Ilja Kaenzig vom VfL Bochum im Interview: "Damals dachte niemand, Investoren seien böse"

Ilja Kaenzig ist seit Februar 2018 beim VfL Bochum.
© imago
Cookie-Einstellungen

SPOX: Was würden die Leute Ihnen in diesem Szenario entgegnen?

Kaenzig: Bringt jemand anderen, der eine bessere Geschichte zu erzählen weiß! Für mich ist klar: Fällt 50+1, wird sich alles verändern, auch weil der deutsche Fußball extrem attraktiv ist. Wenn man sieht, wer jetzt schon alles in Frankreich einsteigt, weil es momentan kaum Alternativen gibt, dann ist klar, dass zum Beispiel ein amerikanisches Unternehmen nicht Bordeaux, sondern einen Klub aus Deutschland kaufen würde.

SPOX: Ab Sommer 2015 haben Sie als Geschäftsführer beim französischen Zweitligisten FC Sochaux selbst Erfahrungen mit einem Investor machen können. Was passiert in dieser Hinsicht gerade in Frankreich?

Kaenzig: 2020 greift dort der neue Fernsehvertrag, der von 800 Millionen Euro auf 1,2 Milliarden steigen wird. In der Ligue 2 brach daher die große Gehaltsinflation aus, weil alle Vereine trotz der in Kauf zu nehmenden massiven Verluste mit allen Mitteln 2020 in der Ligue 1 spielen wollen, ja geradezu müssen. Denn der Unterschied zur Ligue 2 wird dann so groß sein, dass man sofort wieder aufsteigt, sollte man einmal absteigen. Wer es bis 2020 nicht schafft, schafft es wohl nur noch mit größtem Einsatz von Mitteln. Wenn man einmal diese Schleusen öffnet, ist es vorbei. Man sieht es am Negativ-Beispiel des ruinösen Wettbewerbs in Englands 2. Liga.

>

SPOX: Inwiefern?

Kaenzig: Wer dort aufsteigen will, muss Jahresverluste bis zu 50 Millionen Pfund einkalkulieren. Steigt man nicht auf, benötigt man diesen Betrag erneut. Die chinesischen Investoren bei Wolverhampton hatten beispielsweise einen langen Atem und waren dazu finanziell in der Lage. Dort stieg man im zweiten Jahr auf. Die chinesischen Investoren bei Aston Villa dagegen setzten alles auf eine Karte, schafften den Aufstieg nicht und hatten dann nicht mehr genügend Geld. Die Klubs liefern sich ein mörderisches Rennen um den Aufstieg, haben aber dermaßen reiche Leute dahinter, die immer weiter investieren. Denn steigen sie auf, haben sie den Jackpot gewonnen und erst einmal 160 Millionen Pfund garantiert. Zudem befindet man sich dann in einem Gentlemen's Klub von Staatsoberhäuptern und anderen wichtigen Personen, die die Klubs besitzen.

SPOX: In Sochaux kam der Investor von der chinesischen Firma "Tech Pro Technologies Development". Wie kam man dort auf Sie?

Kaenzig: Über gemeinsame Bekannte habe ich den Investor kennengelernt, bevor der Verkauf des Vereins stattgefunden hat. So entstand ein Vertrauensverhältnis, das sehr entscheidend war, da Asiaten häufig sehr misstrauisch gegenüber Europäern sein können. Als sie den Klub übernahmen, kamen sie auf mich zu.

SPOX: Wie war das Arbeiten für Sie?

Kaenzig: Sochaux ist ein sehr familiärer und in Frankreich extrem respektierter Klub. Die Chinesen haben sich wirklich immer korrekt verhalten. Die hatten Angst, sich einen Fehltritt zu leisten, jemanden zu beleidigen oder ihr Image kaputt zu machen. Sie haben alles getan, was sie tun konnten.

SPOX: Irgendwann ging der Holding das Geld aus. Was war passiert?

Kaenzig: Der K.o. kam nicht wegen des Fußballs, denn sie haben kein Geld aus dem Verein genommen. Die Firma ist an der Börse gecrasht. Es war ein Tag vor Saisonstart 2016/17, wir waren vor unserem Auswärtsspiel schon im Hotel. Auf einmal flatterte die Meldung herein, dass sie an einem einzigen Tag 95 Prozent verloren haben - das war neuer Rekord für die Hongkonger Börse. Sie wurden von einem amerikanischen Trader, der auf fallende Kurse spekuliert hat, mit ziemlich harten Analystenberichten attackiert. Erst konnten sie das abwehren, beim zweiten Mal sind die Anleger aber geflüchtet. Sie wurden dann später von der Börse suspendiert.

SPOX: Stand für Sie damit fest, dass dies auch Ihr Ende im Klub bedeuten würde?

Kaenzig: Es war mehr als ein Zeichen. Die Schwäche des Unternehmens hat dazu beigetragen, dass man in Frankreich damit begann, uns immer mehr zu attackieren. Der Verein wurde von Peugeot gegründet, gehörte dem Konzern knapp 90 Jahre und plötzlich war der Besitzer ein Chinese. Das war schon kulturell kaum zu verkraften. Der Respekt wurde immer geringer und der Druck größer. Ich habe daher um Vertragsauflösung gebeten - und kurze Zeit später kam der Anruf aus Bochum.

>

SPOX: Hatten Sie im Hinterkopf ohnehin angestrebt, eines Tages wieder in die Bundesliga zurückzukehren?

Kaenzig: Nein. So etwas kann man nicht planen und zuvor jagte ja quasi ein Job den anderen. Es muss letztlich alles zusammenpassen. Ich habe nie gedacht, dass ich eines Tages mal bei Sochaux oder in Bochum lande. Die Rückkehr nach Deutschland ist für mich ein sehr schöner Glücksfall, weil ich hier die Fußballkultur und Ligen gut kenne und ich viele ehemalige Weggefährten treffe, mit denen ich sofort wieder einen guten Draht habe. Es geht im Fußball alles so schnell, dass es sich für mich anfühlt, als wäre ich nur mal eben kurz weg gewesen.

Inhalt:
Artikel und Videos zum Thema