Den Frust kanalisiert

Von Für SPOX in Madrid: Jochen Tittmar
Eine von Roman Weidenfellers starken Paraden im Auftaktmatch gegen Ajax Amsterdam
© getty

Roman Weidenfeller zeigt in dieser Saison vor allem in den Spielen der Champions League bestechende Leistungen. Bei Borussia Dortmunds Torhüter ist der Ärger über die Nichtnominierung für die deutsche Nationalmannschaft einer charakterlichen Gelassenheit gewichen, die zu seiner Konstanz zwischen den Pfosten beiträgt.

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Roman Weidenfeller war mit Borussia Dortmund gerade deutscher Meister geworden. Zum ersten Mal in seinem Leben. Es war der bis dato größte Erfolg seiner Profilaufbahn. Weidenfeller trug mit 14 Zu-Null-Spielen zum Titelgewinn bei, mit 22 Gegentoren verpasste er den Rekord des FC Bayern aus der Saison 2007/08 nur um einen Treffer.

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Die neue Spielzeit steckte noch in den Kinderschuhen, da stand der Torhüter keine vier Wochen vor seiner ersten echten Champions-League-Partie gegen den FC Arsenal am öffentlichen Pranger.

Imageverlust nach Kritik an Löw

Vielleicht müsse er sich einmal die Haare schneiden oder ein wenig zierlicher werden, um in die Nationalmannschaft berufen zu werden, hatte Weidenfeller in einem Interview gemutmaßt. Eine Spitze gegen Joachim Löws Auswahlkriterien, die ihm daraufhin als homophobe Anspielung um die Ohren geflogen war. Der Bundestrainer hatte zuvor Hannovers Ron-Robert Zieler nach der Absage des verletzten Rene Adler für das EM-Qualifikationsspiel gegen Österreich und den Testkick gegen Polen als dritten Keeper ins DFB-Team berufen.

"BVB-Torwart Roman Weidenfeller weist Berichte zurück, nach denen er sich nach dem Spiel gegen den 1. FC Nürnberg am Samstag angeblich 'schwulenfeindlich' geäußert habe", ließ der BVB daraufhin in einer Pressemitteilung verlauten.

Weidenfellers Image litt darunter gewaltig. Man sah in ihm einen verbitterten Spieler, zu verbissen um einzusehen, dass ihn eine neue Torhütergeneration um die jungen Zieler, Bernd Leno oder Marc-Andre ter Stegen längst überholt hatte. Diese Episode bestätigte für viele den Eindruck des unreflektierten und wutschnaubenden Keepers, der 2007 schon einmal durch angeblich rassistische Äußerungen gegen Schalkes Gerald Asamoah auffällig geworden war.

Frust weicht Gelassenheit

Wenn man Roman Weidenfeller heute, keine zwei Jahre nach dieser Nummer, sprechen hört, scheint von dem einst aufbrausenden Charakter nichts mehr übrig. Weidenfeller ruht in sich und hat aus seinen Fehler gelernt. Der Frust, zu keinem Zeitpunkt seiner Karriere eine Chance in Deutschlands Eliteelf bekommen zu haben, ist einer entspannten Gelassenheit gewichen.

"Ich hätte gerne eine sportliche Chance erhalten", gibt er auch jetzt noch zu, wenn man auf das Thema Nationalmannschaft zu sprechen kommt. Doch anders als früher verbeißt er sich nicht mehr in der Gelegenheit, seinem Frust darüber freien Lauf zu lassen.

Im Gegenteil: Der Geläuterte hat ein Verständnis dafür entwickelt, dass auch das Naturell eines Spielers Kriterium für einen Trainer sein kann. "Ich gehöre sicherlich zu den Leuten, die einen eigenen Kopf haben und sagen, wenn ihnen etwas nicht passt. Als Trainer ist es bestimmt nicht immer leicht, mit solchen Charakteren zu arbeiten."

Weidenfeller ist Dortmunds Rekord-Torhüter

Weidenfeller weiß, dass für ihn gerade die Phase begonnen hat, in der er in die Zielgerade des Profidaseins einbiegt. "Ich bin jetzt 32 Jahre alt, ich habe mich in den vergangenen Jahren nicht nur sportlich, sondern auch charakterlich weiterentwickelt und gehe gelassener mit Situationen um, die ich nicht beeinflussen kann", schiebt er jetzt hinterher.

