Alles kann, (fast) nichts muss

Von Jochen Tittmar
Der Kader von Borussia Dortmund in der Saison 2011/2012
© Getty

In den Tagen vor dem Start der neuen Bundesliga-Saison stellt SPOX alle 18 Klubs in einer Vorschau-Serie vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Die Serie endet mit dem Deutschen Meister Borussia Dortmund.

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"Eine Meisterschaft endet nach dem 34. Spieltag, eine Entwicklung nicht." Mit dieser Aussage eröffnete Trainer Jürgen Klopp die neue Saison beim BVB. Der Meister verschreibt sich diesem Credo weiterhin voll und ganz und bleibt damit seiner Linie treu: Junge und entwicklungsfähige Akteure sollen modernen Fußball mit hoher Leidens- und Laufbereitschaft spielen und die eigenen Messlatten weiter in die Höhe verschieben.

Die Verteidigung des überraschenden Meistertitels wird nicht erwartet. Wohl aber die Qualifikation für einen internationalen Wettbewerb - das erste konkrete Saisonziel, das seit Jahren ausgegeben wurde.

Das ist neu

Die Wahrnehmung. Ob überraschend oder nicht - der BVB geht als Deutscher Meister und somit von Beginn an als Gejagter in die neue Spielzeit. Das gab es zuletzt in der Saison 2002/2003, am Ende stand damals der dritte Platz. Mit diesem Ergebnis wäre man auch diesmal wieder zufrieden.

Nächste Neuerung: Die Borussia spielt in der Champions League und damit in einem Wettbewerb, den der Löwenanteil des Kaders bislang nur von der eigenen Couch aus verfolgt hat.

Daher geht Klopp diese Aufgabe mit einer gesunden Portion Realismus an: "Warum die Belastung in der Champions League so viel größer sein soll, hat mir abschließend noch niemand erklären können. Dennoch wäre es absoluter Quatsch, davon auszugehen, wir marschieren da locker durch. Für uns ist dieser Wettbewerb Neuland. Allerdings sollte es für jeden Gegner richtig unbequem sein, gegen uns zu spielen, wenn wir unsere Waffen auspacken."

Durch den Abgang von Nuri Sahin ist Dortmund allerdings um eine Waffe geschwächt worden. Nominell kommt Ilkay Gündogan, vom 1. FC Nürnberg nach Westfalen gewechselt, einem Sahin-Ersatz am nächsten.

Sowohl er als auch Ivan Perisic, der teuerste Neuzugang seit neun Jahren, sind im Mittelfeld vielseitig einsetzbar und noch lange nicht am Ende ihrer Entwicklung angekommen. Beide kosteten zusammen ungefähr das Geld, welches man für Sahin einnahm.

Chris Löwe kam für einen kleinen Betrag vom Regionalligisten Chemnitzer FC und ist der Gewinner der Vorbereitung. Dies hat zwar auch mit dem Umstand zu tun, dass der etatmäßige Linksverteidiger Marcel Schmelzer weite Teile der Vorbereitung verletzt verpasste.

Doch nach den anfänglichen Eingewöhnungsschwierigkeiten vor allem im defensivtaktischen Bereich überzeugte Löwe zusehends mit dem nötigen Biss und fußballerischem Verständnis. Er wird Schmelzer beim Saisonauftakt gegen den HSV vertreten.

Moritz Leitner kehrte nach seinem Leihgeschäft vom FC Augsburg zurück und machte ebenso wie Löwe recht schnell durch Spielwitz und Engagement auf sich aufmerksam. Leitner kann alle Mittelfeldpositionen bekleiden.

Auch Rechtsverteidiger Julian Koch ist nach einem Jahr in Duisburg zurück beim BVB, wird verletzungsbedingt aber noch bis zur Rückrunde fehlen. Marvin Bakalorz, vor allem im defensiven Mittelfeld einsetzbar, kommt aus der U-23-Mannschaft zu den Profis.

Die Taktik

In der Meistersaison war das 4-2-3-1 maßgebend. Nur in wenigen Ausnahmen griff Klopp auf den Tannenbaum mit drei defensiven Mittelfeldspielern zurück. Eine Abkehr dieses bewährten Schemas ist unwahrscheinlich.

Klopp verriet zwar, dass Systemumstellungen und eine daraus resultierende veränderte Spielweise als Folge des Sahin-Wechsels möglich seien. Doch bislang ließ sich diesbezüglich kaum etwas erkennen. Die Testspiele in der Vorbereitung absolvierte das Team ausnahmslos im 4-2-3-1. Der BVB definiert sich weiterhin über die laufintensive Arbeit gegen den Ball und das blitzartige Umschalten in die Offensive.

Die Abwehrformation ist dabei das am wenigsten spannende Gebiet. Die Viererkette ist eingespielt und musste in der Vorsaison die mit Abstand wenigsten Gegentore (22) schlucken. In den vergangenen fünf Spielen kassierte der BVB das letzte Gegentor vor 408 Minuten beim Freundschaftskick gegen Polonia Warschau.

