Alex, das verschmähte Genie

Von Cihan Acar
Alex de Souza spielte 48 Mal für die Nationalmannschaft Brasiliens und erzielte dabei zwölf Tore
© Imago

Seit seiner Ankunft bei Fenerbahce vor sechs Jahren hat Alex Titel gewonnen und ist der große Fener-Star, der im Umfeld höchsten Respekt genießt und großen Einfluss besitzt. Trotz seines Erfolges aber wird seine Zeit in der Türkei von kritischen Stimmen begleitet und auch das Verhältnis zu seinem neuen Trainer ist jetzt schon angespannt. Der Vereinsheld lässt sich von der anhaltenden Kritik nicht beirren.

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Bei "Telegol", einem bekannten TV-Format in der Türkei, in dem sich diverse Ex-Fußballer, -Schiedsrichter und -Funktionäre am Ende jedes Spieltages mitunter lauthals über Themen des türkischen Fußballalltags streiten, geht es in einer Sendung einmal mehr hoch her.

Das Streitthema: Alex de Souza, langjähriger Kapitän und absoluter Star des Rekordmeisters Fenerbahce. Für Ziya Sengül, Ex-Fener-Spieler und Vereinslegende, ist die Sache ganz eindeutig: "Schaut euch die Statistiken an. Kein ausländischer Fußballer hat in der Türkei bisher soviel geleistet. Alex ist die Nummer eins."

"Internationaler Erfolg gleich Null"

Gökmen Özdenak, der früher jahrelang erfolgreich für Fener-Erzrivale Galatasaray stürmte, bekommt sich beim Thema Alex immer wieder mit Sengül in die Haare: "Das einzig Gute an Alex sind doch seine Technik und seine Kaltschnäuzigkeit, mehr nicht! Er läuft nicht, er arbeitet nicht nach hinten. Dass er in der Türkei Erfolg hat, ist für den türkischen Fußball ein schlechtes Zeichen."

Eine vermittelnde Ansicht äußert Ahmet Cakar, ein bekannter Ex-Schiedsrichter: "Was Alex seit Jahren in der Türkei leistet, ist sensationell, das stimmt. Doch sein Anteil an den internationalen Erfolgen Feners ist gleich Null."

"Lexotan", der neue Spielmacher

Die Diskussion und die geäußerten Meinungen sehen stellvertretend für die Wahrnehmung des Alex de Souza in seiner Fußballheimat. Doch wer hat Recht? Ist Alex ein Genie oder nur ein lauffauler Schönspieler? Die Meinungen gehen weit auseinander. Und das obwohl, der Brasilianer schon seit sechs Jahren in der Süper Lig spielt.

Schon als Alex in der Türkei ankam, kam die Kritik mit ihm. Als er 2004, nach einem kurzen Intermezzo zwei Jahre zuvor beim AC Parma, von Cruzeiro Belo Horizonte zu Fenerbahce wechselte, wurde er in der Türkei zwar als "großer Spieler" und "wahrer Leader auf dem Platz" vorgestellt, gleichzeitig wurde aber auch berichtet, dass er in seiner Heimat aufgrund seiner phlegmatischen Art auf dem Platz den Spitznamen "Alexotan" bekommen habe, der von einem Schlafmittel namens "Lexotan" abgeleitet wurde.

Der Statistik-König

Doch die vermeintliche Schlafmütze fand sich schnell in Istanbul zurecht: Der beidfüssige Spielmacher erzielte schon in seiner ersten Saison wettbewerbsübergreifend 29 Treffer, gab 25 Vorlagen und führte seinen neuen Verein zum Meistertitel.

Auch in den darauffolgenden Jahren war Alex der herausragende Spieler seiner Mannschaft: in seinem zweiten Jahr gab er die meisten Assists der Liga, und in seiner dritten Spielzeit wurde er als erster ausländischer Fener-Spieler Torschützenkönig und zum zweiten Mal türkischer Meister.

