Die klassische Nummer sechs

Von Florian Regelmann
Der VfB Stuttgart will sich erneut für das internationale Geschäft qualifizieren
© Getty

In den Tagen vor dem Start der neuen Bundesliga-Saison stellt SPOX alle 18 Klubs in einer Vorschau-Serie vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Diesmal: VfB Stuttgart.

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Seit der Meister-Saison 2006/07 ist der VfB Stuttgart so ziemlich auf Platz 6 gebucht. 6, 3, 6, 12, 6 - so schloss der VfB die letzten fünf Saisons ab. Ein Champions-League-Exploit nach oben, ein Abstiegskampf-Ausrutscher nach unten - ansonsten die totale Nummer sechs.

Geht es nach den Eindrücken der letzten Rückrunde könnte man meinen, dass 2012/13 mal wieder ein Angriff auf die Königsklasse möglich ist. Rang drei hinter Dortmund und Bayern, die zweitmeisten Tore und 30 Punkte aus den letzten 14 Spielen waren eine Ansage.

Dennoch ist Vorsicht geboten. Das wissen auch die Stuttgarter und dementsprechend zurückhaltend werden die Ziele formuliert. "Wir wollen unseren Fußball weiterspielen. Das ist das oberste Ziel", sagt Coach Bruno Labbadia im "Kicker".

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Das ist neu

Präsident Gerd Mäuser betont zwar gebetsmühlenartig, dass der VfB "kein Sparverein" ist, dennoch gibt die Transferbilanz auf den ersten Blick ein klares Bild ab. Während die Konkurrenz links und rechts teils mächtig aufgerüstet hat, ist beim VfB nach einer Offensive im Winter (Vedad Ibisevic, Gotoku Sakai) im Sommer nahezu nichts passiert.

Flügelstürmer Tunay Torun kam nach dem Abstieg der Hertha ablösefrei aus Berlin, Rechtsverteidiger Tim Hoogland wurde aus Schalke ausgeliehen. Das war's. Dem gegenüber stehen fünf teils namhafte Abgänge: Am bittersten ist perspektivisch ohne Frage der Verlust von Stürmer Julian Schieber, der für ca. 5,5 Millionen Euro nach Dortmund verkauft wurde. Auch der Weggang von Stammspieler Khalid Boulahrouz (Sporting Lissabon) könnte mehr wehtun, als es manch einer denken mag. Außerdem nicht mehr in Stuttgart: Ex-Kapitän Matthieu Delpierre (Hoffenheim), Timo Gebhart (Nürnberg) und Stefano Celozzi (Frankfurt).

Das Gute aus VfB-Sicht: Die in der Rückrunde so stark aufspielende Mannschaft ist extrem eingespielt. Sven Ulreich hat sich als Top-Keeper etabliert und ist neben Kapitän Serdar Tasci und Martin Harnik das Gesicht des VfB geworden. Niemand steht so für den VfB und verkörpert Siegeswillen so nach außen wie Ulreich.

Neben Ulreich und Harnik haben nur Tasci, William Kvist und Ibisevic eine absolute Stammplatz-Garantie. In der Viererkette wird Hoogland zum Start den Rechtsverteidiger geben (müssen), da Gotoku Sakai durch die Olympia-Teilnahme mit Japan weder Vorbereitungs- noch Spielrhythmus hat. Wie schnell Hoogland, der durch Verletzungen praktisch zwei Jahre weg vom Fenster war, in den Rhythmus findet, bleibt abzuwarten.

Neben Tasci wird wohl Georg Niedermeier beginnen, der die Nase leicht vor Maza zu haben scheint. Auf der Linksverteidiger-Position sind Arthur Boka und Cristian Molinaro praktisch gleichauf und kämpfen um einen Platz in der ersten Elf. Im Mittelfeld wird entweder Christian Gentner oder Zdravko Kuzmanovic gemeinsam mit Kvist auf der Doppelsechs spielen - aktuell geht die Tendenz zum formstarken Deutschen, dessen Standing als Vize-Kapitän nicht zu unterschätzen ist.

Weiter vorne ist Harnik für Labbadia auf dem rechten Flügel naturgemäß gesetzt. Auf der linken Seite macht Ibrahima Traore Druck auf Shinji Okazaki. Traore, in seinem ersten Jahr noch überhaupt kein Faktor, ist einer der großen Gewinner der Vorbereitung und könnte positiv überraschen. Mit Torun und Johan Audel (gefühlt seit Jahren ein Neuzugang), sollte er tatsächlich mal fit werden und bleiben, gibt es weitere Optionen.

