"Teams ohne Interesse an neuem Reifenkrieg"

Von Interview: Alexander Maack
Pirelli-Motorsportdirektor Paul Hembery (M.) ist Diplomat: Er bewundert alle Formel-1-Fahrer
© xpb

Paul Hembery ist als Motorsportdirektor von Pirelli für das Formel-1-Engagement des Reifenmonopolisten verantwortlich. Im Interview mit SPOX verrät er exklusiv, weshalb er sich insgeheim einen Konkurrenten wünscht. Außerdem: Warum er die Kritik der Teams versteht und sich 2013 dennoch nichts ändern wird.

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SPOX: Herr Hembery, als Sie zuletzt mit SPOX sprachen, haben Sie angekündigt, dass die Pirelli-Reifen der Saison 2012 zu ausgeglicheneren Rennen führen würden. Hätten Sie erwartet, dass die Grands Prix so unbeständig werden und kein Team sich in der ersten Saisonhälfte klar an die Spitze setzt?

Paul Hembery: Ich würde nicht von Unbeständigkeit sprechen, sondern eher von Wissenslücken, die sich jedoch zum Ende der Saison hin immer mehr schließen. Das Zusammenspiel zwischen einem Formel-1-Auto und den Reifen ist so eine komplexe Wissenschaft, die von so vielen Variablen beeinflusst wird, dass es eine sehr schwere Aufgabe ist, jeden möglichen Parameter und alle Umstände zu verstehen.

SPOX: Woher rührt das?

Hembery: Es ist einfach nicht zu vermeiden. Das beeinflusst auch uns. Das könnte man als Unsicherheitsfaktor oder wenn man will als Unbeständigkeit beschreiben. Aber weil die Teams im Laufe der Saison immer mehr Wissen aufbauen, verringert sich das kontinuierlich.

SPOX: Es stehen noch drei Rennen aus. Wer ist Ihr Favorit auf die WM?

Hembery: Wir mussten ja schon feststellen, dass es schwer ist, irgendetwas vorauszusagen. Fernando Alonso war ein starker WM-Führender, McLaren hatte das Momentum auf ihrer Seite und Kimi Räikkönen konnte man nie ganz abschreiben. Und in den letzten Rennen ist Red Bull wieder ganz vorne. Das Muster des Jahres setzt sich fort: Die Teams gewöhnen sich immer mehr an die Regularien und lernen, wie man am meisten aus ihnen herausholt - inklusive der Reifen. Wenn sie sich alle weiterhin im selben Maße verbessern, dann wird das wieder ein Herzschlagfinale. Das ist doch eine gute Sache für die Fans.

SPOX: Während der Saison haben einige Fahrer wiederholt die Reifen kritisiert. Darunter Michael Schumacher. Können Sie einige der Aussagen nachvollziehen?

Hembery: Jeder hat seine Meinung. Nach einem Rennen gibt es immer eine Person, die sehr glücklich ist, weil sie gewonnen hat, und 23 in unterschiedlichem Maße weniger zufriedene Leute. Wir versuchen Reifen zu entwickeln, die auf 20 Kursen mit zwölf Autos und 24 Fahrstilen funktionieren. Dazu kommen dann noch die verschiedenen Asphaltbeschaffenheiten und das Wetter. All diese Faktoren werden logischerweise an einem bestimmten Wochenende immer besser zu einem bestimmten Auto passen. Die Fahrer, bei denen es nicht so funktioniert, werden immer nach Gründen dafür suchen.

SPOX: Es gab Medienberichte, dass Mercedes an der Motorenkonfiguration, dem Engine Mapping, Änderungen vornehmen wollte. Sind Sie zufrieden, dass die Probleme mit den Hinterreifen durch das Team bedingt sind?

Hembery: Die Berichte habe ich nicht gelesen. Aber wenn man an irgendeinem Punkt durchdrehende Räder hat, erhöht das natürlich den Reifenverschleiß. Das gilt bei jedem Auto, nicht nur bei Mercedes. Es ist aus meiner Position wirklich schwer, das zu beurteilen, weil wir nicht zu allen Entwicklungsdetails der Teams Zugang haben. Verständlicherweise gibt es Dinge, die sie für sich behalten wollen. Man muss das alles aber einordnen: Mercedes hat in diesem Jahr das erste Rennen als modernes F1-Team gewonnen. Das war eine fantastische Leistung.

SPOX: Berücksichtigen Sie denn die Kritik, wenn Sie die Reifenmischungen für einen Grand Prix auswählen?

Hembery: Wir sind bescheiden genug um zu realisieren, dass wir nicht auf alles eine Antwort haben. Es ist erst unser zweites Jahr in der Formel 1. Wir stimmen jeder Kritik zu, solange sie fair ist. Alles in allem denke ich aber, dass die Auswahl in diesem Jahr genau die richtige war. Wir hatten in jedem Rennen zwischen zwei und drei Pitstops und den ausgeglichensten Saisonstart der Geschichte. Das war unglaublich aufregend.

SPOX: In Belgien und Italien waren die härtesten Pneus im Einsatz, wodurch der Reifenverschleiß niedrig war. Trotzdem waren die Rennen ausgeglichen und spannend. Könnte man nicht einfach immer diese Mischungen fahren?

Hembery: Nein. Es ist großartig, die Auswahl zwischen vier Reifen zu haben, alle mit einer ganz eigenen Charakteristik. Das ermöglicht den Fahrern, auf einer breiten Palette von verschiedenen Rennstrecken das Beste aus ihren Autos herauszuholen. Wir werden die einzelnen Mischungen 2013 noch etwas näher zusammenbringen. Aber wir brauchen auch die weichen Mischungen. Monaco auf harten Reifen wäre für die Fahrer ungenießbar. In Singapur hätten wir uns sogar einen noch weicheren Reifen gewünscht. Einen super-supersoften Reifen quasi. Wir brauchen eher sechs oder acht Reifenmischungen als vier.