Zudem hat Alex bislang in jeder Saison mindestens 25 Scorerpunkte und insgesamt in 261 Spielen 126 Tore erzielt.

Alex, der Wortführer

Der nach außen hin sehr ruhig und in sich gekehrt wirkende Brasilianer ist auf dem Platz ein klassischer Regisseur, ein "Zehner" der traditionellen Art. Die sportliche Bedeutung für seine Mannschaft hat sein Ex-Trainer Christoph Daum einmal so beschrieben: "Bei uns gilt das Motto: Wenn du nicht weißt, wohin mit dem Ball, dann spiel ihn einfach zu Alex."

Durch seine jahrelang gezeigten Leistungen ist Alex inzwischen der Kapitän und die absolute Identifikationsfigur bei Fener, sein Wort hat Gewicht im Verein.

"Er ist der Leader, auf und neben dem Platz", so Daum. Er wird für seinen ausgeglichenen Charakter und seine Professionalität geschätzt, die Fans liegen ihm zu Füßen, und die Taktik wird seit Jahren nach ihm ausgerichtet. Soviel Einfluss wirft auch seine Schatten.

Die System-Problematik

So ist es bei Fener seit Jahren Gesetz, dass stets mit nur einem Stürmer gespielt wird, da der brasilianische Superstar von jeglicher Defensivarbeit befreit ist und daher zwei defensive Mittelfeldspieler hinter ihm postiert werden und ihm den Rücken freihalten müssen.

Eine Vorgehensweise, um die noch kein Trainer der Alex-Ära herumgekommen ist. Das Problem dabei: so gut wie jeder namhafte Stürmer ist im Schatten des Regisseurs untergegangen.

Zwischen Alex und dem Ex-Fener-Stürmer Nicolas Anelka soll es zu ihrer gemeinsamen Zeit bei Fenerbahce gar einen offenen Streit gegeben haben. Als Anelka die Türkei nach nur einer Saison wieder verließ, erklärte Spielerberater Kazim Avci, der den Transfer Anelkas zu Fenerbahce eingefädelt hatte, dass der Abgang des Franzosen überwiegend an Alex lag.

Keine Bälle für Anelka?

Im Vertrauen habe Anelka zu ihm gesagt: "Wenn Alex den Ball hat, laufe ich mich nicht einmal frei, weil ich eh weiß, dass er mich nicht anspielen wird". Grund dafür soll die Freundschaft zwischen den Landsmännern Alex und Marcio Nobre gewesen sein, der damals noch für Fener spielte und inzwischen für Besiktas stürmt.

Nobre hatte Alex bei seiner Ankunft in Istanbul unter die Fittiche genommen und ihn in die Mannschaft integriert. "Wenn Nobre auf der Bank saß, gab Alex mir die Schuld dafür und ignorierte mich. Durch seinen Einfluss auf die Mannschaft bekam ich plötzlich überhaupt keine Bälle mehr. Darunter hat meine Leistung und die der Mannschaft sehr gelitten", so Anelka.

So wurde die Saison 2005/06 von Gerüchten über mannschaftsinterne Querelen begleitet, und im letzten Saisonspiel verlor Fenerbahce die sicher geglaubte Meisterschaft durch eine Niederlage in Denizli am letzten Spieltag, bei der Anelka fast die gesamte Spieldauer nur auf der Bank saß, noch an Galatasaray.

Der Türkei-Twitter von SPOX

Alex bleibt gelassen

Und bei all den Superlativen und seinen Erfolgen, die öffentliche Kritik an ihm konnte Alex bis heute nicht abstellen. Der Brasilianer reagiert darauf gelassen: "Das ist eben meine Spielweise. Ich werde auch in Zukunft nichts an ihr ändern. Meine Statistiken sprechen für sich. Wer sich die nackten Zahlen anschaut, der weiß, dass ich meinen Job erledige."

