Noble Restware an der Hintertür

Von Für SPOX in Madrid: Thomas Gaber
Arjen Robben (l.) und Wesley Sneijder gemeinsam im Trikot von Real Madrid
© Imago

Arjen Robben und Wesley Sneijder wurden von Real Madrid weggejagt. Nach einer beeindruckenden Saison kehren sie am Samstag zum Champions-League-Finale Bayern München gegen Inter Mailand ins Bernabeu zurück. Beide sind für ihren neuen Verein unverzichtbar - nicht nur aus sportlichen Gründen.

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Javier wartet geduldig auf Kundschaft. Der 45-Jährige hat sich am Hintereingang des Estadio Santiago Bernabeu postiert, ein viel versprechender Ort. Hier hat er seine höchsten Gewinne erzielt.

Oft kommt Javier nicht hierher, aber wenn große Fußballspiele im Bernabeu anstehen, schlägt Javiers große Stunde. Der 45-Jährige vertickt Eintrittskarten. Auf dem Schwarzmarkt. Nach eigener Aussage darf er das.

"Ich mache das schon seit fast 20 Jahren. Die Leute hier kennen mich. Ich bin so etwas wie eine Institution. Wenn Zivilfahnder kommen, grüßen sie mich sogar", erzählt Javier. Ein offenbar koscheres Geschäft, auch wenn die Gewinnspanne manchmal beträchtlich ist.

"Wenn Real Madrid gegen Barca spielt, bin ich in wenigen Stunden ein reicher Mann", strahlt Javier, der natürlich auch Geld verdienen will, wenn der FC Bayern München und Inter Mailand den Champions-League-Sieg ausspielen (Sa., 20.15 Uhr im LIVE-TICKER, auf SAT.1 und SKY).

"Über Fußball wurde nicht gesprochen"

Javier ist seit Jahr und Tag Fan von Real Madrid. Er wünscht sich Arsene Wenger als Trainer: "Der ist mit Abstand der Beste." Demnächst könnte er dem Coach des FC Arsenal begegnen, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Wenger liebäugelt mit einem Besuch in Madrid. Er will Restware abgreifen.

"Ich kann nicht verstehen, wieso Real Madrid Wesley Sneijder und Arjen Robben abgegeben hat. Es lohnt sich scheinbar, sich an die Hintertür des Bernabeu zu stellen und zu warten, wer herauskommt", sagte Wenger nach den Halbfinalspielen von Bayern und Inter gegen Lyon und Barcelona.

Sneijder und Robben - zwei verschmähte Real-Spieler, die im Sommer letzten Jahres nicht mehr gut genug waren für Florentino Perez. Unmittelbar nachdem der schwerreiche Baulöwe zum zweiten Mal auf dem Präsidenten-Thron der Königlichen Platz genommen hatte, befahl er Generaldirektor Jorge Valdano, die Mannschaft von Altlasten zu befreien.

Sneijder und Robben waren die Bauernopfer für den groß angelegten Umbau mit richtigen Stars. Der Preis für Cristiano Ronaldo und Kaka war hoch, also bedurfte es der Entsorgung der beiden Niederländer.

Für Robben ein fragwürdiges Vorgehen. "Das war eine komische Situation damals. Sie sagten nur: 'Wir wollen dich verkaufen, weil wir Geld brauchen.' Über den Fußball wurde dabei gar nicht gesprochen, nur das Finanzielle war für die Verantwortlichen relevant. Auf der einen Seite sahen sie, dass nur mehr Wesley Sneijder und ich Geld in die Kassen spülen konnten, auf der anderen haben sie gigantisch eingekauft. Da stimmt doch was nicht", sagte er dem "Daily Mirror".

Flucht am gleichen Tag

Sneijder und Robben hatten nicht vor, Perez' Drängen nachzugeben. "Wir haben eine sehr gute Vorbereitung gespielt und gezeigt, dass wir mit Kaka und Ronaldo harmonieren können", erinnert sich Sneijder. Trotzdem fanden sich beide Namen am 27. August 2009 auf der Transferliste wieder. Robben ging zum FC Bayern, Sneijder zu Inter Mailand - am selben Tag.

Taktik-Analyse: Das macht Inter Mailand so stark

Während von Robben kaum ein böses Wort über den ehemaligen Arbeitgeber zu hören war, trat Sneijder kräftig nach. Er bezeichnete Valdano und Perez als "Mafiosi" und den zwischenmenschlichen Umgang in Madrid als "skandalös". "Ich wollte Madrid nicht verlassen. Aber ich musste gehen. In Mailand habe ich mich von Anfang an sehr wohl gefühlt. Dort wird man wenigstens mit Respekt behandelt."

Robben und Sneijder haben sich mit konstanten, teilweise brillanten Leistungen innerhalb von wenigen Monaten unverzichtbar für ihre neuen Klubs gemacht. Robben entpuppte sich als der von Bayern-Trainer Louis van Gaal herbeigesehnte Kreativspieler, der den Unterschied ausmacht, Sneijder hob das Spiel von Inter auf eine höhere Ebene.

