"Leere, Verzweiflung, Emotionslosigkeit"

Von Interview: Daniel Paczulla
Die Schalke-Fans müssen derzeit viel mitmachen
© Getty

Der FC Schalke 04 steckt in einer tiefen Krise. In der Bundesliga liegen die Knappen nur auf Rang neun. Im UEFA-Cup gab's gegen Twente Enschede eine 1:2-Schlappe (zum Spielbericht), die das vorzeitige Aus bedeuten könnte. Die Fans haben die Nase voll und fordern den Rauswurf von Manager Andreas Müller.

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SPOX hat bei einem nachgefragt, der mittendrin ist in der Schalker Fanszene. Olivier (Oli4) Kruschinski ist Pressesprecher des Schalker Fanclub-Verbandes e.V. und Vorstandsmitglied im Supporters Club e.V., der passiven Mitgliedervertretung des S04.

Er ist seit vielen Jahren stets dabei, wenn Schalke spielt. In seinem Buch "Blau und Weiß ein Leben lang" erzählt er von seinen vielschichtigen Erlebnissen mit Königsblau.

Zudem schreibt Kruschinski auf der Seite "Auswärtssieg.Schalkewelt" regelmäßig Blogs über seine Eindrücke.
Lesen Sie hier alle Blogs von Olivier Kruschinski (Oli4) über den FC Schalke 04.

SPOX: Herr Kruschinski, wie sehr blutet Ihr königsblaues Herz?

Olivier Kruschinski: Schalke ist für mich Herzblut, Leidenschaft und Emotion. Ein Lebensgefühl. Natürlich lässt einen die derzeitige Situation nicht kalt. Doch mittlerweile hat sich bei vielen Fans und Mitgliedern ein Gefühl der Leere, der Verzweiflung und vor allem der Emotionslosigkeit breit gemacht. Gleichgültigkeit und Lethargie halten Einzug. Und wenn Schalke einen kalt lässt, dann läuft etwas verkehrt. Denn davon lebt unser Verein. Man geht derzeit "auf den Platz", weil es schon immer so war und immer so sein wird. Aber um die elf Jungs auf dem Rasen geht es bei vielen schon lange nicht mehr. Die Mannschaft scheint blutleer zu sein. Die Identifikation ist schon vor längerer Zeit verloren gegangen.

SPOX: Wegen der schlechten Ergebnisse?

Kruschinski: Ja, aber nicht ausschließlich. Der Ärger der Fans und vor allem der Mitglieder basiert nicht nur auf dem sportlichen Misserfolg.

SPOX: Sondern?

Kruschinski: Darüber ausführlich zu referieren, würde den Rahmen sprengen. Nur so viel: Zum einen ist da die äußerst unglückliche Außendarstellung des Vereins. Man versucht, die Dinge nur schön zu reden, anstatt einfach Tacheles zu reden. Wir hören immer nur, dass wir gegen Bayern 18:1-Ecken hatten. Na und? Wir haben 1:2 verloren. Die Menschen im Ruhrgebiet sind ehrliche Typen, die ihre Meinung sagen, aber auch Kritik vertragen können. Dazu gehört es auch, Fehler zuzugeben. Vielleicht war Rudi Assauer gerade deshalb so beliebt. Wegen seiner offenen und direkten Art.

SPOX: Gibt es weitere Beispiele?

Kruschinski: So Geschichten wie die mit dem einfliegenden Friseur aus der Schweiz, der den Spielern die Haare schneidet, kommen bei den Fans nicht gut an. Das kann man nicht verkaufen, wenn gleichzeitig die Leistung nicht stimmt. Wir leben in Gelsenkirchen, wo die Arbeitslosenquote immer noch hoch ist. Die Spieler verdienen gut, was auch okay ist. Aber ein wenig mehr Bewegung und Herzblut können wir erwarten.

SPOX: Die Außendarstellung des Vereins ist der eine Punkt, was ist der zweite?

