"Vettel hat noch viel zu lernen"

Von Alexander Mey / Harry Miltner
Jenson Button (r.) hält Sebastian Vettel für einen guten Fahrer - der noch viel lernen muss
© Getty

Er nennt sich selbst einen langweiligen Scheißkerl. Michael Schumacher hält er für einen Außerirdischen. Und Sebastian Vettel muss seiner Meinung nach noch viel lernen. Im Interview erklärt Weltmeister Jenson Button, was sich seit seinem Weltmeistertitel verändert hat und warum er sich so gerne mit Lewis Hamilton duelliert.

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SPOX: Herr Button, wie hat sich Ihr Leben verändert seit Sie sich Weltmeister nennen dürfen? Werden Sie von den Menschen jetzt mit mehr Respekt behandelt?

Jenson Button: Weltmeister zu werden hat mir jetzt nicht gerade neue Türen geöffnet oder dafür gesorgt, dass ich in schicken Restaurants plötzlich die besten Tische bekomme. Die hatte ich auch vorher schon (lacht). Aber mal im Ernst. Die Wahrnehmung hat sich schon verändert. Früher kamen die Leute auf mich zu, klopften mir auf die Schulter und sagten: "Nicht traurig sein, Deine Zeit wird kommen". Jetzt gratulieren sie mir einfach. Das hat schon was - und ich glaube nicht, dass ich irgendwann aufhören werde, es zu genießen.

SPOX: Die meisten Experten und Medien hatten Ihnen vor der Saison im Duell mit Lewis Hamilton keine Chance eingeräumt. Hat Sie das beleidigt?

Button: Nach dem WM-Triumph habe ich eine neue Herausforderung gesucht. Und bei McLaren gegen Lewis zu kämpfen, war die größte Herausforderung, die ich finden konnte. Allerdings ist es immer hart, zu einem neuen Team zu kommen. Plötzlich läuft alles anders, als du es gewohnt bist. Du brauchst Zeit, dich daran zu gewöhnen. Deshalb haben die Medien-Leute gedacht, dass ich weit hinter Lewis herfahre. Aber das Team hat mich herzlich empfangen und mir vom ersten Moment an gezeigt, dass sie alles tun werden, um mich zu unterstützen. Deshalb hat mich das Gerede von außerhalb überhaupt nicht interessiert.

SPOX: Wenn man den puren Qualifying-Speed anschaut, dann ist Lewis im Moment immer ein bisschen schneller. Ist er der härteste Gegner, den man als Teamkollege haben kann?

Button: Lewis ist ein außergewöhnliches Talent - und es ist großartig, jemanden wie ihn als Teamkollegen zu haben. Zum einen, weil wir gut miteinander auskommen. Zum anderen, weil wir uns gegenseitig anstacheln. Er ist ein erbitterter Gegner - aber wir arbeiten auch sehr, sehr gut zusammen. Wir haben viel gemeinsam, denn wir beide wollen um Siege kämpfen. Ganz nebenbei sind wir beide Briten - und haben deshalb denselben Humor.

SPOX: Was genau zeichnet Lewis Ihrer Meinung nach aus?

Button: Lewis holt einfach immer das Beste aus dem Auto heraus. Er ist ein echter Fighter. Ich denke, das hat man in dieser Saison bereits gesehen. Wenn es aber darum geht, mit dem Team zu arbeiten, kommt er mit jedem klar und respektiert alle Mitarbeiter. Es ist mit ihnen aufgewachsen. Deshalb schafft er einfach ein tolles Arbeitsklima.

SPOX: Sie haben es angesprochen: Lewis und Sie kämpfen beide um den Titel. Können Sie wirklich ausschließen, dass es irgendwann so endet wie zwischen Prost und Senna?

Button: Vor einem gepflegten Duell auf der Strecke schrecken Lewis und ich bestimmt nicht zurück. Hat man ja in Istanbul gesehen. Aber wir sind clever genug, um dabei keine Kollision zu riskieren. Schon gar nicht mir dem Teamkollegen. Wir pushen uns gegenseitig bis ans Limit, das stimmt. Aber wir wissen eben auch, wo die Grenzen sind. Ich werde immer versuchen, ihn zu schlagen. Und er mich. Aber wir werden dabei immer fair bleiben und unseren Spaß auf der Strecke haben. Schließlich kosten solche Unfälle nicht nur wertvolle Punkte - High-Speed-Abflüge können auch extrem gefährlich sein.

SPOX: Harte Duelle hatten Sie auch mit Michael Schumacher. Ist er ein harter Gegner?