Tamas Hajnal ist zentral ohne wirkliche Konkurrenz, bis Rückkehrer Daniel Didavi nach seiner schweren Knieverletzung wieder zurückkommt. Cacau würde zwar auch gerne hinter der Spitze auflaufen, für ihn wird aber in erster Linie nur die Backup-Rolle für Ibisevic bleiben.

Hoffen dürfen die VfB-Fans, dass auch aufgrund der Dreifachbelastung einige Teenager zu Einsätzen kommen werden, die eine Menge Potenzial mitbringen. Innenverteidiger Antonio Rüdiger (19), körperlich extrem stark und von Kvist deshalb schon als "Wrestler" bezeichnet, könnte ebenso in den Fokus rücken wie die beiden Österreicher Raphael Holzhauser (19, defensives Mittelfeld) und Kevin Stöger (18, Zehner). Es wird schließlich auch Zeit, dass die bekannt formidable Stuttgarter Nachwuchsarbeit mal wieder in der Bundesliga Früchte trägt.

Die Taktik

Labbadia wird an seinem System nichts verändern. Das 4-2-3-1 bleibt beim VfB fest verankert. "Unser Grundsystem mit einer Spitze steht, damit haben wir seit meinem Amtsantritt schließlich 83 Punkte geholt", erklärt Labbadia mit Nachdruck.

Die Doppelspitzen-Variante mit Ibisevic und Cacau kommt wahrscheinlich nur zum Zug, wenn der VfB einen Rückstand aufholen muss. Dann heißt die Maxime: Im Mittelfeld defensiver denken, mit der Fokussierung darauf, die Ordnung zu halten. Hajnal spielt in diesem Szenario neben Gentner in einer flachen Vier. Das ist aber wie gesagt die Ausnahme, Standard soll es unter Labbadia nicht werden.

Grundsätzlich will der VfB wie in der Rückrunde einen schnellen, offensiven, leidenschaftlichen und vor allem enorm aggressiven Fußball spielen. Je größer das Selbstvertrauen wurde, je beeindruckender wurde phasenweise das Stuttgarter Pressing. Labbadias System führte zu teils dominanten Auftritten und insgesamt 40 Rückrunden-Toren. Aber nicht nur THE MATCH in Dortmund (4:4) zeigte, dass es auch ein extrem riskantes System ist.

Der Spieler im Fokus

Vedad Ibisevic. Der Kvist-Transfer im letzten Sommer verdiente schon die Note "sehr gut", aber die Verpflichtung von Ibisevic aus Hoffenheim im Winter muss mindestens so hoch bewertet werden. Ibisevic ist in Stuttgart granatenmäßig eingeschlagen.

In 15 Spielen erzielte Ibisevic acht Tore, diese Quote sollte er mindestens beibehalten können. Der Bosnier passt perfekt ins System. Er ergänzt sich vor allem mit Harnik ideal und ist als Lückenreißer selbst dann wertvoll, wenn er mal nicht trifft.

Das Interview

SPOX: Drittbeste Mannschaft der Rückrunde, und nur Dortmund hat in diesem Zeitraum mehr Tore geschossen. Wie hoch ist der Anspruch innerhalb der Mannschaft für die neue Saison?

Harnik: Auch hier ist Konstanz gefragt. Wir kennen das ja aus den letzten Jahren mit den starken Rückrunden und weniger guten Hinrunden, obwohl der Start in der vergangenen Saison durchaus gelungen war. Diesmal wollen wir uns unbedingt von Anfang an oben etablieren und sofort so viele Punkte holen wie möglich. Dazu haben wir die Europa League vor uns, die wir sehr ernst nehmen und wo wir weit kommen wollen. Wir wollen unbedingt die Gruppenphase erreichen. Es ist ein Traum, in drei Wettbewerben vertreten zu sein, aber es ist natürlich auch eine Belastung. Die müssen wir meistern.

Das komplette Interview mit Martin Harnik folgt vor dem Bundesliga-Start

Die Prognose

Der VfB muss sich nach der Rückrunde mit Sicherheit nicht verstecken. Wenn die eingespielte Mannschaft von größeren Verletzungsproblemen verschont bleibt und noch konstanter wird, ist ein Heranschnuppern an Rang vier und die Champions League keine Utopie. Der Geist in der Mannschaft scheint gut. Das belegt auch der Fakt, dass der VfB in der letzten Saison zehn Mal nach einem 0:1-Rückstand noch punktete (4 Siege, 6 Remis). So häufig wie keine andere Mannschaft.

Realistisch ist allerdings ganz klar eher ein erneutes Abschneiden um Rang sechs. Bemerkenswert: In den letzten zehn Jahren war der VfB ohnehin nur zweimal schlechter als Sechster. Fazit: Nicht wirklich schlechter als sechs, aber wahrscheinlich auch nicht wirklich besser als fünf.

Der Kader des VfB Stuttgart im Überblick