Kruschinski: Es gibt interne Kritik an der Vereinspolitik, die einen Prozess der Entfremdung nach sich zieht. In der jüngeren Vergangenheit hat der Verein viele kleine, aber auch größere Entscheidungen getroffen, die wenig verständlich und unpopulär ankamen. Zumindest aber als unglücklich kommuniziert und verstanden wurden. Irgendwann platzt dann den Leuten halt der Kragen.

SPOX: Zum Beispiel?

Kruschinski: Die Erhöhung von Eintrittskartenpreisen, die Erhebung von Top-Zuschlägen für Spiele, die keine Top-Partien sind, wenig Gastfreundlichkeit gegenüber Gästefans, Spieler fehlen wochenlang unentschuldigt - um nur einige Punkte zu nennen. Viele Fans haben das Gefühl, nicht mehr ernst genommen zu werden.

SPOX: Von den Fans will man mehr Geld. Gleichzeitig gibt man unendlich viel Geld offenbar relativ planlos bei einigen Spielertransfers aus.

Kruschinski: Dabei sollten die letzten Wintereinkäufe (Ze Roberto II, Sanchez, Streit, Anm. d. Red.) uns sofort helfen. Stattdessen saßen gegen ManCity zehn Millionen vom Jahresetat nicht einmal auf der Tribüne. Carlos Grossmüller und Peter Lövenkrands sind Stammspieler bei den Amateuren. Wie will man so etwas den Leuten verkaufen, die einen Großteil ihres Jahresurlaubes, ihrer Freizeit und ihres Lohnes opfern, um zu den Spielen zu kommen, und teilweise einen Anfahrtsweg von über 600 Kilometern haben?

SPOX: Die Fans fühlen sich verschaukelt.

Kruschinski: Genau. Einerseits wird ein Topzuschlag  erhoben, anderseits macht das Management schwerwiegende Fehler mit millionenschweren Folgen. Man versucht, den Leuten ein X für ein U zu verkaufen, das ist nicht authentisch. Das lassen viele aber nicht mehr mit sich machen. Schalke ist noch ein Verein und keine Kapitalgesellschaft. Und in einem Verein ist das Mitglied immer noch das stärkste Glied in der Kette.

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SPOX: Fürs Personal ist vor allem Manager Andreas Müller verantwortlich. Gab es deshalb gegen ManCity die Rufe gegen ihn?

Kruschinski: Um eines klarzustellen: Diese Rufe gingen nicht von der Nordkurve aus. Dort haben viele geschwiegen.

SPOX: Es liegt also gar nicht am Manager?

Kruschinski: Sicher ist der Manager mit verantwortlich. Aber alles an Müller festzumachen, ist nicht richtig. Wir Fanvertreter versuchen schon seit langer Zeit, auf Missstände und Fehlentwicklungen aufmerksam zu machen. Die Probleme liegen viel tiefer, als dass man mit einem "Müller raus" alles klären könnte. Dieser schleichende Prozess hat schon vor einiger Zeit - und wir reden hier von Jahren - eingesetzt. Allerdings wird und wurde wenig auf unsere Warnsignale gehört. Nun ist vielen der Kragen geplatzt. 

SPOX: Was muss Ihrer Meinung nach passieren?

Kruschinski: Ein Patentrezept zur Lösung aller Probleme gibt es nicht. Man sollte sich über Grundsätzlichkeiten unterhalten und auf den authentischen und ehrlichen "Schalker Weg" zurückkehren.

SPOX: Zuletzt hatte Mirko Slomka Kritik geäußert. Der Boulevard bringt nun Rudi Assauer wieder ins Gespräch. Was halten Sie davon?

Kruschinski: Die Ehemaligen nutzen die Situation nun aus. Auf einmal sind Assauer und Slomka redselig. Dabei sind auch sie mitverantwortlich für diese Situation. Der mehr als glückliche Einzug ins Champions-League-Viertelfinale hat doch im letzten Jahr vieles an Problemen nur kaschiert.

Hier geht's zum Blog von Oli4 nach dem Spiel gegen Manchester City