"Angst zu versagen ist stark verankert"

Raimunt Zieler bei der Jugendarbeit
© Raimunt Zieler
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SPOX: Wie groß ist denn die Region, der Wirkungskreis, in dem Sie tätig sind?

Zieler: Meine Basis ist Hohhot und das Einzugsgebiet ist die komplette Innere Mongolei, also fast dreimal die Fläche von Deutschland. Ich bin hier auch mehr oder weniger ein Einzelkämpfer. Alle Trainer, auch an allen Schulen, sind meine Zielgruppe. Man nimmt sich Themen vor, erklärt, warum man bestimmte Trainingsformen macht und andere besser weglässt oder dass man Fußballspielen am besten durch Fußballspielen, kombiniert mit den jeweiligen Trainingszielen, lernt.

SPOX: Wie kann es sein, dass der Fußball in einem derart großen und fortschrittlichen Land so hinterherhinkt?

Zieler: Es gibt viele und vielseitige Gründe. Der Gravierendste ist für mich, dass die Spieler nicht in einem regelmäßigen Spielbetrieb sind. Es gibt keine Meisterschaft oder Pokalwettbewerbe, in denen man sich jedes Wochenende mit anderen Mannschaften und Spielern im Wettkampf vergleichen kann. Das ist ein großer Missstand! Hier trainiert man vier, fünf Monate, um dann in kürzester Zeit ein regional eng begrenztes Turnier oder eine Stadtmeisterschaft auszuspielen. Die Spieler haben keine Spielpraxis, die ist jedoch extrem wichtig für ihre Entwicklung. Da muss man mittelfristig gute Lösungen finden. Talente im Alter zwischen acht und zehn Jahren gibt es in China viele. Aus den genannten Gründen haben die meisten von ihnen jedoch keine Chance, sich im Leistungsfußball zu etablieren oder überhaupt nach oben zu kommen. Ein weiteres Problem ist auch, dass in China immer die verschiedensten Institutionen in Entscheidungsprozesse involviert sind.

SPOX: Erdrückt die Politik den Sport?

Zieler: Für Fußball in den Schulen ist das Erziehungsministerium zuständig. Dann gibt es aber noch ein Sportministerium. Und ein Bildungsministerium. Und diese drei Ministerien müssen in jeder kleinen Frage einen einheitlichen Weg finden, der von allen gestützt und getragen wird. Stehen in der Schule Prüfungen an, sorgen der Schuldirektor und die Eltern der jungen Fußballer und Fußballerinnen dafür, dass der Fußball hinten anstehen muss. Da kann man sich vorstellen, wie langsam alles voran geht.

SPOX: Staatspräsident Xi Jinping hat sich mittlerweile persönlich eingeschaltet, der Staatsrat einen Aktionsplan verabschiedet: Fußball als Schulfach, Trainerausbildung, Spielerausbildung, Akademien werden gebaut - die Wiederbelebung des chinesischen Fußballs hat höchste Priorität. Was bekommt man davon in der Inneren Mongolei mit?

Zieler: Alles sinnvolle Maßnahmen, aber was man bedenken muss: Es wurde über Jahre hin eine Ein-Kind-Politik gefahren. Ich arbeite also mit einer Generation verhätschelter Einzelkinder. (lacht) Dennoch ist die Fußballbegeisterung hier riesengroß. Und gerade die Innere Mongolei wurde in China als Pilotprojekt auserkoren, um neue Strukturen einzuführen und in der Entwicklung voranzukommen. Das hatte auch den Grund, weil die Jugendlichen in der Inneren Mongolei etwas größer und kräftiger sind, als in anderen Teilen Chinas. Es werden auch für Wintertrainingslager viele Gelder ausgegeben. Der Winter in der Inneren Mongolei ist hart und lang, deshalb haben die Mannschaften die Möglichkeit, die Region zu wechseln und sich trotzdem auf die Turniere vorzubereiten. Alleine das, oder dass man - wie in meinem Fall - einen deutschen Fußball-Lehrer engagiert hat, zeigt, dass man vorankommen will. Aber wie gesagt: Die Mühlen mahlen sehr langsam. Und man wird eine gute Portion Geduld brauchen, bis erste Erfolge sichtbar werden.

SPOX: Wie wechselt man denn als Fußballmannschaft vom Land mal eben die Region?

Zieler: Indem ganze Schulmannschaften, mitsamt ihren Trainern, Betreuern und natürlich Lehrern, in wärmere Gebiete gekarrt werden. Ich habe im Winter vier Wochen lang ein Trainingslager auf der Insel Hainan im Südchinesichen Meer besucht, von minus 15 auf plus 20 Grad, wunderschön! (lacht) Da wurden mehr als 30 Mannschaften aus der Inneren Mongolei mit dem Flugzeug hingeflogen, die dann in Hotels und Herbergen unterbracht sind und teils sogar auf perfekten Kunstrasenplätzen mehrmals täglich trainieren können. Das lässt sich der Staat ordentlich etwas kosten.

SPOX: Gibt es in der Inneren Mongolei für den Winter denn keine Kunstrasen- oder Hallenplätze?

Zieler: Die Infrastruktur an Fußballplätzen, an Kunstrasenplätzen und an Stadien ist meilenweit besser als in Deutschland. Nahezu jede Schule hat einen Kunstrasenplatz mit Tribüne. Ein Traum, ich hätte nie gedacht, dass ich das hier vorfinden würde. Aber: Im Winter frieren die Plätze einfach über. Und Hallen, in denen man Fußballspielen kann, gibt es hier gar nicht. Man kann im Winter also gar keinen Trainingsbetrieb aufrechterhalten.

SPOX: Ist es ein generelles Problem, dass den Verantwortlichen die Geduld fehlt?

Zieler: Die engagierten Personen mit Plänen und Visionen sind einfach abhängig von übergeordneten Institutionen. Die Geduld muss auch und vor allem ich mitbringen, auch wenn ich in meinem Tun komplette Unterstützung habe. Aber ich höre oft: 'Das geht in China deswegen nicht und das geht deswegen nicht...' Beispiel: Ich hätte gerne Auswahlmannschaften, pro Jahrgang die besten Spieler aus einer Region zusammen, um mit denen regelmäßig ein qualifiziertes, zielgerichtetes Training durchzuführen. Das geht aber nicht wie ich es gerne hätte, weil das Erziehungsministerium einverstanden sein muss, die Schuldirektoren einverstanden sein müssen, die Eltern einverstanden sein müssen, das Bildungsministerium einverstanden sein muss...