibt. Dann gibt es vielleicht die Liga der Traditionsvereine, die alle meilenweit von den internationalen Wettbewerben entfernt sind, aber sich zusammenschließen und zwei Ligen - "Tradition Nord" und "Tradition Süd" - gründen. Wer weiß, vielleicht sind die Stadien dann auch dort voll, so dass es für die Sponsoren ebenfalls attraktiv ist, Investitionen zu tätigen. Möglicherweise ist das nur eine verrückte Vision. Ich bin aber überzeugt: Wenn der Bogen wie aktuell voll angespannt ist, findet die Richtigkeit schon ihren Weg.

Im letzten SPOX-Interview sagten Sie, dass Sie vielleicht mit dem operativen Geschäft abgeschlossen hätten, wenn das Angebot aus Bochum nicht gekommen wäre. Nun sind Sie seit 18 Monaten im Amt. Wie blicken Sie in Ihre berufliche Zukunft?

Dutt: Wenn es hier für mich enden sollte, fühle ich mich nicht abhängig vom operativen Geschäft. Mir kann in Bochum eigentlich nichts mehr passieren, denn ich habe die branchenübliche Verweildauer eines Trainers bereits geknackt. Bochum hat meine persönlichen Erwartungen schon erfüllt. Sollten wir uns trennen, muss es Stand jetzt für mich nicht im operativen Geschäft weitergehen - es kann aber sein. Ich wüsste nur: Würde sich aktuell ein Verein melden, der landläufig gesehen attraktiver erscheint als der VfL, wäre das nicht interessant für mich. Einfach weil ich inzwischen weiß, dass es mehr gibt als größere Namen und Geldbeutel, nämlich meine Jobzufriedenheit. Und die habe ich hier zu 100 Prozent.