SPOX: Welche Veränderungen planen Sie denn für 2013?

Hembery: Ich glaube nicht, dass wir radikale Änderungen brauchen. Wir werden 2013 sicher einige neue Reifenmischungen sehen, worauf unser diesjähriges Testprogramm auch abgezielt hat. Wir müssen uns jede Saison neu erfinden, weil die Innovation in der Formel 1 in einem hohen Tempo voranschreitet. Wir werden den Aufbau leicht verändern, aber nichts Grundlegendes. In diesem Monat haben wir noch einen Reifentest bei Nässe gemacht, weil wir auch die Wets noch optimieren wollten. Aber wie in dieser Saison wollen wir den Teams wieder Denkaufgaben stellen und gleichzeitig unsere Reifen ins bestmögliche Licht setzen. Das ist schließlich der Grund, warum wir in der Formel 1 sind.

SPOX: Die Haltbarkeit der Reifen bleibt also gleich?

Hembery: Sie bleibt auf dem diesjährigen Niveau, damit wir weiterhin zwei bis drei Pitstops pro Rennen sehen und jeder Reifensatz etwa 100 Kilometer hält. In der letzten Saison waren es durchschnittlich 2,25 Stopps pro Auto und Rennen. Dieses Jahr waren es bisher etwas weniger. Deshalb sind wir mit der Haltbarkeit zufrieden. Aber wir werden sicherstellen, dass die Pitstops nicht weniger werden.

SPOX: Gibt es einen Konflikt dazwischen, schnelle und gleichzeitig beständige Reifen zu entwickeln und der Vorgabe, die Voraussetzung für spannende Rennen zu schaffen?

Hembery: Grundsätzlich stimmt das: Formel-1-Ingenieure sind extreme Perfektionisten. Wenn es nach Ihnen ginge, würden die Fahrer ähnlich wie Piloten von Kampfflugzeugen Anti-G-Anzüge brauchen. Aber wir müssen realisieren, dass es in diesem Sport mittlerweile auch um Entertainment geht. Wir können uns in zunehmendem Maße nicht mehr darauf konzentrieren, nur das traditionelle europäische Publikum anzusprechen.

SPOX: Die globale Ausrichtung der Formel 1 verändert also auch die Anforderungen?

Hembery: Wir streben auch in Gebiete wie China, wo wir mit dem Fußball konkurrieren und die USA, wo es eine Vielzahl von Sportübertragungen gibt. Deshalb müssen wir den Schwerpunkt auf Entertainment und die Reifen-Strategie setzen. Das spiegelt sich in den Vorgaben wider, die wir von Bernie Ecclestone und den Teams bekommen haben. Im letzten Jahr haben wir mehr Überholmanöver gesehen als jemals zuvor. Deshalb denke ich, dass wir mit unserer Arbeit erfolgreich sind.

SPOX: Motorsport lebt eigentlich von Konkurrenz und Wettbewerb. Gerade zwischen verschiedenen Marken. Pirelli ist Monopolist. Wünschen Sie sich nicht manchmal einen Wettbewerber?

Hembery: Klar. Aus persönlicher Sicht würden wir uns über mehr Wettbewerb freuen. Es macht immer mehr Spaß, den Gegner zu schlagen, als gegen sich selbst zu kämpfen. Trotzdem müssen wir die finanziellen Rahmenbedingungen beachten. Die Teams haben kein Interesse an einem neuen Reifenkrieg. Im Wettbewerb gegen einen Konkurrenten ist es als Reifenhersteller außerdem sehr schwer, den Anteil am Erfolg zu beurteilen. Es bräuchte schon ein gewichtiges Argument, um wieder in einen offenen Wettstreit zu treten.

SPOX: Wie wird man eigentlich Motorsport-Direktor bei Pirelli? Haben Sie als Kind davon geträumt Rennfahrer zu werden?

Hembery: Nein. Eigentlich überhaupt nicht. Ich wollte in meiner Jugend immer Rugby-Spieler werden. Der Sport begeistert mich bis heute.

SPOX: Und wie sind Sie dann zum Motorsport gekommen?

Hembery: Die ersten Veranstaltungen, die ich live gesehen habe, waren Rallyes. Ich bin in England aufgewachsen und wir sind damals alle in den Wald gegangen um uns zu unmöglichen Uhrzeiten bei Tag und Nacht die RAC Rallye anzugucken. Ein einziger Blick hat gereicht, damit ich wusste, dass ich niemals das Zeug zum Fahrer haben würde. Also habe ich mein aufkeimendes Interesse als Ingenieur verfolgt. Ich glaube, die Passion dafür rührt von der Faszination her, zu verstehen, wie etwas funktioniert und es anschließend zu verbessern.

SPOX: Gibt es Fahrer, die Sie besonders bewundert haben?

Hembery: Zu Rallye-Zeiten war das Markku Alen. Er war wahrscheinlich der Fahrer, der mich für Motorsport begeistert hat. In der Formel 1 muss ich fair bleiben: Ich bewundere alle Fahrer. Wenn man in der privilegierten Position ist, so nah an diesen Sportlern zu sein, muss man ihr herausragendes Talent umso mehr anerkennen. Das ist einer der Gründe, warum es so ein Privileg ist, hier bei der F1 zu sein.

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