Fußball unterm Hakenkreuz: So wurde das "Todesspiel von Kiew" zum Mythos

Von Dennis Melzer
Fußball unterm Hakenkreuz: Wie das "Todesspiel von Kiew" zum Mythos wurde.
© goal
Cookie-Einstellungen

Vier Start-Spieler fielen Nazis zum Opfer

Nikolai Korotkykh, der als Angreifer für Start auflief, starb während eines Verhörs durch die Nazis. Als nahezu bewiesen gilt, dass er offenbar im Zuge von schlimmer Folter einen Herzinfarkt erlitt. Zuvor soll die Gestapo einen in seiner Jacke eingenähten NKDW-Ausweis gefunden haben. Letzteres ist jedoch nicht dokumentiert. Fest steht allerdings, dass fürwahr neun Spieler im KZ Syrez untergebracht wurden, um als Zwangsarbeiter eingesetzt zu werden, drei davon, namentlich Nikolai Trusevich, Olexij Klimenko und Ivan Kusmenko, fielen Ende Februar 1943 einem Erschießungskommando zum Opfer.

Augenzeugen machten allerdings unterschiedliche Angaben über die Gründe der Exekution. Die gängigste Version, die auch Herzog bei Spiegel Online anführt, ist die, dass mehrere Häftlinge, unter ihnen auch die erwähnten Ex-Kicker, auf den Schäferhund von Lager-Kommandant Paul von Radomsky losgegangen sein sollen, weil dieser in der Lagerküche Würstchen geklaut hatte. "Zur Strafe veranlasste Radomsky die Exekution", so der Sporthistoriker.

Andere berichteten davon, dass Trusevich, Klimenko und Kusmenko bei einer willkürlichen Massenerschießung ihr Leben ließen, die vergeltend für einen Anschlag von Partisanen auf ein Panzerreparaturwerk durchgeführt wurde. Ein Zusammenhang zum Triumph über die Flakelf wird aber nicht hergestellt. Makar Gontscharenko, der ebenfalls zu den neun Inhaftierten gehörte und in einer Schusterei der Wehrmacht Zwangsarbeit verrichtete, sagte 50 Jahre nach der Ermordung seiner ehemaligen Mannschaftskollegen: "Wie Millionen unserer Menschen kamen sie um, weil zwei Totalitarismen einen unbarmherzigen Kampf gegeneinander führten."

plakat-med
© wikipedia

Gontscharenko: "Niemand hat uns unter Druck gesetzt"

Er, der mit der Medaille "für Verdienste im Kampf" geehrt wurde und während der Sowjetherrschaft stets an der Legende des Todesspiels festgehalten hatte, distanzierte sich nach dem Zusammenbruch der UdSSR, arbeitete sogar an der Richtigstellung. In einem Interview mit dem Kiewer Rundfunk verriet Gontscharenko beispielsweise: "Niemand von der offiziellen Verwaltung hat uns unter Druck gesetzt, damit wir aufgeben."

Dafür sprechen auch weitere Zahlen, die belegen, dass Fußballspiele zwischen Besatzern und Ukrainern an der Tagesordnung lagen, wobei schon damals offen darüber berichtet wurde, dass die Deutschen regelmäßig gegen die einheimischen Auswahlen verloren. Der Historiker Wolodymyr Hynda wies nach, dass insgesamt 150 solcher Spiele stattfanden, bei 111 ermittelte er die jeweiligen Endstände. Das Ergebnis: Die Nazis verließen den Platz 60-mal als Verlierer, nur 36 Spiele entschieden sie zu ihren Gunsten, während man sich 15-mal unentschieden trennte.

Trotz der historischen Belege bemühte sich die Sowjetführung bis zum Schluss darum, den Mythos zu bewahren, Herzog ist der Meinung, dass das "Todesspiel" von Kiew noch heute als "wichtiger Bestandteil linker Erinnerungskultur" herhalten muss. Die Schreckensherrschaft der Nazis in Kiew und überall sonst, wo Hitlers Streitkräfte wüteten, Menschen unterdrückten, terrorisierten, ihrer Rechte beraubten und ermordeten, zu relativieren, weil die filmreife, dramaturgisch brillante Mär letztlich nur in kleinen Teilen der Wahrheit entsprach, ist freilich dennoch vermessen.

Der Korrektheit halber muss man den 9. August 1942, an dem eine Handvoll ukrainischer Fußballer den Aggressor zum zweiten Male binnen weniger Tage sportlich demütigte, aber als das einordnen, was es war: Ein Fußballspiel in den dunklen Zeiten des Zweiten Weltkrieges, in Zeiten von beispielloser Gewalt, Perspektivlosigkeit und Not. Daran erinnert die martialische Skulptur mit dem nackten Mann, der dem alles zerstörenden Reichsadler mutig die Stirn bietet. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr, zumindest nach heutigem Wissensstand. So heroisch die einst überlieferte Version auch daherkam.

Inhalt: