System-Streit bei der Furia Roja

Von Thomas Gaber
aragones, fabregas
© Getty

München - Spätestens am 30. Juni, am Tag nach dem EM-Finale, beginnt bei der spanischen Nationalmannschaft eine neue Zeitrechnung.

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Trainer Luis Aragones wird sein Amt definitiv niederlegen - egal, ob Spanien alle drei Vorrundenspiele verliert oder mit sechs Siegen eindrucksvoll Europameister wird.

Staatsheiligtum Raul wird von der Presse entweder vehement ins Team zurückgefordert oder auf Nimmerwiedersehen aus der Nationalelf verabschiedet.

Doch zuvor steht für die Furia Roja noch ein Turnier auf dem Programm. Selbstredend startet Spanien auch in Österreich und der Schweiz als Mit-Favorit. Wie bei jeder Großveranstaltung, nach den genialen Auftritten in den letzten Quali-Spielen in Dänemark (3:1) und gegen Schweden (3:0) aber auch kein Wunder.

Rückkehr zur Doppelspitze 

Aragones war hauptverantwortlich für die Euphorie im Land. Der Coach hatte sein Team nach einigen unterdurchschnittlichen Spielen eine Systemumstellung verordnet. Die Doppelspitze Fernando Torres/David Villa wurde zugunsten eines fünften Mittelfeldspielers aufgelöst. Das 4-1-4-1 ersetzte das klassische 4-4-2.

Auf der Busspur darf Aragones seitdem zwar nicht fahren, den Kritikern blieb aber nichts anderes übrig als den chronisch unbeliebten Coach für seinen taktischen Kniff zu loben.

Nach dem wenig überzeugenden 2:1 im Testspiel gegen die Fußball-Weltmacht Peru liegen die Nörgler Aragones aber schon wieder in den Ohren. "Warum beraubt er der Mannschaft ihrer Stärken?", fragte die Zeitung "As".

Was war passiert? Spanien lief nicht im Erfolgssystem 4-1-4-1, sondern im 4-1-3-2 auf. Rückkehr zur Doppelspitze. Doch das funktionierte gegen Peru ebenso wenig wie damals beim DFB mit Gerhard Mayer-Vorfelder und Theo Zwanziger.

Villa und Torres standen sich gegenseitig auf den Füßen, die offensive Dreierreihe dahinter mit Xavi, Andres Iniesta und David Silva stand zu tief, die Abstände zwischen Mittelfeld und Angriff waren zu groß - tödlich für das beliebte und zuletzt perfekt praktizierte Kurzpassspiel der Spanier.

Kritik aus den eigenen Reihen 

Villa und Torres erklärten hinterher unisono, dass sie lieber alleine im Sturm spielen, weil sie dadurch mehr Freiheiten besäßen und somit gefährlicher seien.

Auch Iniesta kann die Taktikänderung nicht nachvollziehen. "Im 4-1-4-1 erreichen wir einen außergewöhnlich hohen Anteil an Ballbesitz. Ballbesitz ist die beste Verteidigung. Wenn du den Ball hast, kann dir der Gegner nichts tun. Deshalb gibt dieses System mit vier Ballspielern im Mittelfeld der Mannschaft Stabilität und Ruhe", sagte Iniesta der "Süddeutschen Zeitung". 

Aragones lieferte für seine gewählte Taktik folgende Erklärung: "Wir sind noch in der Testphase. Ich möchte sehen, welches System am besten zu uns passt und welche Spieler am besten für das jeweilige System geeignet sind."

Schlechte Karten für Fabregas 

Klingt soweit plausibel. Dann hätte der 69-Jährige das darauffolgende Statement aber weglassen müssen: "Sie können davon ausgehen, dass die Elf der ersten Halbzeit gegen Peru auch die EM beginnen wird." Also kein 4-1-4-1. Mit Doppelspitze. Und ohne Cesc Fabregas.
Der Star des FC Arsenal verbrachte die ersten 45 Minuten nämlich ziemlich beleidigt auf der Bank. "Ein moralischer Schlag gegen Cesc. Er ist zwar nicht deprimiert, aber doch angeschlagen", erkannte "Marca" und gab Fabregas gleich noch einen Tipp mit ins EM-Quartier nach Neustift in Tirol.

"Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich im Training täglich für die erste Elf zu empfehlen."

Doch der 21-Jährige hat schlechte Karten. Aragones bevorzugt Xavi, der gegen Peru nicht nur Villas Führungstor mit einem Traumpass einleitete, sondern eindrucksvoll unter Beweis stellte, dass Spanien auf den Barca-Star nicht verzichten kann. Xavi ist Seele, Stratege, ja sogar Chef im Mittelfeld.

Zur zweiten Halbzeit kam Fabregas für Xavi und mit ihm der Bruch im Spiel nach vorne. Dabei haben beide längst bewiesen, dass sie kompatibel sind. Siehe EM-Quali gegen Schweden und Dänemark.

Die Null muss stehen

Trotzdem muss Fabregas im Auftaktspiel der Gruppe D gegen Russland für einen zweiten Stürmer Platz machen. Aragones will es so. Allen Gefahren und Unkenrufen zum Trotz. Was vorne passiert, interessiert den eigenwilligen Coach aber ohnehin nicht mehr. Aragones will plötzlich die Null halten.

"Ich wollte gegen Peru ohne Gegentor bleiben. Das haben wir nicht geschafft und von daher unser Ziel nicht erreicht. Und wenn wir so ein Tor bei der EM kriegen, kostet uns das Kopf und Kragen", sagte Aragones über den absurden Fehlpass von Carlos Marchena vor Perus zwischenzeitlichem Ausgleichstor.

Gegentorlos bleiben wollen und gleichzeitig das kompakte 4-1-4-1 zugunsten einer zweiten Spitze aufgeben? Das passt irgendwie nicht zusammen. 

Maximal vier Wochen ist Aragones noch im Amt. Er hat sein Schicksal selbst in der Hand. Er will Europameister werden. Und vielleicht nimmt der engstirnige Coach dafür einmal in seinem Trainerleben gut gemeinte Ratschläge an.

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