Auch im Sturmzentrum wird es wenige Überraschungen geben. Robert Lewandowski ersetzt zu Saisonbeginn Lucas Barrios, da dieser verletzt von der Copa America zurückkam. Ist Barrios fit, wird er spielen. Als weitere Alternativen stehen Mohammed Zidan und mit Abstrichen Damien Le Tallec bereit.

Das größte Gedränge findet auf den fünf Mittelfeldpositionen statt, wobei dort die Fronten weitestgehend abgesteckt sind. Der wiedergenesene Shinji Kagawa hat zentral, Mario Götze auf der rechten Seite einen Stammplatz sicher. Links kommt Perisic derzeit (noch) nicht an Kevin Großkreutz vorbei.

Die beiden Sechser werden auf lange Sicht wohl Gündogan und Sven Bender heißen. Allerdings hat Kapitän Sebastian Kehl endlich mal wieder eine komplette Vorbereitung mitmachen können und gute Chancen, den verletzungsanfälligen, aber wohl gesetzten Bender öfter als angenommen zu vertreten.

Grundsätzliches Problem: Kehl und Bender sind sich aufgrund ihrer defensiven Denkweise auf dieser Position zu ähnlich, um dauerhaft nebeneinander spielen zu können.

Der Spieler im Fokus

Mario Götze. Der 19-Jährige glänzte in seiner ersten Bundesligasaison nicht nur mit einer hervorragenden Statistik (sechs Tore, 15 Torvorlagen), sondern zeigte mit Ball am Fuß auch eine atemberaubende Technik in Tateinheit mit extrem hoher Geschwindigkeit.

Zudem steckt er den Rummel um seine Person schon erstaunlich professionell und gelassen weg. Es dürfte keine Übertreibung sein, Götze zu den besten Spielern, die Fußball-Deutschland in den letzten 20 Jahren hervorgebracht hat, zu zählen.

Um seine Standfestigkeit und Robustheit zu verbessern, legte er Zusatzschichten im Kraftraum ein und kommt nun deutlich muskulöser daher. Eine nötige Maßnahme, da man davon ausgehen kann, dass Götze in der neuen Saison wohl zu den meistgefoulten Spielern der Liga zählen wird - wenn man ihn erwischt.

Das Interview

SPOX: Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke sagt, die Borussia wäre nicht der klassische Titelverteidiger. Als Saisonziel wurde ein internationaler Platz ausgegeben. Unter welchen Umständen wären Sie mit Platz sechs, der ja nächste Saison auch dazu zählt, zufrieden?

Neven Subotic: Wenn jeder sagen kann, dass es eine gute Saison war, weil wir größtenteils gut gespielt und immer alles gegeben haben. Einen Sonntagsschuss oder eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters kann niemand verhindern. So etwas kann immer Punkte kosten. Mal mehr, mal weniger.

SPOX: Teilen Sie Watzkes Einschätzung überhaupt?

Subotic: Ja. Von uns hatte keiner die Meisterschaft erwartet. Warum sollte der Überraschungsmeister also im Folgejahr erneut Überraschungsmeister werden? Wir haben ja jetzt auch keine Hochkaräter auf Weltklasseniveau für 15 oder 20 Millionen Euro geholt.

Hier geht's zum kompletten Interview mit BVB-Verteidiger Neven Subotic

Prognose

Vor einem Jahr hatte kein Mensch damit gerechnet, dass der BVB dermaßen souverän die siebte deutsche Meisterschaft einfährt. Klopp führte den Verein zuvor auf Rang sechs und fünf. Eine spielerische Weiterentwicklung war deutlich zu erkennen, schon vor dem Meisterjahr spielte die Borussia einen ansehnlichen Ball.

Die letzte Spielzeit hat diese Gesamtentwicklung auf ein vorab nicht zu erahnendes Maß gehievt. Mit dieser Tatsache muss man in Dortmund nun umgehen, tut dies aber unbeirrt von äußeren Einflüssen und mit der nötigen Locker- und Unaufgeregtheit.

Wie im Vorjahr bleibt grundsätzlich abzuwarten, wie das Team mit dem als Titelverteidiger nun noch höheren Druck und der intensiven Belastung der Champions League zurecht kommt.

Die bisherigen Auftritte des sinnvoll auch in die Breite verstärkten Meisters waren allesamt weitestgehend überzeugend und unterschieden sich vor allem kein bisschen von dem Fußball, den der BVB im Vorjahr anbot. Dort war Dortmund die beste Mannschaft der Liga.

Wenn das Team von überbordendem Verletzungspech verschont bleibt, könnte dies so bleiben. Die erneute Qualifikation für die Königsklasse ist allerdings wahrscheinlicher und allemal ein Erfolg.

Borussia Dortmund: Der Kader im Überblick