Filippo Galli: Wir brauchen auch 2. Mannschaften

Von Interview: Christian Bernhard
Filippo Galli (r.) ist eine Milan-Legende - und Leiter des Rossoneri-Jugendsektors
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SPOX: Der italienische Jugendfußball steckt momentan auch deshalb in der Krise, da die jungen Spielern in ihren Vereinen nur selten zum Zug kommen. Zuletzt scheiterte auch die U 21 in den EM-Quali-Playoffs gegen Weißrussland. Wie kommt Italien aus dieser Krise?

Galli: Die Verbandsspitze arbeitet daran. Eine von Sacchi geleitete Task Force hat sich der Problematik angenommen, Sacchi selbst wird alle Jugendzentren in Italien besuchen. Ich denke, dass die Zusammenarbeit zwischen Verband und den Klubs verbessert werden und eine gemeinsame Strategie ausgearbeitet werden kann. Die Talente gibt es, davon bin ich überzeugt.

SPOX: Müssen nicht auch die Klubs ihre Herangehensweise ändern?

Galli: Ja, es geht auf jeden Fall in diese Richtung. Das UEFA-Financial-Fairplay wird diese Entwicklung unterstützen, denn die Investitionen müssen in einen gewissen Rahmen passen. Dadurch wird der Jugendsektor mehr in den Mittelpunkt rücken. Aber noch einmal: Leo Messi oder Balotelli debütieren zu lassen, ist nicht schwer. Schwierig ist es, Spieler zum Debüt zu verhelfen, die nicht herausragende Qualitäten haben. Diese müssen unbedingt Erfahrung in einer Profiliga sammeln - und nicht nur in der "Primavera"-Meisterschaft, da diese eine reine Jugendliga ist. Ich stelle mir eine Profiliga mit Bezugstrainern der eigenen Profimannschaften und mit deren Spielphilosophie vor, damit der Übergang einfacher wird.

SPOX: Die italienischen Trainer sind weltweit begehrt, trotzdem schaffen es die jungen Spieler in Italien nur schwer nach oben. Eigentlich ein Paradoxon, da die italienische Trainerschule einen enorm hohen Stellenwert genießt.

Galli: Gar nicht mal so sehr. Die italienischen Trainer sind taktisch besser geschult als der Durchschnitt, aber um junge Spieler nach oben zu bringen, braucht man auch andere Qualitäten. Wir brauchen Ausbilder, die den technischen Bereich bestmöglich vermitteln. Für mich ist die Technik die Basis für alles weitere. Physis und  Schnelligkeit sind auch wichtig, die Technik ist aber der grundlegende Aspekt.

SPOX: Sie waren auch schon als "Primavera"-Trainer tätig und waren im Frühjahr ein heißer Kandidat für die Leonardo-Nachfolge. Wie knapp sind Sie am Cheftrainer-Posten vorbeigeschrammt?

Galli: Ja, es gab die Möglichkeit, die Profis zu übernehmen. Der Verein hatte etwas in diese Richtung angedeutet. Ich habe die ganze Situation aber sehr entspannt gesehen und mich immer auf meine Arbeit als Jugendsektor-Leiter konzentriert. Als sich der Klub für Max (Allegri, Anm. d. Red.) entschieden hat, war ich froh. Er ist ein Freund und macht eine tolle Arbeit. Wir versuchen, ihn mit unserer Arbeit im Jugendsektor zu unterstützen.

SPOX: Wie ist Ihr Kontakt zu Allegri? Er ist aus seiner Zeit in Cagliari bekannt dafür, gerne und gut mit jungen Spielern zu arbeiten.

Galli: Wir stehen in ständigem Austausch und er beobachtet unseren Sektor ganz genau, besonders die "Primavera"-Mannschaft. Seine Präsenz ist gut für uns, aber bei allem Respekt für Cagliari: Milan ist eben eine andere Hausnummer, hier ist es aufgrund der vorhandenen Qualität nicht einfach, junge Spieler ins Profiteam einzubauen.

SPOX: Einer, der das in Zukunft schaffen könnte, ist der Spanier Adria Carmona, den Sie im Sommer aus der Jugendabteilung von Barca geholt haben.

Galli: Das war eine spezielle, keine alltägliche Operation. Der Junge wollte nicht mehr in Barcas Jugendsektor spielen, war aber noch nicht reif für den Sprung in die B-Mannschaft - deshalb bekam er vom Verein die Freigabe. Wir haben eine Außenstürmer gesucht und zugeschlagen, als sich die Möglichkeit ergab. Wir haben unsere Augen überall offen. Unser Chefscout Mauro Pederzoli, der auch für den FC Liverpool gearbeitet hat, ist momentan z.B. in Argentinien.

SPOX: In Deutschland wird besonders die Entwicklung von Alexander Merkel verfolgt. Wie stufen Sie ihn ein?

SPOX: Alex ist technisch sehr stark, seine Laufstärke und Ausdauerwerte sind auch sehr gut. Verbessern muss er sich noch wenn es darum geht, die richtige Entscheidung auf dem Platz zu treffen, wenn er den Ball hat. Er hat eine tolle Vorbereitung gespielt, aber auch er braucht Einsätze in einer Profiliga, um den Schritt nach ganz oben zu schaffen. Talent hat er allemal.

SPOX: Wäre eine Ausleihe bei ihm vorstellbar?

Galli: Klar. Wenn es uns nicht gelingt, die 2. Mannschaften bald umzusetzen, ist eine Erfahrung außerhalb des Klubs auf jeden Fall eine Möglichkeit.

SPOX: Zurück zu den Profis: Was trauen Sie dem Allegri-Team in dieser Saison zu? Der Traum vom Scudetto lebt ja.

Galli: Titel zu holen ist immer schwer, aber ich glaube, dass die Mannschaft gerüstet ist, Meister zu werden. In der Champions League ist es schwierig, Prognosen zu stellen. Da kommt es darauf an, wie man im Frühjahr in Form ist, wenn die Spiele kommen, die zählen.

SPOX: Und ihre Jungs? Wer kann den Sprung schaffen?

Galli: Ich mache keine Prognosen. Sie müssen nur arbeiten, sehr hart arbeiten und sich bewusst sein, dass der Weg lang und beschwerlich ist. Aber wir haben Vertrauen in sie.

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