Mehr als nur ein Geheimfavorit

Von Daniel Börlein
van Basten, Hiddink
© Imago

München/Basel - Wenn man an Fußball, die Niederlande und das Jahr 1988 denkt, dann fällt einem unwillkürlich der Titelgewinn der Elftal bei der Europameisterschaft in Deutschland ein.

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Dass damals der PSV Eindhoven den europäischen Vereinsfußball dominierte und neben dem nationalen Pokal und der Meisterschaft auch den Europapokal der Landesmeister gewann, daran erinnert sich kaum jemand.

Die Protagonisten des Fußball-Sommers 1988 hießen demnach: Marco van Basten, EM-Torschützenkönig, und Guus Hiddink, Trainer des PSV Eindhoven.

Tröstende Gesten

Auf die Erfolgsgaranten von damals richteten sich auch nun, gut 20 Jahre später, die Blicke der Fußballwelt. Hiddink, mittlerweile Trainer der russischen Nationalmannschaft, hatte van Basten, Coach der Oranjes, gerade durch einen 3:1-Erfolg nach Verlängerung aus dem Turnier geworfen und war direkt nach dem Schlusspfiff auf seinen Gegenüber zugegangen.

Der 61-Jährige legte tröstend die Arme um van Basten, blickte dem Bondscoach aufmunternd in die Augen und flüsterte ihm ein paar Worte ins Ohr. Vielleicht drückte Hiddink sein Bedauern aus, dass ausgerechnet er als Niederländer die Titelträume der Niederländer zunichte gemacht hatte.

Dabei ging der Erfolg der Sbornaja absolut in Ordnung und das, obwohl die Elftal durch souveräne Erfolge gegen Italien, Frankreich und Rumänien in der Vorrunde zum Top-Favoriten aufgestiegen war.

Taktische Glanzleistung

"Es ist schade, aber Russland hat verdient gewonnen", musste van Basten zugeben. "Russland hat gut gespielt und zu Recht gewonnen", sagte Rafael van der Vaart. "Ich bin so froh und stolz auf meine Mannschaft", so Hiddink. "Großes Kompliment auch in taktischer Hinsicht an das Team."

In Giovanni van Bronckhorst hatte der russische Coach den heimlichen Spielmacher der Oranje erkannt. In den Gruppenspielen war der Linksverteidiger häufig derjenige, der den ersten druckvollen Pass in die Tiefe spielte. Mit Ivan Saenko holte Hiddink einen dribbelstarken Rechtsaußen ins Team, der van Bronckhorst in der Defensive band und im Spielaufbau früh störte.

Das frühe Pressing war ohnehin ein Schlüssel für den Überraschungscoup, "dabei hatten wir nur zwei Tage Zeit zur Vorbereitung und konnten nicht so intensiv im taktischen Bereich arbeiten", sagte Hiddink.

Konditionell topfit

Die kurze Regenerationszeit nach dem letzten Gruppenspiel gegen die Schweden war den Russen allerdings nicht anzumerken. Von Beginn an bestimmte die Sbornaja den Spielrhythmus, schlug ein immenses Tempo an und konnte das zur Verlängerung nochmals erhöhen.

"Wir hatten physische Probleme. Am Ende fehlte uns die Kondition", musste denn auch van Basten eingestehen. Hiddinks große Stärke, ein Team auf den Punkt genau topfit hinzubekommen, hat also einmal mehr gegriffen.

Hinzu kommt die spielerische Klasse der Arschawins, Semaks und Syrjanows. Das alles, gebündelt mit der mentalen Stärke, die dazu führte, dass die Russen nach dem späten Ausgleich durch Ruud van Nistelrooy schier unbeeindruckt zurückkamen, macht aus der Sbornaja mehr als nur einen Geheimfavoriten.

Kein Plan B bei Oranje

"Wir haben zwar in der Vorrunde überragend gespielt, aber das zählt jetzt nichts mehr. Wir sind raus", sagte dagegen Oranje-Spielmacher van der Vaart. Was in der Vorrunde noch so gut klappte, funktionierte gegen die Russen überhaupt nicht. Die Offensivreihe mit Kuyt, van der Vaart und Sneijder rochierte zu selten, van Nistelrooy hing meist in der Luft, Gefahr entstand nur durch Einzelaktionen oder Standards.

Dabei wurde deutlich, dass van Basten nicht in der Lage war, seinem Team einen Plan B an die Hand zu geben, der beinhaltet, wie die Mannschaft bei einem Rückstand zu reagieren hat. Auch mit seinen Einwechslungen konnte der Bondscoach nichts mehr korrigieren. Und deshalb stellte Russlands Andrei Arschawin völlig zu Recht fest: "Der bessere Niederländer hat gewonnen - unser Trainer."

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