Stani und der Mut zum Außergewöhnlichen

SID
Benedikt Pliquett (vorne) war neben Gerald Asamoah der Hauptdarsteller des Hamburger Derbys
© Getty

Trainer Holger Stanislawski vom FC St. Pauli ist beim 1:0-Sieg im Lokalderby gegen den HSV wieder einmal eine Überraschung gelungen, indem er Benedikt Pliquett ins Tor stellte. Der 41-jährige Stanislawski bewies damit erneut, dass er einer der ungewöhnlichsten Trainerpersönlichkeiten in der Liga ist.

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Benedikt Pliquett drehte nach dem Schlusspfiff komplett durch. Orientierungsloses Rumrennen auf dem Spielfeld, eine Imitation des Bogenschützen-Jubels von Mladen Petric, Abklatschen, Rumschreien, die Eckfahne kicken, den Gegner dissen.

"Das war mit Abstand das emotionalste Spiel meines Lebens und der größte Tag in meinem Fußballerleben", erklärte der 26 Jahre alte Torwart des FC St. Pauli nach dem 1:0 (0:0)-Erfolg des Aufsteigers im prestigeträchtigen Stadtderby beim Hamburger SV und ordnete den Derby-Sieg höher ein als den Bundesliga-Aufstieg: "Das Gefühl ist toller als beim Aufstieg in Fürth letztes Jahr."

Stanislawski: "Haben extrem starke Torhüter"

Nicht ein Bundesligaspiel hatte der Keeper bislang bestritten. Seit sechs Jahren schon trägt er das Trikot der Braun-Weißen, ein Dauer-Ersatzspieler und Fan zugleich. Und diesen Pliquett stellte Trainer Holger Stanislawski im emotional wichtigsten Spiel der Saison ohne irgendeine Verletzungsnot in den Kasten und setzte Stammkeeper Thomas Kessler auf die Bank.

"Wer etwas Außergewöhnliches erreichen will, der muss etwas Außergewöhnliches machen", sagte Pauli-Coach Holger Stanislawski, "wenn es schiefgegangen wäre, hätte ich die Verantwortung dafür getragen."

Die ungewöhnliche Maßnahme begründete er so: "Wir haben Thomas Kessler damals die Chance gegeben, in Köln zu spielen, obwohl Bene damals dran gewesen wäre. Jetzt war das für mich relativ klar, dass Bene dieses Spiel bekommt, egal in welcher Situation wir uns befinden. Wir haben extrem starke Torhüter, wir können jeden blind rein werfen."

Pliquett wusste lange bescheid

Man könne den Spielern nicht über Jahre sagen, sie gehören zum Team, wenn man ihnen dann nicht die Chance gäbe, sich zu beweisen. "So hat Bene alles richtig gemacht und das freut mich ganz besonders für ihn", sagte Stanislawski.

Pliquett zeigte nur wenige Unsicherheiten, rettete aber mehrfach großartig und hielt so seine lange Zeit unterlegene Mannschaft bis zum Siegtreffer von Gerald Asamoah (59.) im Spiel.

"Der Trainer hat mir schon vor vier, fünf Wochen gesagt, dass ich das Derby spiele", sagte Pliquett hinterher. "Ich habe zu ihm gesagt: 'Stani, wenn das dein Ernst ist, dann musst Du auch Wort halten, ich reiß' Dir sonst den Kopf ab.' Er hat Wort gehalten."

Stani vertraut auf sein Personal

Auch so hält man eine Truppe zusammen, Gruppenpsychologie für Anfänger. Man muss nur den Mut haben, es auch durchzuziehen. Stanislawski hat mit diesem Coup wieder einmal gezeigt, dass er zu den besseren Trainern in der Bundesliga gehört.

Das hat der 41-Jährige nicht nur schwarz auf weiß auf seinem Trainerdiplom, das er vor zwei Jahren als Jahrgangsbester abschloss, er beweist dies seit 2006 bei St. Pauli. Zwei Aufstiege und nun beste Chancen auf den Klassenerhalt lautet seine Bilanz seitdem.

Fünf Spieler standen gegen den HSV auf dem Platz, die bereits in der dritten Liga für St. Pauli aktiv waren. Insgesamt gehören sogar elf Akteure zum Bundesligakader, die mit ihrem Coach den langen Weg aus der Drittklassigkeit gegangen sind.

Wie lange bleibt der Coach?

Vertrauen in die Spieler und Kontinuität ist auch ein Erfolgsgeheimnis. Als der Klub in der Winterpause mit nur 17 Punkten und 16 erzielten Toren gefährlich nahe an der Abstiegszone stand, lehnte Stanislawski Winterzugänge ab: "Auch wenn man mir Arjen Robben anböte, würde ich ihn nicht nehmen."

Bis 2012 läuft der Vertrag des Trainers noch, der einschließlich seiner Spielerlaufbahn schon seit 18 Jahren für St. Pauli tätig ist. Allerdings gibt es eine Ausstiegsmöglichkeit in diesem Sommer und das Interesse anderer Klubs nimmt eher zu.

Stanislawski ist ehrgeizig und der Zeitpunkt rückt näher, an dem er mit dem kleinen Stadtteilklub St. Pauli das maximal Mögliche erreicht hat. Vor allem, nachdem ihm nun der erste Sieg im Lokalderby seit September 1977 gelungen ist.

"Mit der Unterschrift unter den Trainervertrag habe ich im Grunde meinen Abschied von St. Pauli besiegelt", sagte der gelernte Masseur und Bademeister einmal. Rauswurf oder Abschied, er kennt das Geschäft. "Vielleicht passe ich nur zu St. Pauli", sagt der Hamburger, "vielleicht passe ich aber auch woanders viel besser hin. Was die Zukunft bringt, wird man sehen."

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