Gülselam: Mit dem Taxi ins Glück

Von Interview: Fatih Demireli
Ceyhun Gülselam kann in der Innenverteidigung und im defensiven Mitelfeld spielen
© anadolu

Eine Karriere wie aus dem Märchen: Als Drittliga-Spieler wurde Ceyhun Gülselam in die Nationalmannschaft der Türkei berufen. Inzwischen ist er Stammspieler beim Spitzenklub Trabzonspor. Auch beim Anatolien-Derby gegen Bursaspor (1:1) kam er zum Einsatz. Im Interview mit SPOX spricht der 22-Jährige über seinen steilen Aufstieg, die EM-Qualifikationsspiele gegen Deutschland und erklärt, weshalb in Trabzon manchmal der Fernseher nicht eingeschaltet wird.

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SPOX: Die Türkei spielt mit Deutschland in der gleichen Gruppe bei der Qualifikation für die EURO 2012. Wie war die erste Reaktion auf das Los?

Ceyhun Gülselam: Ich habe es fast schon geahnt, dass wir Deutschland in der Gruppe haben werden. Ich hatte es wirklich im Gefühl und deswegen war ich nicht mal überrascht.

SPOX: Sie sind in Deutschland geboren, sind aber türkischer Nationalspieler. Gegen Deutschland zu spielen, hat zwei Aspekte für Sie: den persönlichen und den sportlichen. Was beschäftigt Sie mehr?

Gülselam: Eigentlich nur das Sportliche. Es geht darum, dass wir als Team erfolgreich sein müssen und nur das zählt. Aber klar, im Hinterkopf hat man es schon, dass es gegen Deutschland geht. Die Freunde schauen zu, die Verwandten schauen zu - es ist das Land, in dem man aufgewachsen ist.

SPOX: Wie stehen die Chancen der Türkei in der Gruppe?

Gülselam: Ich bin mir sicher, dass wir die Qualifikation packen.

SPOX: Als Gruppensieger?

Gülselam: Warum nicht? Wir haben gute Chancen.

SPOX: Ein besonderes Spiel wird es mit Sicherheit für Mesut Özil und Serdar Tasci, deren Eltern aus der Türkei kommen. Können Sie sich in deren Lage versetzen?

Gülselam: Schwer. Es ist natürlich für beide Spieler nicht so einfach, aber ich habe größten Respekt vor deren Entscheidungen. Mesut und Serdar würden uns sicher auch gut zu Gesicht stehen, aber sie haben sich nun mal so entschieden und sie machen ihre Sache in der deutschen Nationalmannschaft auch sehr gut. Das sind zwei wirklich sehr gute Spieler.

SPOX: Wie war es bei Ihnen?

Gülselam: Für mich stand es schnell fest, dass ich für die türkische Nationalmannschaft spielen will. Das war mein Wunsch und etwas anderes kam gar nicht in Frage.

SPOX: Sie sind aktueller Nationalspieler und haben sehr gute Chancen, in den Spielen gegen Deutschland dabei zu sein. Vor zwei Jahren haben Sie noch in der dritten Liga für Unterhaching gespielt. Das muss immer noch wie ein Traum für Sie sein.

Gülselam: Auf jeden Fall. Als kleiner Junge habe ich immer schon davon geträumt, Nationalspieler zu werden und in der ersten Liga zu spielen. Es ist alles in Erfüllung gegangen. Aber fertig bin ich noch lange nicht. Ich gebe mich mit der aktuellen Situation nicht zufrieden und habe weitere Ziele.

SPOX: Wie sehen die aus?

Gülselam: Es ist natürlich schön, dass ich in der Nationalmannschaft spiele, aber es reicht nicht nur berufen zu werden und dann nicht mehr dabei zu sein. Ich will dauerhaft dabei sein und immer spielen.

SPOX: Sie wurden 2008 als Drittliga-Spieler zu einem A-Länderspiel eingeladen. Wie kam es dazu? Haben Sie gewusst, dass Sie Fatih Terim beobachtet?

Gülselam: Das ist eine lange Geschichte...

SPOX: Wir haben Zeit...

Gülselam: Es ist so, dass ich damals eigentlich zur U-21-Nationalmannschaft berufen wurde. Ich stand am Istanbuler Flughafen, bin ins Taxi eingestiegen und habe dem Fahrer gesagt, dass er mich zum Hotel der U 21 fahren soll. Er hat wohl verstanden, dass ich zur A-Mannschaft will und hat mich ins Hotel von denen gefahren.

SPOX: Und dann?

Gülselam: Ich war dann erstmal bei der A-Mannschaft. In der Lobby habe ich gleich Fatih Terim und sein Team gesehen. Ich habe Co-Trainer Oguz Cetin gefragt, ob die U 21 auch hier wäre. Weil es nicht so war, musste ich wieder ins andere Hotel fahren.

SPOX: Dort sind Sie dann geblieben?

Gülselam: Nein, der damalige U-21-Trainer Ümit Davala hat mich auf sein Zimmer gerufen und mir mitgeteilt, dass sich Gökhan Zan verletzt hat und Fatih Terim mich in der A-Mannschaft haben will. Also ging es wieder ins andere Hotel.

SPOX: Fatih Terim kannten Sie damals wohl nur aus dem Fernsehen. Wie war die erste Begegnung mit dem Imperator?