Button: Michael ist siebenmaliger Weltmeister. Natürlich ist er ein harter Gegner und ein erbitterter Gegner. Im Moment hat er nur einfach nicht das Auto dazu. Es ist großartig, dass er wieder da ist. Es macht Spaß, gegen ihn zu fahren. Und es ist gut für den Sport.

SPOX: Liegt seine derzeitige Krise wirklich nur am Auto? Oder ist da mehr...

Button: Ein Comeback ist immer schwierig. Besonders weil sich seit seinem Rücktritt 2006 im Bezug auf die Technik einiges verändert hat. Deshalb hat er einige Zeit gebraucht, um sich an alles zu gewöhnen. Aber jetzt wird er von Tag zu Tag schneller. Michael quetscht immer alles aus seinem Auto heraus. Aber egal was er macht, es wird von der Öffentlichkeit minutiös analysiert. Deshalb steht er unter enormem Druck. Unnötigem Druck.

SPOX: Sie haben einmal gesagt, dass Sie sich nicht vorstellen können, mit 41 noch Rennen zu fahren. So wie es Michael Schumacher aktuell tut. Warum nicht?

Button: In elf Jahren werde ich mich wie ein 70-Jähriger fühlen. Motorsport ist ein harter Job und körperlich sehr belastend. Hinzu kommt der enorme Druck. Druck, den man nicht kontrollieren kann. Da sitzen 700 Menschen in der Fabrik und hoffen, dass ich keinen Mist baue. Ich liebe es, aber ich kann mir ganz einfach nicht vorstellen, das noch elf Jahre lang zu machen. Und was Michael angeht: sieben Weltmeisterschaften? Das ist einfach nicht von dieser Welt. Ich denke nicht, dass dieser Rekord jemals gebrochen wird. Vielleicht hat er 2006 einfach zu früh aufgehört. Vielleicht hat er danach einfach gemerkt, dass er dieses gewisse Etwas braucht, das sein Adrenalin durch die Venen pulsieren lässt.

SPOX: Hat er jetzt vielleicht auch härtere Gegner? Sie kennen die F1 seit mehr als einer Dekade. Sehen wir aktuell das beste Fahrer-Lineup seit langem?

Button: In der Formel 1 herrscht derzeit ein sehr, sehr großer Konkurrenzkampf. Ich bin mir zwar sicher, dass auch in den 1980ern schon hart war, aber heute? Jeder einzelne Fahrer verdient es, in der Startaufstellung zu stehen. Und den Konkurrenzkampf gibt es nicht nur zwischen den Fahrern, sondern auch zwischen den Teams. Es ist erstaunlich, wie dicht alle beieinander sind. Im letzten Jahr gab es Rennen, da lagen alle 20 Autos innerhalb von einer Sekunde. Vor zehn oder 15 Jahren wäre das vermutlich der Abstand zwischen den ersten Drei gewesen. Alles rückt näher zusammen - und das macht es schwieriger.

SPOX: Und was ist mit Sebastian Vettel? Gegen den haben Sie 2009 um den Titel gekämpft. Wie stark schätzen Sie ihn in diesem Jahr ein?

Button: Sebastian wird der sein, den es am Ende zu schlagen gilt. Die Geschwindigkeit seines Autos ist beeindruckend. Vor allem im Qualifying. Und er ist ein sehr guter Fahrer - besonders wenn man sein Alter bedenkt. Als ich 23 war, war ich bei weitem nicht so gut, wie ich es heute bin. Zwar nicht unbedingt langsamer, aber längst nicht so smart. Ich habe mich mit der Zeit einfach in jedem Aspekt verbessert. Über die Jahre wird man selbstbewusster, kann seine Vorschläge im Team besser durchsetzen. Und genau diese Entwicklung sehen wir aktuell bei Sebastian. Über die Saison gesehen war er bisher einfach nicht konstant genug. Noch nicht. Schnell ist er schon - sehr schnell für sein Alter. Aber man hat auch zuletzt auch wieder gesehen, dass er noch viel zu lernen hat. (lacht)

SPOX: Warum haben Sie eigentlich so lange gebraucht, um konkurrenzfähig zu sein?

Button: Formel-1-Weltmeister zu werden, das war schon in der Kindheit mein Traum. 21 Jahre lang bin ich Rennen gefahren, bis es endlich geklappt hat. Warum es so lange gedauert hat? Ich musste ganz einfach ein Team finden, das mir ein Siegerauto geben konnte. 2009 saß ich dann zum ersten Mal in einem Auto, das von sich aus Rennen gewinnen kann - und schon bin ich Weltmeister geworden.

