Ladenhüter mit angeranzten Arenen

SID
Goodison Park: Die Spielstätte des FC Everton kann mit vielen Premier-League-Stadien nicht mithalten
© Getty

Der FC Everton sucht dringend nach potenten Investoren, erweist sich aber als klassischer Ladenhüter. Selbst für einen Mann wie Keith Harris, der bereits fünf Premier-League-Klubs an den Mann gebracht hat. Warum? Das analysiert Raphael Honigstein. Für SPOX berichtet er jeden Donnerstag aus London von den Entwicklungen vor Ort.

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Der Londoner Bankier Keith Harris hat in den vergangenen Jahren die Übernahme von fünf Premier-League-Vereinen organisiert und ist gerade bemüht, Newcastle United an den (reichen) Mann zu bringen. Der FC Everton, für den er ebenfalls einen Käufer sucht, erweist sich jedoch leider als klassischer Ladenhüter.

"Ich mache keine Fortschritte", hat Harris in der vergangenen Woche zugegeben, "leider sind die demographischen Voraussetzungen für Liverpool nicht sehr gut. Die Stadt ist nicht gerade reich. Everton muss sie sich zudem mit einem anderen Verein teilen, der in dieser Dekade die Vorherrschaft hat. Und beide Klubs müssen neue Stadien bauen. Die Wirtschaftlichkeit steht in Frage."

Angeranzte Arenen

Außer Frage steht, dass sowohl die Reds als auch die Toffees neue Spielstätten brauchen, um langfristig konkurrenzfähig zu sein. Anfield Road (Kapazität: 45000) und Goodison Park (40000 Zuschauer) sind, bei allem Charme, leicht angeranzte Arenen und im nationalen Vergleich für einen Spitzenverein einfach zu klein.

"Wir nehmen in jedem Heimspiel ein Drittel weniger als der durchschnittliche Premier League-Klub ein", sagt Evertons Geschäftsführer Robert Elstone. "Wenn das Emirates Stadion vom FC Arsenal öffnet, setzen sie beispielsweise drei Millionen Pfund (3,6 Millionen Euro) ein, wir dagegen nur 800 000  Pfund (960 000 Euro). So kann es nicht weiter gehen."

Bei den erfolgeicheren Nachbarn von der Anfield Road ist die Lage ähnlich. Der Verein plant ein neues Stadien für bis zu 70 000 Zuschauer, das umgerechnet 420 Millionen Euro kosten soll. Die Bauarbeiten hätten schon im vergangenen Sommer beginnen sollen, wurden aber auf Grund der Finanzkrise auf unbestimmte Zeit verschoben.

Evertons neue Arena im Nachbarort Kirkby soll gar 480 Millionen Euro kosten. Auch hier ist die Finanzierung keineswegs gesichert.

Das Wembley des Nordens

Harris kann angesicht dieser Probleme nur verächtlich mit dem Kopf schütteln. "Der kontroverse Vorschlag, den sich niemand zu machen traut, wäre ein neues Stadion für beide Klubs zu bauen", sagt er. "Ein gemeinsames Stadion würde wirtschaftlich Sinn machen und Investitionen in die Vereine einfacher machen."

Der Liverpooler Verwaltung würde dies begrüßen. "Wir könnten hier das Wembley des Nordens errichten", sagt Stadtrat Warren Bradley.

Die Vereine aber sind resolut dagegen  - weil die Fans an der Mersey  resolut dagegen sind. "Unsere Anhänger wollen das nicht. Es gibt keine Diskussion.", sagt Rick Parry, der Geschäftsführer der Reds.

Wie stark die Opposition ist, lässt sich leicht in den Fan-Foren ablesen. Einige sachliche Einwände werden vorgebracht - starke Abnutzung des Rasens, Schwierigkeitein bei der Einkommenverteilung - der Rest aber ist: Angst. Die Angst vor dem Verlust der eigenen Identität. Die Angst vor dem Verlust der Rivalität. Die Angst, von der anderen Seite ausgenutzt oder bevormundet zu werden.

Doppelnutzung kein Problem

Die meisten dieser Befürchtungen sind irrational und als solche schwer mit nüchternen Argumenten zu widerlegen. Versuchen sollte man es trotzdem. Jeder, der schon einmal ein Derby in Mailand oder Rom verfolgt hat, weiß zum Beispiel, dass sich dort die gegnerischen Fans keineswegs gegenseitig in den Armen liegen.

Weder Identität noch Rivalität leiden ernsthaft unter der Doppelnutzung. Das mag in München anders sein, doch hier ist wohl eher der krasse wirtschaftliche Unterschied bei den wirtschaftlichen und sportlichen Möglichkeiten das Problem als das Stadion an sich.

Falls die Stadt Liverpool den Stadienbau unterstützen und Mitbetreiberin werden würde, könnte man zudem auch leicht verhindern, dass es wie in der Allianz Arena zu einem blauen Super-GAU kommt: die Löwen mussten ihre Stadien-Anteile 2006 für den Spottpreis von elf Millionen Euro vorläufig an den FC Bayern verkaufen.

Das freundliche Derby

Ganz abgesehen davon, dass man das Liverpooler Derby in England das "freundliche Derby" nennt, weil die Sympathien quer durch die Familien verteilt sind und es nur ganz selten ernsthafte Probleme gibt, würden beide Klubs in jeder Hinsicht von einem gemeinsmam Stadion profitieren.

Die Finanzierung wäre billiger, weitaus einfacher und könnte teilweise subventioniert werden. Das Geld, das man dadurch sparen würde, könnte man in Spieler investieren. Zugleich würden sowohl die roten als auch die blauen Scouser für Investoren interessanter. Es ist ja kein Zufall, dass die Scheichs aus Abu Dhabi vor ein paar Monaten  lieber Manchester City als einen der Liverpooler Klubs gekauft haben.

City spielt als Untermieter in dem von der Stadt Manchester gebauten Stadion in Eastlands und muss keine sündhaft teuren Hypotheken abstottern.

Potente Milliardäre aus der Wüste

Gerade die vielen Liverpool-Fans, die das derzeitige Eigentümerduo Hicks und Gillett lieber gegen potentere Milliardäre aus der Wüste eintauschen würden, müssten konsequenterweise für ein Stadt-Stadion plädieren. Bis es soweit kommt, muss man aber wohl lange warten. Verstand und Leidenschaft gehen im Fußball leider selten zusammen.

Der Preis, den man an der Mersey für soviel überambitionierte Unvernunft zahlen muss, wird ein hoher sein. In der momentanen Lage dürfte es unmöglich sein, Geld für die Projekte aufzutreiben. Auf absehbare Zeit werden Liverpool und Everton in den kleinen, überalteten Stadien weiterspielen müssen - anstatt in einem riesigen, hoch-modernen Fußballtempel.

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Raphael Honigstein lebt und arbeitet seit 15 Jahren in London. Für die "Süddeutsche Zeitung" berichtet er über den englischen Fußball und ist Kolumnist für die britische Tageszeitung "The Guardian". Beim Premier-League-Rechteinhaber "Setanta Sports" fungiert Honigstein als Experte für den deutschen Fußball. In Deutschland wurde der 34-Jährige auch bekannt durch sein Buch "Harder, Better, Faster, Stronger - Die geheime Geschichte des englischen Fußballs". Zudem ist er als Blogger bei footbo.com tätig.

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