Karibik-Reise und Rooneys Hochzeit

Von Interview: Florian Bogner
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© Getty

München - Nach dem 5:1 gegen Deutschland im WM Quali-Spiel in München 2001 bildete die englische Zeitung "Daily Mirror" die verbrannten Torwart-Handschuhe von Oliver Kahn ab. 

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Nach dem WM-Aus der Engländer 2002 gegen Brasilien (1:2) suchte die "Sun" einen Nachfolger für Torwart David Seaman mit den Worten: "Jeder, der ein paar Torwart-Handschuhe zu Hause hat, sollte sich beim englischen Verband melden. Jeder ist besser als diese Pfeife Seaman."

Der englische Boulevard liefert stets brisante Schlagzeilen, wenn es um die eigene Nationalmannschaft geht. In Österreich und der Schweiz fehlen die Three Lions. Und wie vertreiben sich englische Zeitungsreporter die Zeit? SPOX.com fragte bei Sam Wallace, 32, Fußballchef in Sachen Nationalmannschaft von "The Independent" in London, nach.

 

SPOX.com: Mr, Wallace, die EM findet ohne England statt - froh darüber, mal nicht über das übliche Versagen berichten zu müssen?

Sam Wallace: Nein, nein, ich bin England-Fan und von daher ist es echt schade, dass England nicht dabei ist. Da ist jetzt ein leerer Fleck im Kalender. Nichts zu tun. Das einzig Positive war, dass das Nationalteam gerade ein Freundschaftsspiel in Port of Spain gegen Trinidad und Tobago hatte, wo ich fünf Tage lang mit dabei war. Das war nicht schlecht - und landschaftlich bestimmt besser als die Schweiz.

SPOX: Was vermissen Sie am meisten: pöbelnde England-Fans, die Trainerdiskussion, Elfmeterschießen...?

Wallace (lacht): Naja, das vermisst man sicher nicht. Was ich aber vermisse, sind die Erwartungen und Hoffnungen, die man in sein Team setzt. Auch den Optimismus, mit dem man in so ein Turnier hinein geht. Immerhin haben wir seit 42 Jahren nichts mehr gewonnen. Da denkst du jedes Mal: Jetzt ist es endlich wieder so weit!

SPOX: Über was berichtet Ihre Zeitung denn jetzt?

Wallace: Wir wissen ehrlich gesagt nicht genau, womit wir jeden Tag unsere Seiten füllen sollen. Der Großteil der Berichterstattung beschäftigt sich mit englandrelevanten Themen. Was macht Ronaldo? Storys über Italien oder andere Nationen interessieren unsere Leser nicht unbedingt. Kroatien vielleicht. Die haben uns schließlich rausgekegelt.

SPOX: Also bunte Themen rund um die Premier League mit einer Prise Masochismus.

Wallace: So in etwa. Generell liegt der Fokus der Berichterstattung eher auf den Spielern, die auch in der Premier League spielen oder für die Premier League interessant sind. Luka Modric (wechselt zu Tottenham, Anm. d. Red.) ist ein gutes Beispiel. Die Leute wollen wissen, was der Junge kann.

SPOX: Und das sportliche Geschehen - wer gewinnt, wer versagt - rückt in den Hintergrund?

Wallace: Nein, die EM wird nicht vollends ignoriert, wenn sie das meinen. Viele der Zeitungen machen jetzt sogar Witze darüber, wen man als Fan nun offiziell unterstützen soll. Frei nach dem Motto: Adoptiere ein Team!

SPOX: Welchem Team gehören denn die meisten Sympathien in England?

Wallace: Engländer sind in erster Linie Vereinsfans. Die Leute unterstützen dann die Spieler aus ihren Teams. Also eigentlich alle Nationen - außer Deutschland vielleicht (lacht).

SPOX: Wird in den Pubs die EM geschaut?

Wallace: Die Spiele werden auf jeden Fall übertragen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Leute mit großer Leidenschaft Ronaldo im Portugal- oder Henry im Frankreich-Trikot unterstützen werden.

SPOX: Was machen eigentlich die englischen Nationalspieler? Schlachtenbummler inkognito?

Wallace: Die meisten Spieler werden wohl bei Rooneys Hochzeit auf Sizilien vorbei schauen. Und Steve McClaren (Ex-Nationaltrainer Englands, Anm. d. Red.) sollte lieber ganz weit wegbleiben und nicht ständig einen auf Fernsehexperte machen. Das schmerzt die Leute hier doch sehr.

SPOX: Es gab da mal den vagen Plan, während der EM ein Turnier zwischen England, Schottland, Wales und Nordirland zu veranstalten...

Wallace: Eine völlig aberwitzige Idee. Erstens hätten wir uns damit noch lächerlicher gemacht und zweitens hätten die schottischen Fans schon wieder London auseinander genommen.

SPOX: Tut die Schadenfreude der anderen Nationen eigentlich noch weh?

Wallace: Wir wissen, was der Rest Europas über uns denkt. Aber glauben Sie mir, die englischen Medien hauen noch zehn Mal mehr drauf als alle anderen. Und außerdem haben wir immer noch das 5:1 von München. Das hält noch eine Weile.

SPOX: Wenn Deutschland früh ausscheidet, gibt es wohl Revanche für die 'Ohne England, fahr'n wir zur EM'-Gesänge.

Wallace: Klar werden wir feiern, wenn Deutschland in der Vorrunde ausscheidet. Das hättet ihr andersrum doch auch gemacht. Das gibt dicke Headlines im Boulevard.

SPOX: Kann es eigentlich sein, dass das deutsche Team seit der WM 2006 seine Feindbilder verloren hat?

Wallace: Schon ein bisschen. Die englischen Fans mochten zum Beispiel Jürgen Klinsmann sehr, da hat sich schon was verändert. Aber sonst wissen die Leute hier nicht viel über das deutsche Team und die Spieler, auch weil die Bundesliga in England nicht übertragen wird.

SPOX: Aber Ballack und Lehmann kennen sie.

Wallace: Ballack ist ein großartiger Spieler, der hoffentlich auch noch ein paar Jahre in der Premier League spielen wird. Lehmann hat es jetzt ja hinter sich (lacht). Philipp Lahm ist auch ein interessanter Spieler, der hat ja immerhin schon mal Kontakte zu englischen Vereinen gehabt, wie man hört.

SPOX: Welches Image hat Jogi Löw in England? Ist er nicht ein typischer Deutscher?

Wallace: Nein, Löw ist nicht der typische Deutsche. Wenn wir in England von einem typischen Deutschen sprechen, dann von Otto Rehhagel. Er hat diese kauzige, autoritäre, ich-weiß-wovon-ich-rede-Art, über die wir uns köstlich amüsieren können. Löw ist eher ein moderner Trainer. Und sollte Löw mit Deutschland den Titel gewinnen, wäre er mit Sicherheit auch ein Kandidat für einen Job in der Premier League.

SPOX: Auch wenn es weh tut - was trauen Sie den Deutschen bei der EM zu?

Wallace: Die übliche Prognose: das Halbfinale ist für Deutschland schon drin und ab dann ist sowieso alles möglich. Es gibt ja noch Elfmeterschießen.

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