"Ich habe ja sonst nichts vor!"

Von Interview: Jochen Tittmar
Ernst Middendorp war insgesamt dreimal Trainer von Arminia Bielefeld
© Getty

Wenn man in Deutschland den Namen Ernst Middendorp hört, denkt man unweigerlich an Arminia Bielefeld. Doch der Jahrhundertrainer der Ostwestfalen hat als Coach schon die halbe Welt bereist. Im Interview spricht der 51-Jährige über seine Zeit in Südafrika, Zypern und China, sowie über einen legendären Zwischenfall und vermeintliche Ferraris, die sich als Fiats heraustellen.

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SPOX: Sie arbeiten derzeit wieder in Südafrika bei Maritzburg United. Wie hoch ist dort das Niveau in Vergleich zu Deutschland?

Ernst Middendorp: Im Durchschnitt haben wir hier Zweitliganiveau. Es gibt sicherlich auch Spiele auf Bundesliganiveau, vor allem wenn die Kaizer Chiefs beteiligt sind. Wenn die guten Teams vor einer großen Zuschauerkulisse spielen, dann kommt es schon hin. Es gibt aber auch Spiele, bei denen manche Mannschaften komplett unterlegen sind. Das ist dann eher Dritt- oder Viertliganiveau.

SPOX: Welche Herausforderung bietet so etwas für Sie als Trainer?

Middendorp: Wir haben eine sehr junge Mannschaft und die Aufgabe besteht darin, diese zu entwickeln und mit einer eigenen Identität auszustatten. Ich kümmere mich zudem um die U 17 und U 19. Ich versuche, die Jugendentwicklung voranzutreiben. So etwas kennt man hier sonst gar nicht. Aber es ist auch abseits des Fußballs sehr schön. Maritzburg liegt in einem Tal, es ist sehr idyllisch. Vergleichbar mit Freiburg. Fußball hat hier bei uns im Vergleich zu Rugby und Cricket einen guten Stellenwert.

SPOX: Können Sie sich dort frei auf der Straße bewegen?

Middendorp: Ich bewege mich völlig normal in der Öffentlichkeit. Sowohl hier als auch in Johannesburg, wo ich meinen Hauptwohnsitz habe. Ich lebe auf einem Gelände mit mehreren Häusern um mich herum. Wir haben zwar ein gemeinsames Sicherheitssystem, aber es gibt keine Patrouillen. Ich habe in all den Jahren so gut wie keine Kriminalität erfahren. Natürlich sind gewisse Regeln ganz einfacher Natur notwendig, aber die mindern nicht die Lebensqualität.

SPOX: Wie sieht es denn mit Hexenmeistern und Voodoo aus, davon hört man ja auch immer wieder?

Middendorp: Das passiert meist vor einem Spiel. Hier gibt es eben manche Gewohnheiten, die uns fremd sind. Das können Gebete oder Gesänge sein, mit denen man sich pusht. Aber man befindet sich ja auch in einer anderen Kultur. Für mich ist das Alltag mittlerweile.

SPOX: In den letzten Jahren sind Sie viel herumgekommen. Von 2008 bis 2009 waren Sie bei Changchun Yatai in China. Wieso sind Sie dort nicht länger geblieben?

Middendorp: Ich habe teils seltsame Abläufe erlebt, die mich nicht dazu gebracht haben, dort weiter zu arbeiten. Wir haben einmal 6:0 gewonnen. Auf der Gegenseite saßen die drei stärksten Spieler auf der Bank. Der Torwart ließ sich nach vier Minuten auswechseln. Nach unseren Toren habe ich mich gefragt, wo denn deren Abwehr ist.

SPOX: Komisch. Glauben Sie, dass der chinesische Verband da die Finger im Spiel hatte?

Middendorp: Ich glaube nicht, dass Spielausgänge vom chinesischen Verband manipuliert wurden. Untersuchungen zu den Spielen gab es immer. Die waren aber meist schnell erledigt und man sprach nicht mehr darüber.

