Nach Jahren in den Niederungen des Profitennis hat sich Tennisprofi Oscar Otte (28) in den vergangenen zwei Jahren in der erweiterten Weltspitze etabliert. Im exklusiven SPOX-Interview in Paris zum Start der French Open spricht der gebürtige Kölner über eine große Umstellung, Matches gegen Roger Federer, Gespräche in der Umkleide mit dem neuen Star Carlos Alcaraz, Matchfixing-Verdachte und Kontakte zu den Spielern des 1. FC Köln.
Oscar Otte, während Ihres überragenden Wimbledon-Laufs 2021 ist aus dem Fünf-Satz-Krimi gegen Andy Murray ein "GIF" (animiertes Kurzvideo, beliebt in den sozialen Medien Anm. d. Red.) entstanden. Nach einem Netzangriff sitzen sie dabei genüsslich auf dem Heiligen Rasen und mimen einen Zigarettenzug. Das ist natürlich viral gegangen. Hand aufs Herz: Wie oft bekommen sie das zugesendet?
Oscar Otte: Ja, das kommt schon häufig vor im Alltag. (lacht) Ich bin auch in etlichen WhatsApp-Gruppen in verschiedenen Freundeskreisen - natürlich auch mit diversen Tennis-Jungs. Wenn man da mal etwas schreibt und einen Spruch gedrückt bekommt, oder selber einen macht, kommt als Antwort ab und zu mal das GIF. Meine Schwester und ihr Mann haben das sogar als Bild bei sich zuhause stehen und beim Bruder ihres Mannes hängt die Aufnahme im Wohnzimmer. Es ist immer noch präsent, obwohl es fast schon ein Jahr her ist.
Ist Ihnen das im Nachhinein unangenehm, oder haben Sie noch mehr Material für GIFs in großen Matches?
Otte: Es gibt noch mehr Material. Das muss ich sehen, wenn ich an großen Matches wieder beteiligt bin. (lacht) Nein, natürlich plane ich das nicht vorher, das war eine spontane Aktion. Ich bin zehnmal hingeflogen und das Publikum hat trotzdem geklatscht wie verrückt, da kam das spontan, aber vielleicht habe ich noch das ein oder andere in petto.
Oscar Otte: "An das Match mit Federer denke ich immer noch"
Blicken wir zu den nun beginnenden French Open: Im Stade Roland Garros haben sie 2019 als völlig unbekannter Spieler nach überstandener Qualifikation in Runde eins gegen Roger Federer gespielt. Was war das damals für ein Erlebnis?
Otte: Das war bis jetzt einer der coolsten Tage in meiner Karriere, weil auch alle zugeschaut haben. Meine Eltern, meine Freundin, der Mann meiner Schwester, Familie aus England, die besten Kumpels aus Köln und sogar mein Steuerberater.
Ihr Steuerberater?
Otte: Ja, er ist auch ein guter Freund und war als Kumpel vor Ort, er hat sich keine Papiere und Preisgeldabrechnungen angeguckt. (lacht) Das Erlebnis war damals ganz Großes. Ich hatte vorher noch nie auf einem derart riesigen Platz gespielt und war noch nie im Fernsehen zu sehen. Da habe ich auch meine ersten Interviews gegeben. Das war ein besonderer Tag und ist auch rückblickend noch ein Highlight.
Denken Sie auch jetzt als etablierter Spieler (aktuell Platz 59, Anm. d. Red.) noch daran, und an einen bestimmten Moment - oder ist die große Bühne Alltag?
Otte: An den Tag und an das Match gegen Roger denke ich immer noch. Das sind positive Erinnerungen. Auch wenn ich in drei Sätzen verloren habe, war es relativ knapp und ich habe gutes Tennis gespielt. Kürzlich habe ich erst wieder mit meinem Coach darüber gesprochen. Ich bin zuerst auf den Platz gekommen, da gab es schon höflichen Applaus, aber als dann Roger zehn Sekunden später einlief, dachte ich, das Stadion bricht gleich zusammen. Solche positiven Erlebnisse nimmt man mit und jedes Mal wenn ich hier bin, muss ich daran denken.
Oscar Otte: Statistiken seiner Karriere
Profi seit | Bilanz 2022 | Bestes Grand-Slam-Ergebnis | Preisgeld |
2011 | 10-10 | Achtelfinale US Open 2021 | 1,37 Millionen US-Dollar |
In den letzten Jahren ist viel passiert, Sie trainieren bei Peter Moraing, dem Onkel von Mats Moraing. Was ist der entscheidende Punkt, der Sie inzwischen von den hinteren Rängen im Profitennis in Richtung Top 50 gebracht hat?
Otte: Die Konstanz ist entscheidend. Wir haben gut und viel trainiert in den vergangenen Jahren. Ich bin seit dem Beginn der Corona-Pandemie verletzungsfrei, weil wir monatelang Zeit hatten und Akzente setzen konnten. Körperlich haben wir viel gemacht und das hat mir gutgetan. Ich konnte fokussiert an einer Sache arbeiten, das war über das Jahr verteilt vorher nicht möglich. Du kannst konstant sein, aber kannst immer wieder nur kleine Reize setzen zwischen den Turnieren. Das haben wir gut in den Griff bekommen. Peter hat mir persönlich als Spieler sehr weitergeholfen und tut es immer noch. Er lässt mir viel Freiraum und sagt mir auch immer wieder, dass ich ein sehr instinktiver Spieler bin und dass ich nicht zu viele Informationen direkt vor einem Match bekommen sollte, weil ich Situationen meistens spontan löse. Ich glaube, das macht es zusammen mit der Beharrlichkeit aus.
