Stevic: "Chaos ist manchmal wie Antibiotika"

Von Interview: Christian Bernhard
Ein Ex-Löwe als neuer Sportdirektor bei 1860 München: Miroslav Stevic
© Getty
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SPOX: Die Löwen stehen momentan im Niemandsland der Tabelle. Was ist diese Saison noch möglich?

Stevic: Was möglich ist, wird sich am 34. Spieltag zeigen. Wir denken von Spiel zu Spiel, Platz drei spielt in unseren Überlegungen überhaupt keine Rolle.

SPOX: Kommen wir zu Ihrer Person. Sie waren zuerst als Berater tätig und arbeiten jetzt als Sportdirektor.

Stevic: Stopp, das muss ich revidieren, ich war nie Berater. Ich habe die Fußballlehrer-Ausbildung erfolgreich absolviert, unter anderem zusammen mit Marco Kurz. Als Berater bin ich genannt worden, weil ich Marko Marin seit seinem 14. Lebensjahr als Ratgeber zur Seite stehe. Das ist eine familiäre Geschichte gewesen, die ich leider Gottes nicht mehr machen kann. Er war der einzige Spieler, der mit mir in Verbindung stand. Mein Wunsch war immer als Sportdirektor zu arbeiten, weil ich da langfristig etwas aufbauen kann. Ich möchte als Visionär etwas schaffen, was später noch in Erinnerung bleibt.

SPOX: Während Ihrer Ausbildung zum Fußballlehrer haben sie unter anderem ein Praktikum bei Juventus Turin und dem damaligen Coach Didier Deschamps absolviert.

Stevic: Das war eine tolle Zeit. Juve ist ein sensationell organisierter Verein. Es ist unglaublich, wie professionell, aber gleichzeitig familiär dort gearbeitet wird. Mein Ziel ist es, bei 1860 so etwas in kleinerem Rahmen aufzuziehen.

SPOX: Sie haben bereits angedeutet, dass sich alle Spieler in der laufenden Saison für die neue Saison anbieten müssen. Wie stellen Sie sich die Löwen 2009/2010 vor?

Stevic: Das Beste was einem Spieler passieren kann, ist, dass sein Vertrag ausläuft und er sich präsentieren kann. In meiner aktiven Spielerzeit war das der Idealfall für mich. Solange wir aber noch nicht in ruhigeren Tabellenregionen sind, können wir uns noch nicht auf die neue Saison konzentrieren. Dafür brauchen wir noch zwei oder drei Siege. Deswegen ist es auch im Interesse der Spieler, schnell Erfolge einzufahren, weil wir uns dann mit ihren Verträgen beschäftigen können.

SPOX: Wie steht es um die Zukunft "Ihrer" Neuverpflichtungen Antonio Rukavina und Nikola Gulan?

Stevic: Es wird nicht einfach, Spieler dieser Klasse zu halten. Wir werden sehen, was möglich ist.

SPOX: In den vergangenen Wochen standen die Verhandlungen mit Investor Nicolai Schwarzer im Fokus der Öffentlichkeit. Schwarzer schrieb am Ende der Verhandlungen 1860 "einen gewissen Hang zum Chaos" zu. Wie stehen Sie zu dieser Aussage?

Stevic: Wir werden alles dafür tun, dass wir sportlichen Erfolg und Stabilität im Verein haben. Dann wird unsere Ausgangsposition viel besser.

SPOX: Braucht Sechzig etwa einen gewissen Chaos-Pegel?

Stevic: Chaos ist nicht gut, aber manchmal braucht man etwas davon, damit Ruhe einkehren kann. Die unglückliche letzte Zeit hat uns klargemacht, dass es an der Zeit ist, umzudenken. Zuviel Ruhe ist allerdings auch gefährlich. Manfred Stoffers hat gesagt: "Ruhe kriegt man auf dem Friedhof".  Deshalb ist Chaos manchmal wie ein Antibiotikum. Dosiert man es gut, wird man davon gesund. Nimmt man zuviel davon, leidet man darunter.

SPOX: Präsident Rainer Beck meinte, dass "die Zeit der Selbstzerfleischung" nun vorbei sei. War es wirklich so schlimm?

Stevic: Der Begriff Selbstzerfleischung erinnert mich an die Steinzeit. Ich schätze Herrn Beck sehr und weiß, was er gemeint hat. Er ist ein Mensch, der nach Harmonie strebt. Wie schnell wir das erreichen, wird immer vom sportlichen Erfolg abhängen. Deshalb wird das Fundament, auf das wir bauen, immer der sportliche Erfolg sein.

SPOX: Einige altgediente Fans haben in letzter Zeit ihren Unmut laut kundgetan und sich vom Verein abgewandt. Können Sie diese Anhänger verstehen?

Stevic: Ich habe die Fans in den guten und jetzt auch in diesen schwierigen Zeiten erlebt und kann sie vollkommen verstehen. Wenige Fans auf dieser Welt leiden so mit ihrem Verein wie die 1860-Anhänger. Zum Glück verzeihen auch wenige Fans so schnell wie unsere. Die Mannschaft ist jetzt gefordert, ihnen wieder schöne Zeiten zu bereiten.

SPOX: Größter Stein des Anstoßes ist die Stadionfrage.

Stevic: Wir liegen momentan im Krankenbett, können also nichts über das Knie brechen. Die Allianz-Arena ist wie ein schönes Geschäft in guter Lage: Da muss man gute Ware verkaufen. Wir müssen erfolgreich sein, kurzfristig in die Bundesliga aufsteigen und dann können wir uns Gedanken machen. Jetzt wäre das unrealistisch.

SPOX: Was heißt kurzfristig aufsteigen genau?

Stevic: Solange 1860 in der 2. Liga ist, muss das Ziel immer der Aufstieg sein.

SPOX: Werden Sie, Geschäftsführer Manfred Stoffers und Uwe Wolf das neue Sechzig-Dreigestirn, mit dem der Verein an erfolgreiche Zeiten anknüpft?

Stevic: Ein Verein besteht nie aus zwei oder drei Personen. Es braucht immer ein funktionierendes Team, angefangen von der Vereinsführung bis zur Putzfrau. Wenn dann auch noch die Entscheidungsträger perfekt zusammenarbeiten, dann funktioniert ein Verein. Das sieht man zum Beispiel am FC Bayern München oder Werder Bremen.

Der Kader des TSV 1860 München