Bayerns Pleite in Hannover: Spielnummer 224

Von Für SPOX in Hannover: Stefan Rommel
Wenige Sekunden nach dem Abpfiff: Die Bayern konsterniert
© Getty

Eine Partie für die Geschichtsbücher: Bayern München erreicht beim 1:3 in Hannover den Tiefpunkt seiner Krise, Trainer Louis van Gaal steht vor dem Aus. Und Hannover? Feiert einen der schönsten Tage der letzten Jahrzehnte und träumt jetzt offen von Europa.

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Die Bayern hatten längst das Feld geräumt, also blieb den Helden die große Bühne ganz allein. "Won't forget theses days" wummerte aus den Lautsprechern, als sich die Spieler in Rot auf eine Ehrenrunde machten, wie sie die AWD-Arena so noch nie gesehen hatte.

Die brennenden Fragen beim FCB: Das Szenario ohne van Gaal

Die Klänge einer Band aus Hannover begleiteten den Stolz der Stadt. Anders waren die überschwänglichen Reaktionen der Fans kaum zu deuten. Die zurückliegenden 90 Minuten werden zur Legendenbildung dienen, so viel steht jetzt schon fest.

Bayern zwischen beiden Extremen

Spielnummer 224 hatte die Deutsche Fußball Liga vor der Saison der Partie Hannover 96 gegen den FC Bayern München verpasst.

Nichtahnend, dass es sich dabei am 25. Spieltag einer Saison um eine Partie handeln würde, die für den Einzug in die Champions League vorentscheidenden Charakter hat.

Dass die ewigen Bayern den Tiefpunkt ihrer Krise erreichen und deren Trainer Louis van Gaal womöglich zum letzten Mal überhaupt auf der Bank des Rekordmeisters würde Platz nehmen dürfen.

Das Spiel selbst war wie das Auf und Ab der Bayern in dieser Saison. Auf zaghafte Höhen folgen abgrundtiefe Täler. Es gab Phasen, da waren die Gäste eindeutig spielbestimmend, auch wenn der ganz große Glanz fehlte.

Und dann gab es wieder diese Fehler und Abstimmungsschwierigkeiten, die einen bunt zusammengewürfelten Haufen von Kumpels am Sonntagnachmittag im Park vermuten ließen - aber keine Mannschaft von Weltformat wie den FC Bayern. Am Ende brachen die Münchener sogar beinahe noch völlig auseinander.

"Gute und richtige Entscheidungen treffen

Die Gesichter der Protagonisten im Bauch der Arena ließen nichts Gutes erahnen. Karl-Heinz Rummenigge tat pflichtbewusst seinen Dienst an den TV-Mikrophonen. "Wir betrachten die Situation mit großer Sorge", sagte der Vorstandsvorsitzende.

"Ob wir über den Trainer diskutieren, weiß ich heute nicht. Ich glaube, wir müssen das jetzt mit aller Rationalität sacken lassen, analysieren und dann versuchen, gute und richtige Entscheidungen zu fällen."

Mehr war von Rummenigge nicht zu erfahren. Präsident Uli Hoeneß zog es mit Karl Hopfner im Schlepptau vor, gar nichts zu sagen. Die sehr schmalen Lippen und ein starrer Blick nach vorne sagten aber mehr als viele Worte.

Es sieht nach einer unruhigen Nacht aus für die Bosse. Der Kriegsrat wird einberufen werden, das steht fest. Das Ringen um Lösungen im Binnenverhältnis zum ersten Angestellten van Gaal wird rauer und bissiger werden.

München zerbricht am Druck

Selbst Kapitän Philipp Lahm, ansonsten ein unverbesserlicher Optimist und in seinen Ansagen sehr ausgewogen und diplomatisch, stieß bei der Analyse des Spiels auf keine positiven Aspekte.

"Wir haben uns das Leben mal wieder selber schwer gemacht, denn wir machen einfach zu viele Fehler und geraten dann immer in einen unnötigen Rückstand. Das darf einer Spitzenmannschaft nicht passieren."

Es sind dabei aber nicht mehr nur die handwerklichen Fehlleistungen, die dem Rekordmeister so zusetzen. In den engen Spielen, die mit dem ganz besonderen Druck, und mit dem Rücken zur Wand zeigt der FC Bayern traditionell sein wahres Gesicht. In Hannover zerschellte er an einer sonderbaren Verunsicherung.

"Eigentlich wollten wir den Druck auf die Mannschaft nicht noch erhöhen. Dann macht Hannover dieses Tor, das war zu viel für meine Mannschaft", nannte van Gaal den Grund für eine blamable erste Halbzeit.

Van Gaal bleibt ruhig

Ein einziger Nadelstich, es war eine Chance des emsigen Konstantin Rausch nach zwölf Minuten, stoppte eine recht passable Anfangsphase jäh und erinnerte die Bayern daran, wie fragil und flatterhaft ihre Verfassung derzeit ist.

"Das erste Tor hat uns aus der Bahn geworfen. So etwas darf uns eigentlich nicht passieren", sagte auch Arjen Robben. Eine echte Erklärung für den plötzlichen Stimmungsumschwung mitten im Spiel aber hatte auch der Holländer nicht.

Zurück bleiben viele andere Fragen. Die explosivste ist aber natürlich die nach der Zukunft van Gaals.

Auf der Pressekonferenz änderte der seine Mimik und Sprachregelung fast im Sekundentakt, von fatalistisch über sarkastisch bis ironisch war für jeden etwas dabei. Aber er blieb ruhig. Man hätte angesichts der bohrenden Fragen und wegen seines bisweilen übersprudelnden Temperaments auch etwas anderes erwarten können.

Aber van Gaal ist schon zu lange im Geschäft. Er weiß sehr wohl, dass sein Wohl schon längst nicht mehr in seinen Händen liegt. Sondern in den Füßen der Mannschaft. Vor allem aber in den Köpfen der Bosse. "Meine Spieler haben mit einem Löwenherz gekämpft. Sie reagieren noch gut auf mich. Der Vorstand muss jetzt eine Entscheidung treffen, ob sie mir das Vertrauen aussprechen oder nicht."

Hannover auf dem Weg zur Sensation

Van Gaal ist jetzt gefühlt an einem Punkt angelangt, an dem Mirko Slomka Anfang August schon war. Da stand Hannovers Trainer nach dem katastrophalen Pokal-Aus beim Viertligisten SV Elversberg vor dem Aus. Der Auftaktsieg in der Liga gegen Frankfurt rettete ihn damals.

Aber von den finsteren Tagen ist 96 mittlerweile meilenweit entfernt. Die Roten eilen von Rekord zu Rekord und leben ihren Traum von der Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb. Auch wenn das in der offiziellen Sprachregelung noch nicht bei jedem angekommen ist.

"Natürlich denken wir jetzt an Europa", sagte Slomka. "Wir wollen 50 Punkte holen und definieren dann ein neues Ziel", sagte Sergio Pinto. Draußen tobte noch die Menge. Auch gut 20 Minuten nach Spielende verharrten noch tausende Fans im Stadion und schauten sich beinahe ungläubig an.

Es war ein überwältigender Tag für alle, die es mit der "alten Liebe 96" halten. Mindestens genauso famos und euphorisch wie bei beiden Aufstiegen 1998 und 2003. Über Spielnummer 224 wird wohl noch in einigen Jahren ehrfurchtsvoll gesprochen werden.

Hannover - Bayern: Daten zum Spiel

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