SPOX: Werner Lorant sagte im SPOX-Interview, dass die Einstellung der Spieler dort relativ lasch sei.

Middendorp: Die Berufsauffassung ist dort sehr unterschiedlich. Die Stars legen ein Berufsverständnis an den Tag, das diskutierbar ist, lassen Sie es mich höflich ausdrücken. Man spürt dort aber generell, dass man mit den Abläufen in der Liga nicht zufrieden ist. Da wird intern dran gearbeitet. Nicht umsonst holt man sich Bundesligisten zu Promo-Zwecken ins Land. Da versucht man, über den Tellerrand hinauszuschauen.

SPOX: Von China sind Sie direkt zu Rot-Weiss Essen gewechselt, mussten nach nur 29 Tagen und vier Niederlagen in fünf Spielen aber wieder gehen. Wie kann es denn zu so etwas kommen?

Middendorp: Ich habe vor meinem Engagement mit Sportdirektor Thomas Strunz gesprochen. Er hat mir das Budget vorgelegt und meinte, man habe hier einen Ferrari stehen, bei dem man nur den Schlüssel umdrehen müsse. Ich habe ihm mein Vertrauen geschenkt, aber relativ schnell gesehen, dass hier kein Ferrari steht, sondern eher ein Fiat. Das habe ich intern dann auch deutlich angesprochen. Die finanzielle Situation sah ebenfalls anders aus als dargestellt. In den anschließenden Gesprächen haben wir dann einfach keine Übereinstimmung gefunden. So kam es zur schnellen Trennung.

SPOX: Einen Tag später haben Sie schon bei Anorthosis Famagusta unterschrieben.

Middendorp: Das ist nicht ganz richtig. Das Ding mit Essen war an einem Mittwoch beendet. Ewald Lienen stand in Famagusta kurz vor der Unterschrift, hat dann aber zurückgezogen. Also brauchten die dort wieder einen Trainer und haben sich bei mir über Umwege gemeldet. Ich muss dazu sagen, dass ich seit Jahren gute Kontakte nach Zypern habe. Ich bin dorthin geflogen und habe mit den Verantwortlichen verhandelt. Den Vertrag habe ich dann erst montags unterschrieben, also nicht gleich am Tag nach dem Aus in Essen.

SPOX: Nach sieben Spielen mit nur einer Niederlage mussten Sie dort auch die Koffer packen. Zum Verhängnis wurde Ihnen dabei das Aus in der zweiten Qualifikationsrunde der Europa League gegen OFK Petrovac.

Middendorp: Ich kann Ihnen bis heute nicht sagen, warum ich dort entlassen wurde. Das war reinste Schikane. Der Präsident, der mich verpflichtet hat, wurde durch einen neuen ersetzt. Der ist mittlerweile aber auch nicht mehr im Amt. Es hieß, ich habe ihn nicht genügend respektiert. Ich weiß, dass er bei einem Auswärtsspiel bei der Mannschaftsbesprechung dabei sein und seine Antrittsrede halten wollte. Das wollte ich aber nicht.

SPOX: Wieso nicht?

Middendorp: Da geht es um taktische Dinge, da hat ein Präsident nichts zu suchen. Für einen Besuch hätte er unter der Woche Zeit genug gehabt. Danach hat er dann wohl gemeint, wenn die erste Niederlage kommt, müsse ich gehen.

SPOX: Letztlich waren Sie nun innerhalb von nur sieben Monaten in Essen, auf Zypern und schließlich wieder in Südafrika. Warum nehmen Sie sich eigentlich keine Auszeit vom Trainerjob?

Middendorp: Das frage ich mich auch (lacht). Aber ich habe ja sonst nichts vor. Ich liebe die Arbeit auf dem Platz, bin hungrig und ehrgeizig. Solange das so bleibt, wird es nichts mit der Auszeit.

