Überholen ist ja doch möglich!

Max Verstappen manövierte in Brasilien Sergio Perez und Felipe Nasr im Senna-S aus
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Die Formel-1-Saison 2015 versprach Spannung: Fünf Weltmeister, drei Deutsche, ein Haufen talentierter Neulinge. SPOX-Redakteur Alexander Maack bewertet nach jedem Grand Prix die fahrerischen Leistungen von Sebastian Vettel, Lewis Hamilton, Fernando Alonso und Co. und stellt sein persönliches Driver-Ranking auf. Teil 18: Der Brasilien-GP in Sao Paulo.

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Platz 1, Nico Rosberg: Mit seinem 184. Start in der Formel 1 ist der in Wiesbaden geborene Weltmeistersohn zum zweiterfahrensten Deutschen nach Michael Schumacher aufgestiegen. Diese Erfahrung spielte er im Rennen aus. Rosberg weiß aus eigener Erfahrung, wie unangenehm es ist, im Windschatten des Teamkollegen zu fahren. Er weiß aber auch, dass er dieser Situation schon am Samstag entgehen kann.

In Interlagos fuhr der Vizeweltmeister zum fünften Mal in Folge auf die Pole Position, es war die 21. seiner Karriere. Rosberg hat seine größte Stärke wiedergefunden, die ihn in der Saison 2014 bis zum letzten Rennen um den Titel kämpfen ließ, bevor er sie sich plötzlich in Luft auflöste. Pünktlich zum Saisonfinale sichert sich Rosberg wieder Pole um Pole und frustriert damit seinen Teamkollegen. Hamilton wollte Rekorde jagen, Ayrton Senna nacheifern. Stattdessen fährt ihm sein scheinbar unterlegener Teamkollege plötzlich davon.

78 Hundertstel fehlten dem Weltmeister in Q3, damit legte Rosberg die Grundlage für den Sieg. Beim fehlerfreien Rennen kontrollierte er die Pace und ließ sich vom wütend angreifenden Hamilton nicht au der Ruhe bringen. Er schonte die Reifen im Infield, wo Überholmanöver unmöglich sind, und gab früh genug Gas, um echte Angriffe auf der Zielgeraden zu verhindern. Taktisch äußerst klug sicherte sich Rosberg seinen fünften Saisonsieg. Eine perfekte Leistung.

Platz 2, Max Verstappen: Fünfter in der Driver-Ranking-Jahreswertung? Für einen Rookie unvorstellbar, bei Verstappens Leistungen aber berechtigt. Ein Teenager steigt mit der Erfahrung eines einzigen Jahres im Rennauto in die Formel 1 auf und düpiert die etablierte Konkurrenz. In Interlagos sorgte Verstappen für eine erneute Sternstunde. Sich für die Top 10 zu qualifizieren, war schon eine gute Leistung. Im Rennen legte der 18-Jährige aber noch drei Schippen drauf.

Felipe Massa beschleunigte ihn mit Mercedes-Power nach dem Start auf der Gegengeraden aus, doch Verstappen hielt die Außenbahn. Der Williams-Pilot musste hinter Nico Hülkenberg bremsen, der Toro Rosso schlüpfte in einer Kurve an beiden fast vorbei. Und: Während Daniel Ricciardo aufgrund der fehlenden Renault-Leistung kaum an den Manor vorbeikam, setzte Verstappen seine Jagd fort.

Trotz ansteigender Zielgerade setzte er sich vor dem Senna-S neben Sergio Perez und Felipe Nasr. Auf der Außenbahn bremste er die Force-India- und Sauber-Piloten kontrolliert aus. Überholen in Interlagos ist also doch möglich! Verstappen verriet später sein Geheimnis: Er hatte Video-Studium betrieben und sich vom erfolgreichen Manöver durch Kimi Räikkönen gegen Michael Schumacher beim Brasilien-GP 2012 inspirieren lassen.

Platz 3, Sebastian Vettel: Der dritte Platz im Qualifying war standesgemäß, der 0,3-Sekunden-Vorsprung auf Ferrari-Teamkollege Kimi Räikkönen ein gewohntes Bild. Im Rennen stimmte Vettels Pace, er folgte den Mercedes. Dass er keine Attacke ritt, ist dem vierfachen Weltmeister nicht anzulasten.

Vettel vertraute seiner Scuderia, als sie auf eine Drei-Stopp-Strategie mit weichen Slicks im Mittelstint umschwenkte. Er fuhr so schnell es ging, doch schnell genug für den Sieg war der SF15-T nicht. Trotzdem war Vettel einmal mehr der schnellere Pilot im Team aus Maranello. Fehler suchte man in Brasilien vergebens. Es fehlten außergewöhnliche Umstände für den großen Coup.

Platz 4, Romain Grosjean: Der Start von Platz 14 war etwas enttäuschend. Wäre da nicht mehr drin gewesen? Gut, Lotus-Teamkollege Pastor Maldonado startete noch einen Platz weiter hinten. Trotzdem bleibt ein leichter Zweifel nach dem Dreher von Grosjean. Doch wer mag es ihm verdenken?

Der in der Schweiz geborene Franzose war tief getroffen vom Terror in der Hauptstadt seiner Heimat. Grosjean zeigte seine Emotionen innerhalb des Teams und antwortete am Sonntag auf der Strecke hochprofessionell. Aus Startplatz 14 wurde durch die Streichung von Felipe Massa letztlich Rang 8 im Ziel.

Grosjean war ein Glückspilz. Er sprang in der ersten Runde um drei Positionen nach vorn, weil Carlos Sainz jr. aus der Box losfahren musste und Marcus Ericsson katastrophal startete. Aber: Er war hellwach, als Perez im Kampf gegen Verstappen einen Fehler machte und schlüpfte auf der Außenbahn am Mexikaner vorbei. Mehr als Platz 8 wäre für Lotus nicht drin gewesen.

Platz 5, Lewis Hamilton: Der Weltmeister zog abermals gegen seinen Teamkollegen den Kürzeren. Das ist nach dem Saisonverlauf bei weitem keine Schande. Es wäre sogar verständlich, wenn Hamilton es nach der Titelverteidigung ruhiger angehen lässt. Tut er aber nicht. Der 30-Jährige kämpft mit allen Mitteln, um nach elf Pole Positions und zehn Siegen weitere Erfolge zu feiern.

Das gelang ihm in Sao Paulo nicht. Das ist auch nicht schlimm. Trotzdem verstehe ich Hamiltons Verhalten nicht. Er betont immer wieder, wie viel er dem Team zu verdanken hat, wenn er gewinnt. Siegt er zweimal in Folge nicht, ist aber die Mercedes-Taktik schuld. In Mexiko und Brasilien forderte er für sich eine andere Taktik als die des Teamkollegen. Dabei weiß er, dass sein Rennstall diese Rosberg ebenso verwehrte, als der hinterherfuhr.

Dieses Verhalten sollte Hamilton überdenken. Er hat es nicht nötig. Seine fahrerische Leistung in der Saison 2015 ist unbestritten, doch die Beanspruchung eines Sonderstatus rechtfertigt es für mich nicht. Der Brite sollte akzeptieren lernen, dass auch er an manchen Wochenenden gegen den eigenen Teamkollegen unterlegen ist. Das würde intern für geringeres Spannungspotenzial sorgen und in einem ab der Saison 2016 möglichen WM-Kampf gegen ein anderes Team Vorteile bringen.

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