"Manchmal müssen die Fetzen fliegen"

Von Interview: Andreas Allmaier
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© Getty

München - Mit Felix Magath als Mr. Allmächtig ist der VfL Wolfsburg in dieser Saison angetreten, dem Mittelfeld der Liga zu entkommen und Visionen umzusetzen.

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Nach den ersten neun Spieltagen (3 Siege, drei Niederlagen, 3 Unentschieden, Platz 10) ist das noch nicht gelungen. Vor dem Spiel in Hannover (So, 17 Uhr im SPOX-LIVE-TICKER und bei Premiere) fragte SPOX.com Pablo Thiam nach den Gründen.

Der 33-Jährige kennt Coach, Manager und Geschäftsführer Magath schon aus gemeinsamen Zeiten beim VfB Stuttgart. Er ist nicht nur aufgrund seiner Erfahrung einer der Go-to-Guys des Trainers. 

SPOX: Herr Thiam, kommen Sie derzeit immer pünktlich zum Training?

Pablo Thiam: Ja, warum?

SPOX: Die Lokführer streiken und Sie fahren täglich mit dem Zug von Berlin nach Wolfsburg.

Thiam: Bisher ging es. Man muss sich nur rechtzeitig informieren. Im Übrigen fahre ich ja auch nicht jeden Tag, weil ich unter der Woche in Wolfsburg bin.

SPOX: Mehr Spaß als Streik-Infos zu lesen macht Ihnen derzeit sicherlich die tägliche Arbeit beim VfL.

Thiam: Ich kenne die Trainingsmethoden von Felix Magath noch aus Stuttgarter Zeiten. Sie kommen mir entgegen und auch die Mannschaft hat Spaß daran. Das Beste ist, dass man sehen kann, wie man sich dadurch weiterentwickelt.

SPOX: Warum passt es zwischen Ihnen und Magath so gut?

Thiam: Ich mag es, wenn der Trainer klare Ansagen macht. Er sagt jedem Spieler genau, was er von ihm verlangt und achtet darauf, dass das umgesetzt wird. Jeder fängt bei ihm bei Null an und kann sich beweisen. Dann kann man auch nachvollziehen, wenn man mal nicht spielt, weil er das sachlich begründet und klar macht, dass jeder Spieler für sich selbst verantwortlich ist. Damit komme ich sehr gut klar.

SPOX: In der vergangenen Saison waren Sie unter Klaus Augenthaler nicht einmal zweite Wahl, man hat Ihnen nahe gelegt, den Verein zu verlassen. Warum sind Sie nicht gegangen?

Thiam: Weil ich ein Kämpfer bin. Vor meiner Familie und auch vor mir selbst wollte ich nicht gleich die Flinte ins Korn werfen, wenn es mal nicht so gut läuft. Ich muss auch ganz ehrlich sagen: Ich spiele jetzt schon eine ganze Weile hier und der Verein liegt mir am Herzen. Wolfsburg ist ein guter Platz, um zu trainieren, spielen und zu leben. Das wollte ich nicht so einfach aufgeben.

SPOX: Haben Sie nie an sich gezweifelt?

Thiam: Nein, das darf man nicht. Ich bin von Grund auf ein positiv denkender Mensch. Jeden Morgen nehme ich mir vor, positiv durch den Tag zu gehen. Das ist auch der Grund, warum ich nie schlechte Stimmung gemacht habe. So verfällt man nicht in Depressionen. Auch bei den Mitmenschen kommt man viel besser rüber. Die Fähigkeit, immer das Positive zu sehen, war mein Glück.

SPOX: Denken Sie mit Verbitterung an Augenthaler zurück?

Thiam: Nein, so etwas ist mir fremd. Wenn ich ihn heute sehe, grüße ich ihn ganz normal. Er hat seinen Job gemacht, ich habe meinen Job gemacht. Ich kann einem Trainer nicht sagen, wie er aufzustellen hat. Ich habe alles versucht, es hat nicht gereicht. Damit muss ich leben.