Gülselam: Es gab einen Smalltalk. Er hat mich gefragt, wie es mir geht, ob alles klar ist und dass ich mich erst einmal ausruhen soll, weil es schon fast nachts war.

SPOX: Und dann stand das Debüt gegen Weißrussland an.

Gülselam: Terim hat mich gleich mal 90 Minuten in der Innenverteidigung spielen lassen und ich glaube, dass ich ein gutes Spiel abgeliefert habe. Ich war endlos glücklich.

SPOX: Nach dem Länderspiel-Debüt war schnell klar: Irgendwann geht's zu einem türkischen Top-Klub. Wie kam es zum Wechsel nach Trabzon?

Gülselam: Eigentlich wollten mich die Top-Klubs der Türkei gleich schon im Winter verpflichten, aber wir kämpften mit Unterhaching um den Aufstieg in die 2. Bundesliga. Der Vorstand hat deswegen alle Gespräche abgelehnt. Am Ende der Saison durfte ich dann gehen und Trabzonspor wollte mich ja auch schon vor dem Debüt in der Nationalmannschaft.

SPOX: Trabzon ist kein einfaches Pflaster: Fußballverrücktes Publikum, das schnell schwarz und weiß malt. Wie erleben Sie das Ganze?

Gülselam: Das ist eine richtige Fußballstadt. Die Menschen hängen unglaublich am Verein. Wenn am Wochenende das Ergebnis nicht passt, dann läuft es in der Woche in der Arbeit schlecht. Die Menschen hier schauen dann eine Woche kein Fernsehen mehr, weil in der Türkei jeden Abend Fußballsendungen laufen.

SPOX: Sie sind immer wieder zu Hause in München. Der Kontakt nach Deutschland bricht nie ab, oder?

Gülselam: Nein, meine Familie lebt ja auch noch dort. Ich komme immer wieder gerne nach Deutschland.

SPOX: In der Türkei spielen sehr viele Spieler, die in Deutschland groß geworden sind. Gibt es Kontakt untereinander?

Gülselam: Ja, sehr viel sogar! Ich weiß nicht, ob man das vergleichen kann, aber wenn sich in einem Spiel zwei Kameruner treffen, reden sie auch miteinander. So ist es eigentlich bei uns auch. Die meisten kennen sich aus gemeinsamen Zeiten aus der Jugend in Deutschland, der Bundesliga oder der Nationalmannschaft.

SPOX: Bei Trabzon gibt es ja auch einige...

Gülselam: Ja, Murat Tosun, Engin Baytar, Zafer Yelen, Sezer Badur - die letzten drei sind waschechte Berliner Jungs (lacht).

SPOX: Seit Klub-Legende Senol Günes wieder Trainer in Trabzon ist, läuft es richtig gut. Was macht ihn so besonders?

Gülselam: Er kann uns super motivieren. Das Verhältnis zwischen Mannschaft und Trainer ist einfach klasse. Er hat hier selbst gespielt, war früher schon Trainer und kennt Klub und Stadt wie kein anderer. Er verbreitet immer positive Energie und das tut uns gut.

SPOX: Sie waren bei Hugo Broos gesetzt, dann bei Günes zunächst auf der Bank und spielen jetzt wieder. Wie bewerten Sie Ihre Situation?

Gülselam: Stimmt, ich bin zuletzt auf der Bank gelandet, aber das kommt im Fußball vor. Ich habe gegen Manisaspor meine Chance bekommen und auch gleich ein Tor gemacht. Die Chancen, die kommen, muss man einfach nutzen.

SPOX: Die türkische Presse hat Sie schon "der türkische Lampard" genannt. Die Trabzon-Fans sagen wegen Ihrer Schusskraft "der neue Hami". Welcher Vergleich ist besser?

Gülselam: Von allem etwas (lacht). Nein, ich will lieber ich selbst bleiben. Auf Vergleiche stehe ich nicht so.

SPOX: Ihr Vertrag geht noch bis 2011. Wie sind Ihre Pläne?

Gülselam: Ich will meine Karriere Schritt für Schritt planen und mache mir eigentlich jetzt darüber keine Gedanken, was 2011 ist. Unabhängig von der Vertragslänge kann im Fußballer immer etwas passieren. Ich lasse alles auf mich zukommen.

SPOX: Wäre ein Wechsel in die Bundesliga interessant?

Gülselam: Warum nicht? Ich lasse mir alles offen. Jeder Spieler will irgendwann einmal in einer Liga wie der Premier League oder der Bundesliga spielen, aber ich will jetzt keine Spekulationen schüren.

SPOX: Sie haben für die Jugend des FC Bayern gespielt und haben den Durchbruch geschafft. Gibt es von damals Kollegen, die ähnlich Karriere gemacht haben?

Gülselam: Ja, Sandro Wagner beispielsweise, der jetzt zu Werder Bremen gewechselt ist. Mats Hummels kenne ich auch noch. Stephan Fürstner spielte lange bei Bayern und jetzt bei Greuther Fürth. Erdal Kiicarslan, der für die deutsche U 21 spielte, ist jetzt in der Türkei bei Konyaspor aktiv. Auch er war bei Bayern.

SPOX: Vielleicht geht ja Ihre Reise irgendwann mal zurück zu den Bayern...

Gülselam: Der FC Bayern wird immer ein großer Verein sein. Man braucht keinen Fußballer zu fragen, ob er zu Bayern will.

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