Trotz Kritik steht fest: bei Fenerbahce ist und bleibt Alex unumstritten. Mit seinen inzwischen 33 Jahren lieferte er im vergangenen Jahr mit elf Toren und 14 Vorlagen erneut eine sehr starke Saison ab.

Allerdings herrscht unter dem neuen Trainer Aykut Kocaman ein neuer Ton, auch für den Superstar: als Kocaman kürzlich nach der Testspielpleite gegen den 1.FC Köln (2:5) öffentlich erklärte, dass "niemand unverzichtbar" sei und sich "niemand auf seinen Lorbeeren ausruhen" solle, wurde das auch als klare Ansage in Richtung Alex interpretiert.

Neuer Ton unter Kocaman

Zudem verweigerte Kocaman Alex eine verspätete Rückkehr aus dem Heimaturlaub in Brasilien, den Alex in der Vergangenheit immer wieder eigenhändig verlängert hatte und dafür von Kocaman schon vor seinem Engagement als Trainer kritisiert wurde.

Während der Sommerpause wurde von türkischen Medien sogar schon berichtet, dass Kocaman nicht mehr mit Alex plane und ihn nicht einmal mehr unter den ersten Elf sehe. Daraufhin suchte Kocaman seinen Kapitän aber noch vor dem Heimaturlaub auf und versicherte ihm, dass er ihn auch für die neue Spielzeit als absolute Führungsfigur einplane und hinter ihm stehe.

Dass die Gerüchte aber nicht von ungefähr kommen, wurde am vergangenen Mittwoch deutlich, als Fenerbahce im eigenen Stadion mit 0:1 gegen die Young Boys Bern unterlag und damit die Qualifikation zur Champions League verpasste.

"Vieles wird sich ändern"

Alex, der schon im Hinspiel eine unglückliche Partie lieferte, wurde von Kocaman nach einer abermals schwachen Halbzeit zur Pause ausgewechselt. Auf die Auswechslung angesprochen, legte Kocaman nach dem Spiel nach: "Fenerbahce ist in den letzten fünf Jahren nur einmal Meister geworden. Vieles wird sich hier ändern, nicht nur in Bezug auf Alex."

Ein Bekenntnis sieht wahrlich anders aus. Die Maßnahme des Trainers in einem derart wichtigen Spiel sorgte für viel Aufruhr, und der Ausgewechselte selbst zeigt sich geschockt: "Ich habe nicht gut gespielt. Trotzdem hätte ich erwartet, weiterzuspielen. Die Auswechslung hat mich sehr enttäuscht."

Auch wenn Kocaman als Vereinslegende in der Öffentlichkeit große Unterstützung genießt - im Fall Alex betreibt der neue Trainer ein gefährliches Spiel. Sollte der Saisonstart auch in der Liga vergeigt werden, kann der Affront gegen Alex auch schnell zum Bumerang werden.

"Sie werden mich immer kritisieren"

So ist auch inzwischen die Zukunft des Brasilianers unklar. Sein Vertrag läuft aus - über die Zukunft will er nicht sprechen. Medienberichten zufolge aber soll der Verein planen, ihn nach dem Ende seiner Karriere zunächst als Assistenztrainer und später als Chefcoach einzubauen. Die Beziehung Alex - Fenerbahce könnte also trotz allem noch lange anhalten.

Dass es mit den hohen Erwartungshaltungen der türkischen Öffentlichkeit mitunter schwierig werden kann, ist Alex nach seinen sechs Jahren in Istanbul inzwischen bewusst: "Sie werden mich immer kritisieren", sagt er. Doch der Erfolg gibt ihm Recht.

Das muss auch sein größter Kritiker bei "Telegol", Gökmen Özdenak, zugeben. Während der Diskussion gewährt er dem von ihm so Kritisierten nämlich eines zu: "Ohne Alex ist Fenerbahce nichts."

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