Er hat es geschafft, seinen Frust zu kanalisieren. Er ist charakterlich gefestigt aus diesem Entwicklungsprozess hervorgegangen. Es scheint, als ob Weidenfeller durch das Abwerfen des Ballastes Nationalmannschaft befreiter aufspielen kann und er somit viel eher die Konstanz in seine Leistungen bringt, als das noch früher der Fall war.

Das liegt auch an seiner Teilnahme an den vielen Highlights, die sein Klub in den vergangenen drei Jahren beinahe wie am Fließband produzierte. Die bald elf Jahre lange Treue zu Borussia Dortmund, die für ihn anfangs fast ausschließlich Tiefen bereit hielt, zahlt sich in der jüngeren Vergangenheit immer mehr aus. Weidenfeller hat Stefan Klos, den einstigen Rekord-Torhüter beim BVB, mittlerweile um 28 Bundesligapartien übertroffen. Er genießt im Klub die volle Rückendeckung und ist Vize-Kapitän einer Mannschaft, die im Schnitt über sieben Jahre jünger ist als er. Er lief öfter in der Liga auf, als Ilkay Gündogan, Mario Götze und Robert Lewandowski zusammen.

Heynckes schlägt sich auf Weidenfellers Seite

Und mit dem neuen, dem lockeren Weidenfeller, dessen Leistungen sich unter Trainer Jürgen Klopp stabil auf einem hohem Niveau halten, kann sich nun auch die Öffentlichkeit besser identifizieren.

So tun sich jetzt sogar prominente Fürsprecher auf, deren Antrieb nicht Mitleid mit dem nie berufenen Weidenfeller ist, sondern das Pochen auf Chancengleichheit. "Ich weiß nicht, was der Junge noch alles machen muss. Wer zweimal hintereinander deutscher Meister geworden ist, Pokalsieger, der ist ein Torwart, der es verdient hat, auch international einmal zu spielen. Das ist sicher sein Traum und ich finde, man sollte ihm diesen Traum auch ermöglichen", sagte im Dezember etwa Bayern-Trainer Jupp Heynckes, nachdem Weidenfeller mit drei bärenstarken Paraden in den Schlussminuten Dortmunds 1:1 in München festhielt.

Die Glanzlichter setzt er in dieser Saison aber wie sein Team vor allem in der Königsklasse. Wer weiß, wie Dortmund in die Gruppenphase gestartet wäre, hätte er in der Auftaktpartie gegen Ajax Amsterdam nicht dreimal herausragend gegen Christian Eriksen, Derk Boerrigter und Siem de Jong pariert und im darauffolgenden Match bei Manchester City eine weitere Weltklasse-Leistung folgen lassen.

Video: Die besten Weidenfeller-Paraden in der Champions League

Strafraumbeherrschung stark verbessert

Die Stärken auf der Linie verkümmerten früher angesichts seiner Probleme in der Strafraumbeherrschung. Doch gerade in diesem Bereich hat Weidenfeller enorm zugelegt und vor allem in der Champions League zahlreiche Großchancen durch ein optimales Timing im Herauslaufen zunichte gemacht. Individuelle Patzer wie die beiden Freistoßgegentore bei Real Madrid und in Donezk fallen angesichts von zuletzt vier starken Auftritten in der K.o.-Runde in Serie deutlich weniger ins Gewicht.

Weidenfeller weiß wie jeder Torwart natürlich nur zu gut, dass Fehler von ihm auch spielentscheidend sein können und begegnet den Lobeshymnen daher moderat: "Ich hatte in diesen Situationen das Glück des Tüchtigen."

Das hört sich nach Dortmunder Understatement an. Doch während er in den Meisterjahren vor allem auch von einer Viererkette profitierte, die nur wenig Arbeit für ihn durchsickern ließ, tauchen die Champions-League-Teams angesichts ihrer Qualitäten viel öfter vor seinem Kasten auf. Zusammen mit Münchens Manuel Neuer kassierte er mit zehn die wenigsten Gegentore aller Torhüter im Wettbewerb. Der Pulsschlag, so sagt er, ist eben bedeutend ruhiger geworden.

Roman Weidenfeller im Steckbrief