SPOX: Dennoch: Sie sind mittlerweile 30 Jahre alt. Wenn Sie auf Ihre Anfänge zurückblicken, auf den als Playboy bekannten Jenson Button - was ist mit dem passiert?

Button: Als ich 2000 in die Formel 1 kam, hatte ich kaum Erfahrung. Ich dachte: das ist ein Wochenend-Job. Warum sollte ich also nebenher nicht weiter mein Leben genießen? Doch das mit dem Wochenend-Job stimmt nicht. Die Formel 1 wird zu deinem Leben - und das muss auch so sein, wenn du erfolgreich sein willst. Das musste auch ich irgendwann einsehen. Natürlich habe ich auf diesem Weg Fehler gemacht. Aber ich habe sie auch wieder ausgebügelt und ich denke, dass die Menschen das respektieren.

SPOX: Sie haben sich also komplett verändert?

Button: Oh ja! Mittlerweile bin ich so davon besessen zu gewinnen, dass mich mein Streben nach dem Sieg an den Rennwochenenden zu einem langweiligen Scheißkerl werden lässt. Meine Familie hat sich mittlerweile damit abgefunden, dass es zwei Jensons gibt. Zuerst haben sie den gleichen netten Umgang und Scherze erwartet, die sie in der Freizeit von mir bekommen. Aber an der Rennstrecke bin ich nun mal ganz anders.

SPOX: Gab es einen Wendepunkt in Ihrer Karriere?

Button: Ich denke nicht, dass es einen wirklichen Wendepunkt gab. Aber im November 2008 gab es einen Punkt, an dem ich wirklich dachte, meine Karriere sei vorbei. Und zwar ohne das erreicht zu haben, was mir meiner Meinung nach zusteht. Mein Manager teilte mir mit, dass ich kein gutes Cockpit für das kommende Jahr hätte - nur einige Optionen, die meiner Karriere aber nicht gerade helfen würden. Das war ein echter Weckruf. Als ich dann aber bei Brawn in der Fabrik stand, habe ich gemerkt, wie positiv alle denken. Sie sagten mir sofort, ich solle mir keine Gedanken machen. Alles würde gut werden. Ross ist ein starker Charakter. Jeder glaubt an ihn. Wir mussten kämpfen - und genau das haben wir getan.

SPOX: Was genau sind dabei Ihre größten Stärken? Im Fahrerlager heißt es, Sie seien ein sehr ausgeglichener und intelligenter Fahrer. Stimmen Sie da zu?

Button: Mein Ziel war es immer, Weltmeister zu werden. Spätestens seit ich das erreicht habe, bin ich viel entspannter. Ich setze mich nicht mehr selbst unter Druck. Wenn ich in den nächsten Jahren mit McLaren noch weitere Titel gewinne, dann ist das großartig. Wenn nicht, dann eben nicht. Ich gebe einfach alles, was ich geben kann.

SPOX: Ihr Fahrstil wird oft mit dem von Alain Prost vergleichen. Ist er Ihr Vorbild?

Button: Als echtes Vorbild würde ich ihn in diesem Fall nicht bezeichnen. Denn wie jeder Formel-1-Pilot habe auch ich meinen eigenen Fahrstil. Das Wichtigste ist, dass einem das Team ganz genau zuhört. Bei McLaren bin ich in der großartigen Lage, dass sie alles dafür tun, um meine Wünsche zu erfüllen. Und ich denke, das ist das Geheimnis ihres Erfolgs. Sie sorgen sich wirklich darum, was der Fahrer will. Das heißt bei uns: Sie brauchen zwei komplett verschiedene Autos. Denn Lewis und ich haben einen sehr unterschiedlichen Stil. Und damit meine ich nicht die offensichtlichen Dinge wie Kurven weich oder hart anfahren, aggressiv oder gelassen sein. Nein. Da spielen ganz andere Sachen eine Rolle. Wir unterscheiden uns auch bei den Einstellungen von Gas und Bremse. Wie gesagt: Es sind zwei völlig unterschiedliche Typen.

SPOX: Aber um noch einmal auf Prost zurückzukommen: Sie durften zuletzt in Goodwood seinen alten McLaren MP4/2C von 1986 fahren...

Button: Was für ein Auto! Die Fahrer waren fast überhaupt nicht geschützt. Wenn man im Boliden sitzt, kann man den Boden und den Querlenker anfassen. Die Jungs damals müssen wirklich todesmutig gewesen sein. Was für ein großartiges, großartiges Auto!

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