SPOX: Haben Sie gejubelt als Sie hörten, dass Magath nach Wolfsburg kommt?

Thiam: Nein. Ich wusste, was auf mich zukommt, das war vielleicht ein kleiner mentaler Vorteil. Aber vor den Trainingseinheiten hat mich das auch nicht gerettet.

SPOX: Ist er härter als andere Trainer?

Thiam: Felix Magath will, dass man immer ans Limit geht. Aber nur so verbessert man sich. Man wird immer voll beansprucht. Das macht den Unterschied aus. Natürlich gibt es auch mal Einheiten, die extrem hart sind. Aber man hat bei unseren bisherigen Spielen gesehen, dass uns das zu Gute kommt, denn wir waren in Sachen Ausdauer immer fitter als der Gegner.

SPOX: Was ist die schlimmste Einheit, die Magath drauf hat?

Thiam: Ach, da gibt es einige. In dem Moment denkst du, die sind schlimm. Aber danach weißt du, was du geleistet hast. Und die Gruppe schweißt so was zusammen. Man ist stolz darauf, dass man das durchgestanden hat.

SPOX: Welche Gründe hat die Wiederauferstehung des Pablo Thiam?

Thiam: Ich habe versucht, die verlorene Substanz durch zusätzliches Training aufzuholen. Magaths Trainingseinheiten fielen mir am Anfang schon sehr schwer. Aber ich habe mich durchgebissen. Der Trainer will, dass ich meine Erfahrung einbringe und Führungsaufgaben übernehme. Ich muss vielleicht manchmal weniger Laufwege machen und dafür mehr organisieren. Das ist eine gute Rolle für mich. In bestimmten Bereichen kann ich einfach nicht mehr mit den Jüngsten mithalten. Aber ich habe viel Erfahrung. Wenn wir die richtige Mischung finden, kann die Mannschaft einen Schritt nach vorne machen.

SPOX: Magath ist Trainer- und Manager in Personalunion. Ist er dadurch distanzierter oder noch näher dran?

Thiam: Er ist noch näher dran. Oft wird kritisiert, dass der Manager die Spieler nicht kennt, nicht nah genug an der Mannschaft ist. Das gibt es bei uns nicht. Die Wege sind sehr kurz. Magath hat die Verantwortung, die Entscheidungen werden sehr schnell getroffen. Das ist gut für uns.

SPOX: Bei Ihnen persönlich läuft es zwar, Wolfsburg kommt aber nicht so richtig in die Gänge. Ist der Klub einfach nur Mittelmaß?

Thiam: Es gab bei uns einen großen Umbruch. Da musste einiges aufgearbeitet werden. Die letzten Spiele haben aber gezeigt, dass hier etwas zusammenwächst. Wir sind schlecht gestartet, haben uns aber gefangen. Wir haben jetzt alle Möglichkeiten, bis zur Winterpause aufzuholen.

SPOX: Was macht die Mannschaft in dieser Saison besser?

Thiam: Wir haben eine sehr gute Mischung. Menschlich passt es einfach besser, es ist harmonisch. Vielleicht sogar manchmal zu harmonisch.

 SPOX: Zu harmonisch?

Thiam: Manchmal müssen einfach die Fetzen fliegen und ein paar Reibereien her, damit die Aggressivität geschürt wird.

SPOX: Viel Wirbel gab es vergangene Woche um die Länderspiel-Absage von Ashkan Dejagah. Können Sie ihn verstehen?

Thiam: Alle, die da geschimpft und getobt haben, sollten sich erstmal mit dem Jungen unterhalten und seine Gründe hören. Dann wird man ihn auf jeden Fall verstehen. Als er mir das erklärt hat, ist das ganz anders rübergekommen als alles, was öffentlich diskutiert wurde.

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