"Wollten Franz und Pele entführen"

Horst Wolter stand elf Jahre bei Eintracht Braunschweig im Kasten
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SPOX: In der A-Jugend haben Sie in Berlin-Charlottenburg gespielt - und zwar als Rechtsaußen. Wie wird man dann zum Nationaltorwart?

Wolter: Ein unbegabter, untalentierter Rechtsaußen, das muss man dazu sagen (lacht). Als Bäcker musste ich ja früh aufstehen und war dann beim Training immer ziemlich k.o. In Braunschweig hat meine Mutter dann vorgeschlagen, dass ich mich ins Tor stellen soll. Ich bin zwar schon als Kind gerne nach dem Ball gehechtet und stand dann auch im Training zwischen den Pfosten, aber richtig gut war ich nicht. Da hat mich unser Keeper, Hans Jäcker, unter seine Fittiche genommen und mir das Torwartspiel beigebracht. Ihm habe ich ziemlich viel zu verdanken. Und nachdem ich ihn in der ersten Bundesliga-Saison ein paar Mal gut vertreten hatte, habe ich ihn dann ein Jahr später im Tor abgelöst. Das findet man sonst auch nirgendwo, dass jemand seinen eigenen Konkurrenten aufbaut.

SPOX: In der Meistersaison bekamen Sie nur 29 Gegentore - ein Rekord, der 21 Jahre lang Bestand hatte. Sind Sie darauf heute noch stolz?

Wolter: Na klar, das war der Schlüssel zur Meisterschaft. Mit der Mannschaft konnten wir nur defensiv spielen. Und vor allem war unsere Abwehr richtig gut eingespielt. Wenn wir vorne ein Tor geschossen hatten, dann war das meist schon die halbe Miete für den Sieg.

SPOX: Aufgrund der starken Saison wurden Sie in die Nationalmannschaft berufen und waren auch 1970 bei der Endrunde in Mexiko dabei. Was ist Ihnen von dem Turnier am meisten in Erinnerung geblieben?

Wolter: Natürlich das Spiel um Platz drei gegen Uruguay im Aztekenstadion. Da durfte ich das erste Mal bei einer WM ins Tor. Und darüber hinaus das unglaubliche Spiel gegen England, als wir schon 0:2 zurücklagen. Da hatten wir in Gedanken schon die Koffer gepackt und dann haben wir noch 3:2 gewonnen.

SPOX: Kann man die WM 1970 noch mit einem Event wie dem letztes Jahr in Brasilien vergleichen?

Wolter: Nein, überhaupt nicht. Fußball war damals noch ein ganz anderes Spiel. Man konnte den Ball zum Beispiel in Ruhe annehmen, das ist heute ja längst nicht mehr der Fall. Und auch das ganze Umfeld war ein völlig anderes. Wir waren in Leon untergebracht und südamerikanische Befreiungskämpfer hatten vor der WM eine Drohung ausgesprochen. Sie wollten Franz Beckenbauer und Pele entführen, um auf sich aufmerksam zu machen. Daher waren wir hermetisch abgeriegelt. Wenn ich das heute sehe, da werden die Frauen eingeflogen und man geht zusammen Kaffee trinken - das wäre damals undenkbar gewesen.

SPOX: Wie kann man sich das Leben in so einem abgeriegelten Trainingslager vorstellen?

Wolter: Es gab einen Zaun ums Trainingsgelände, drum herum standen Polizisten. Das war nicht lustig und nach drei Wochen hatten wir alle den absoluten Lagerkoller. Land und Leute kennen lernen war völlig unmöglich und ich freue mich, dass die Zeit nicht stehen geblieben ist, sondern dass die Nationalelf in Brasilien ein Dorf der Einwohner besuchen konnte. Uns blieb das leider verwehrt.

SPOX: Wie war es, als Nummer zwei zur WM zu fahren und zu wissen, dass man hinter Sepp Maier vermutlich nicht spielen wird?

Wolter: Für mich war das total super. Sepp konnte nur vernünftig arbeiten, wenn er die Nummer eins war. Der war keine Nummer zwei. Ich hatte in Braunschweig keine Lobby und er war auch ein kleines Stückchen besser als ich. Aber zwischen uns gab es keine Rivalität, wir waren sogar zusammen auf dem Zimmer und es war eine schöne Zeit.

SPOX: Nachdem Sie noch einmal fünf Jahre bei Hertha BSC als Spieler aktiv waren, wurden Sie 1989 in Berlin zum Manager auserkoren. Wie kam es dazu?

Wolter: Ich hatte im Anschluss an meine Bäckerlehre noch eine Banklehre gemacht und habe mich als Spieler immer schon um Dinge wie Vereinswechsel und die Mannschaftskasse gekümmert. Die Hertha war damals ganz unten. Wir spielten in der Oberliga und hatten nicht einmal mehr ein eigenes Stadion. Da schlug der Vorstand vor, ich könne das Finanzielle und das Sportliche übernehmen. Na gut, habe ich gesagt (lacht).

SPOX: Und mit Ihnen als Strippenzieher kam der Erfolg zurück...

Wolter: Kann man so sagen, aber das war natürlich Teamwork - auch bei den Transfers. Wir haben Werner Fuchs als Trainer geholt und hatten sicherlich auch das nötige Glück. Aber wir sind sofort in die 2. Liga und ein Jahr später direkt in die Bundesliga aufgestiegen. Das war schon eine ziemliche Leistung.

SPOX: Dennoch haben Sie nur noch ein Jahr weitergemacht. Warum?

Wolter: Ich habe direkt nach dem Aufstieg schon gesagt, dass wir das Gebiet dringend professionalisieren müssen. Dazu kam, dass wir gleich wieder in die 2. Liga abgestiegen sind und ich - auch aufgrund meiner Familie - nicht mehr die Zeit für den Job hatte. Später übernahm den Posten Dieter Hoeneß, da wurde es dann endlich richtig professionell gemacht.

SPOX: Mit 13 Länderspielen für Deutschland sind Sie noch immer Braunschweigs Rekordnationalspieler - und das nach über 40 Jahren.

Wolter: Das werde ich vermutlich auch noch eine Weile bleiben (lacht). Wer soll denn da aus Braunschweig kommen? Ich habe ja eine rege Fantasie, aber das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Wenn sich wirklich jemand herauskristallisieren sollte, der die Anlagen dazu hat, dann wird der schneller weggekauft, als wir gucken können. Und dann ist er kein Braunschweiger mehr. Stichwort Karim Bellarabi. Von daher wird es wohl ein Rekord für die Ewigkeit sein.

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Der Kader der Eintracht im Überblick