"Die Zeit ist reif für Klinsis Vision"

Von Interview: Daniel Martinez
Bundesliga, Fußball, FC Bayern München, Martin Vasquez, Co-Trainer
© Getty

Wer an den FC Bayern München denkt, denkt in erster Linie an Jürgen Klinsmann. Dabei vergisst man gerne die Leute, die dem Cheftrainer zur Seite stehen. Co-Trainer Martin Vasquez ist eine dieser Personen.

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Im Interview mit SPOX spricht der 44-Jährige US-Amerikaner über das Projekt FC Bayern, deutsche Tugenden und die Philosophie des Münchner Trainerstabs.

SPOX: Herr Vasquez, wie anstrengend ist die Arbeit als rechte Hand von Jürgen Klinsmann?

Martin Vasquez: Meine Tage sind ziemlich lang, länger als die der Spieler. Während der Vorbereitung haben wir zehn bis zwölf Stunden ununterbrochen gearbeitet, um die kurzen und mittelfristigen Pläne für die Saison zu schmieden. Das ist die Arbeitsmentalität von Jürgen Klinsmann. Er arbeitet sehr diszipliniert und überlässt nichts dem Zufall.

SPOX: Planung und Disziplin sind typisch deutsche Tugenden.

Vasquez: Ja, so kenne ich die Deutschen, und dafür sind sie auch in den USA und in Lateinamerika berühmt. In meiner lateinamerikanischen Kultur gibt es viel mehr Gelassenheit. Ordnung und Planung tauchen nur auf, wenn sie absolut notwendig sind. Bei den Deutschen sind diese Tugenden immer vorhanden.

SPOX: Ihre Arbeit in München begann am 30. Juni, trotzdem haben sie viele Monate davor mit Jürgen Klinsmann fast täglich an dem Projekt FC Bayern in den USA gebastelt.

Vasquez: Wir haben uns damals nicht täglich getroffen, aber doch zeitintensiv an unseren Plänen gearbeitet. Als wir am 30. Juni in München unser Amt antraten, waren unsere Philosophie, unsere Ziele und wie wir sie erreichen würden, schon eine beschlossene Sache.

SPOX: Wenn man von dieser Philosophie hört, scheint Klinsmann der Messias eines neuen Fußballs zu sein und Sie zusammen mit dem gesamten Trainerstab die Aposteln dieser Art von Religion.

Vasquez: Weder sind wir Apostel, noch halten wir uns für welche. Jürgen Klinsmann hat eine Vision. Er will den Fußballern ermöglichen, sich als Menschen weiter zu entwickeln. Diese Vision wird von seinem Trainerstab geteilt und unterstützt. Wir sind keine Vorreiter in dieser Richtung, es gibt in verschiedenen Ländern Trainer, die so arbeiten, wenn auch nur in wenigen. Es geht darum, die Spieler so gut wie möglich auf das Leben nach dem Fußball vorzubereiten und ihnen neue Horizonte zu öffnen.

SPOX: Woher kommt diese Idee?

Vasquez: Die Philosophie ist von Klinsmann, der als Spieler solche Möglichkeiten nie hatte und heute weiß, dass viele Profifußballer weltweit nach ihrer aktiven Laufbahn mittellos im Leben stehen. Er will, dass die Spieler, mit denen er zusammengearbeitet hat, auch nach der Karriere ein erfülltes Leben haben.

SPOX: Wieviel Martin Vasquez steckt hinter dieser Philosophie?

Vasquez: Wir als Spieler, Trainer und einfachere Menschen haben eine ähnliche Erfahrung gemacht, wir haben wie tausend andere Fußballer das gleiche erlebt. Darüber haben wir uns oft unterhalten. Dabei wurde uns klar, wie viele Spieler es gibt, die keine Superstars waren, keine Chance auf eine Ausbildung hatten und nicht vorbereitet waren für die Suche nach Optionen und Alternativen außerhalb eines Stadions. Die Zeit ist reif für die Vision von Jürgen Klinsmann, sie ist nicht eine Sache von zwei Monaten, sie ist langfristig.

SPOX: Steht der FC Bayern für diese Vision?

Vasquez: Im Fußball gibt es vier Säulen: Technik, Taktik, Physis und Psyche. Wir fügen eine fünfte hinzu: die menschliche Entwicklung, damit der Fußballer immer besser wird. Das Projekt FCB steht dafür, dem Spieler diese fünfte Säule anzubieten.

SPOX: Aber der Erfolg eines Klubs wird sich weiter an Siegen und gesammelten Punkten messen lassen müssen.

Vasquez: Es ist uns klar, dass der wichtigste Maßstab unserer Arbeit gute Ergebnisse sind. Allein die Infrastruktur eines Klubs gewinnt keine Spiele. Wir haben keine der anderen Säulen vernachlässigt. Die Ergebnisse müssen stimmen, damit wir eine Chance haben, unser Projekt und unsere Philosophie fortzusetzen.

SPOX: Steht diese fünfte Säule vielleicht zu sehr im Vordergrund Ihrer Arbeit?

Vasquez: Nein, sie ist für uns nur ein Element des Ganzen. Ich glaube, dass das Thema von außen betrachtet wichtiger zu sein scheint als es tatsächlich ist. Für uns bleibt der Fußball das Wichtigste, da liegen unsere Prioritäten. Es ist sehr simpel: Der FC Bayern München ist nun ein Verein, der viel mehr anbietet, der viel attraktiver für die Spieler geworden ist.

Im zweiten Teil des Interviews gewährt Vasquez Einblicke in die Beziehung zu Klinsmann.