SPOX: Rüdiger Lamm, der ehemalige Manager von Arminia Bielefeld, sagte 1994 über Sie: "Ich bin verrückt, aber Middendorp ist wahnsinnig." Hat er Sie richtig charakterisiert?

Middendorp: Er wollte wohl aufzeigen, dass man als Trainer am oberen Level sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag an Fußball denkt und für den Fußball lebt. Das hat sich mittlerweile aber auch ein wenig geändert. Mit der Zeit eignet man sich eine gewisse Gelassenheit an und kann den Fußball auch mal für eine Weile vergessen. Der Ehrgeiz bleibt davon aber unberührt.

SPOX: Sie haben bis heute eine enge Beziehung zur Arminia. Wie haben Sie das Chaos um die Lizenzerteilung und all die Negativschlagzeilen wahrgenommen?

Middendorp: Ich war mir von Anfang an ziemlich sicher, dass es eine Möglichkeit gibt, die Lizenz zu bekommen. Ich kenne ja auch das Haus Gerry Weber sehr gut. Ich war natürlich ziemlich glücklich, dass es geklappt hat, auch wenn das Geld dort nun sehr knapp ist.

SPOX: Schließlich ist es ja der Verein, bei dem Sie am 3. Mai 2005 zum Jahrhunderttrainer gewählt wurden. Waren Sie schon einmal auf der Webseite www.jahrhunderttrainer.de?

Middendorp: Ja, die kenne ich. Das wurde von einer privaten Gruppe eingerichtet. Dort gibt es sehr viel über mich zu erfahren (lacht). Man arbeitet ja auch weiterhin noch daran.

SPOX: Wie fühlt es sich an, Jahrhunderttrainer zu sein?

Middendorp: Die Auszeichnung ist natürlich grandios. In Bielefeld arbeiteten Trainer wie Karl-Heinz Feldkamp, Otto Rehhagel oder Horst Köppel. Es ging bei der Abstimmung ja um ein ganzes Jahrhundert. Dass ich da mit großem Vorsprung gewonnen habe, freut mich sehr.

SPOX: Eine Geschichte muss ich noch ansprechen: Im April 2007 haben Sie nach einem 3:2-Sieg in Wolfsburg mit ein paar Gläsern Wein gefeiert. Nachts erwischte Sie die Polizei schlafend in Ihrem Auto. Wie kam es denn dazu?

Middendorp: Die Geschichte ist eigentlich ganz simpel. Ich bin nach dem Spiel von Wolfsburg aus selbst per Auto nach Bielefeld gefahren. Dort habe ich mich höchstens eine halbe Stunde aufgehalten. Von dort bin ich in das Gerry-Weber-Hotel in Halle gefahren, in dem ich damals gewohnt habe.

SPOX: Hört sich bisher in der Tat simpel an.

Middendorp: Anschließend habe ich mich an der Hotelbar unterhalten, gefachsimpelt und auch das eine oder andere getrunken. Ich bin dann - aus welchen Gründen auch immer, ich kann es Ihnen bis heute nicht sagen - ins Auto gestiegen, 400, 500 Meter um die Ecke gefahren und habe mich schlafen gelegt. Das ist für mich die ganze Story, simpel und einfach. Ich kann Ihnen nicht einmal sagen, ob ich selbst gefahren bin. Ich wurde dann von der Polizei geweckt. Da konnte ich mich nur entschuldigen und habe auch gar nicht groß diskutiert. Mein Führerschein war erstmal weg.

SPOX: Herr Middendorp, letzte Frage: Wann sehen wir Sie wieder in Deutschland?

Middendorp: Damit beschäftige ich mich in keinster Weise. Ich habe mein Trainerdasein nie nur auf Deutschland ausgerichtet. Für mich waren die verschiedenen Länder und die Situationen, die ich dort vorgefunden habe, immer eine Herausforderung. Deutschland ist für mich dabei nur ein Mosaikstein. Ich würde allerdings gerne einmal in England trainieren.

Ernst Middendorp im Steckbrief