"Es ist schon seltsam, dass ein Spieler, der bei uns so fundamental wichtig ist, bei Real nur auf der Bank saß. Wir sind ein anderes Team mit Wesley. Ich gebe zu, dass wir von ihm abhängig sind", sagt Inter-Coach Jose Mourinho.

Sneijder weder Stürmer noch Mittelfeldspieler

Sneijders Spiel ist eine Melange aus Kreativität, Übersicht und der nötigen Robustheit. Er beherrscht den genialen Pass, schlägt gefährliche Standards und malocht, wenn es drauf ankommt. Ex-Bondscoach Marco van Basten sieht Sneijders größte Stärke in dessen Unberechenbarkeit: "Die Jugendtrainer von Ajax Amsterdam wussten nicht, wo sie ihn hinstellen sollten. Er ist kein richtiger Stürmer und kein richtiger Mittelfeldspieler. Jede Defensive hat deshalb enorme Probleme mit ihm."

Trotzdem galt Sneijder in seiner Heimat lange als einer, der in den entscheidenden Spielen versagt. Erboste Leser von "Voetbal International", einer renommierten Fußballzeitung in den Niederlanden, forderten nach dem 1:3 der Elftal gegen Russland im Viertelfinale der EM 2008 Sneijders Rauswurf aus der Nationalmannschaft.

In Mailand hat er endlich seinen Frieden gefunden. "Es ging mir noch nie besser. Ich fand Italien immer langweilig. Das Niveau der Serie A schien mir schlecht und ich dachte, man spielt immer in halbleeren Stadien. Aber jetzt habe ich meine Meinung komplett geändert."

Die neun Monate in Italien haben Sneijders Leben verändert. An der Seite seiner Freundin Yolanthe Cabau van Kasbergen, einem niederländischen TV-Sternchen, hat er sich in Madrid gerne die Nächte um die Ohren geschlagen. Eine Überwachungskamera filmte die beiden, als sie in einer Tiefgarage wild knutschend übereinander herfielen. Die Mailänder High Society muss ohne die beiden auskommen. Söhnchen Jeffrey und der sportliche Erfolg sind inzwischen wichtiger als Partys.

Auch auf dem Platz ist Sneijder besonnener geworden. Als er einmal aus der Reihe fiel und vom Schiedsrichter für höhnischen Applaus die Rote Karte sah, entschuldigte er sich hinterher öffentlich bei den Inter-Fans für seinen Fauxpas. "Wesley hat schnell eingesehen, dass er einen Fehler gemacht hat. Aber er ist grundehrlich. Das schätzen die Leute hier so an ihm", sagte Mourinho damals.

Intensiver Kontakt vor dem Finale

Am Samstag kehrt Sneijder ins Bernabeu zurück. "Ich habe nach Ronaldos und Kakas Ankunft in Madrid gesagt, dass ich am 22. Mai im Champions-League-Finale im eigenen Stadion stehen werde. Es ist zwar nicht mehr mein Stadion, aber ich bin trotzdem da."

Dort wird er auf seinen Kumpel Arjen treffen. Als Spieler von Real Madrid waren beide unzertrennlich. "Wesley ist mein Freund. Der Kontakt ist in den letzten Tagen noch intensiver geworden. Ich freue mich sehr für ihn. Er hat eine wichtige Rolle bei Inter gespielt. Durch das Double ist es jetzt schon eine super Saison für ihn. Jetzt will auch er das Triple, aber ich hoffe das nicht. Gewettet haben wir noch nicht", sagte Robben im Gespräch mit SPOX.

Robben hat eine ähnliche Metamorphose durchgemacht. Sein Einstand im Bayern-Dress war mit zwei Toren beim 3:0 gegen Wolfsburg noch spektakulärer als Sneijders Debüt bei Inters 4:0-Derby-Party gegen Milan. "Ich bin sofort in eine Familie aufgenommen worden. Bei Bayern habe ich endlich die Wertschätzung erhalten, die ich mir schon in London oder Madrid gewünscht hätte", sagt Robben.

Santiago Segurola, Chef-Kommentator der Zeitung "Marca", sagte der "SZ", dass mittlerweile 90 Prozent der Real-Fans Robben wählen würden, wenn sie noch einmal über einen Tausch Kaka/Robben abstimmen müssten.

Ein feiner Kerl

Es sind aber nicht nur seine Soli in höchstem Tempo und seine Tore, für die Robben in München so geschätzt, ja beinahe verehrt wird. Der 26-Jährige verhält sich auch fernab des Platzes vorbildlich. Ein Star ohne jegliche Allüren, der die Nähe zu den Fans sucht.

"Wir haben uns viel von ihm erwartet. Aber er hat alles übertroffen. Er behandelt jeden, der etwas von ihm will, mit Respekt. Ein ganz feiner Kerl", lobt Präsident Uli Hoeneß.

Arjen Robben und Wesley Sneijder - zwei außergewöhnliche Fußballer mit ähnlich schwieriger Vergangenheit. Im "wichtigsten Spiel der Welt" (Mourinho) wird einer verlieren. Sneijder denkt schon an gemeinsame Festivitäten: "Es gibt ja noch ein wichtiges Finale im Juli. Da können wir dann vielleicht zusammen feiern."

Bayern München - Inter Mailand: Die Bilanz