Ihr Trainer ist der Vater Ihrer Freundin Emma und der Onkel von Mats Moraing, ihrem guten Freund, der auch Tennisprofi ist. Welche Rolle spielt Peter Moraing für Sie? Ist er wie ein Onkel, ein guter Freund oder haben Sie ein gewöhnliches Coach-Spieler-Verhältnis?
Otte: Wir haben ein sehr gutes Verhältnis, wir sind beide entspannte Typen und verstehen uns sehr gut. Er ist auf eine gewisse Art und Weise auch Familie, weil ich schon länger mit meiner Freundin zusammen bin. Wir sehen uns täglich und sind vertraut. Es passt alles und wir haben ein ziemlich gutes Verhältnis.
Oscar Otte über Carlos Alcaraz: "Schaue ihm gerne zu"
Sie haben mit Mitte zwanzig nochmal einiges umgestellt und professionalisiert. Wundern Sie sich manchmal und denken an früher, wenn plötzlich ein 19-Jähriger wie Carlos Alcaraz auftaucht und die Weltelite in Grund und Boden spielt?
Otte: Da denke ich an mein 18-jähriges Ich. Ich bin auch bald 29 und hätte im Nachhinein vielleicht ein paar Sachen anders machen sollen, aber es gibt immer wieder Ausnahmen, bei denen jemand im frühen Alter hochschießt. Das ist für das Tennis natürlich schön, wenn da neue Gesichter kommen.
Haben Sie ihn schon einmal kennengelernt? Wie finden Sie ihn als Spieler?
Otte: Ich habe ihn schonmal in der Umkleide gesehen und wir haben kurz gequatscht. Er ist sehr sympathisch, nett und höflich. Spielerisch schaue ich ihm gerne zu, er spielt sehr attraktives Tennis. Wenn man das mit den "Big Three" (Federer, Nadal, Djokovic Anm. d. Red.) vergleicht, ist es einfach mal etwas Neues, und er scheint auch gut mit seinem Team zusammenzuarbeiten, sonst würde er nicht unter den Top-10 stehen.
Ist diese weltweite Tenniswelt eigentlich Ihr Ding? Sie haben es sich bis hierhin hart erarbeitet, große Turniere zu spielen - das wird jetzt langsam Normalität. Hätten Sie gerne noch mehr Medienrummel?
Otte: Ich möchte da nach ganz vorne auch irgendwann, dafür arbeite ich ja jeden Tag. Natürlich steht man dann im Mittelpunkt und muss häufig mit den Medien sprechen und das gehört dazu, aber ich habe auch gerne meine Ruhe. Ich arbeite in erster Linie, um ein guter Tennisspieler zu sein. Klar möchte man irgendwann ein Superstar sein und ganz weit oben stehen und mir gefällt es, so wie es gerade ist. Aber es hat sich nicht so viel verändert, weil ich jetzt weiter oben stehe. Ich hänge immer noch ganz normal mit meinen Kumpels ab und führe ein ganz normales Leben.
Was machen Sie mit ihren Freunden dann so?
Otte: Wir grillen oder hängen zu Hause ab. Das ist ganz entspannt, wir feiern keine exzessiven Partys. Es steht auch kein Umzug in eine Steueroase an. Ich mag es, zuhause zu sein mit meiner Familie, meiner Freundin und meinem Hund (in Essen Anm. d. Red). Ich bin auch gerne lange auf den Turnieren, weil das zeigt, dass man gut spielt. Aber wenn ich mal zehn Tage zuhause bin, genieße ich das auch sehr und kann abschalten.
Oscar Otte: "Tennisspieler bekommen täglich Morddrohungen"
Gibt es auf dem Level im Profitennis Schattenseiten, die Ihnen gar nicht gefallen?
Otte: So wie es aktuell ist, ist alles gut. Es wird sehr viel für die Spieler getan und ich kann mich überhaupt nicht beschweren. Eigentlich ist alles gut.
Dennoch wissen sie aufgrund ihrer Turniererfahrung auf unterem Profiniveau auch über das leidige Thema Matchfixing (Wett-Betrug bei Spielen Anm. d. Red) bescheid. Nun besteht mal wieder der Verdacht, dass ein Qualifikationsmatch hier in Paris mit dem Israeli Dudi Sela bei den French Open gefixt wurde. Die französische Sportzeitschrift l'Equipe beruft sich auf Ermittlungen einer Polizeiquelle. Überrascht es Sie, dass so etwas auch auf höchstem Niveau bei den French Open eine Rolle spielt?
Otte: Schwierig zu sagen. Ich kenne den Spieler schon lange, wir haben schon viele Turniere zusammen gespielt, vor allem Challenger in Asien. Er war früher ein sehr guter Spieler und ist ein gestandener Profi. Er ist ein sehr netter Kerl. Man weiß es nie hundertprozentig, aber ich glaube nicht, dass an dem Vorwurf etwas dran ist. Leider ist Matchfixing immer noch in jeglichen Sportarten ein Thema. Es wird viel gewettet und es wäre gut, wenn da weiter gegen vorgegangen wird. Es ist ein schwieriges Thema, es gibt viele Fake-Accounts und viel kommt auch aus Asien. Ich weiß nicht, wie die Behörden darauf Zugriff haben, aber es wäre schon gut, wenn man die Spieler noch mehr schützen könnte. Das bezieht sich auch auf Hassnachrichten, egal ob man gewinnt oder verliert.
Bekommen Sie viele Hassnachrichten in den sozialen Medien?
Otte: Ja, in den letzten Jahren waren es insgesamt bestimmt über tausend, aber es kommt immer darauf an, was für ein Match man verliert. Wenn ich gegen einen niedriger gerankten Spieler verliere, kommen schon bis zu 50 Nachrichten. Wenn es im Fernsehen heißt, dass Bayern-Trainer Julian Nagelsmann Morddrohungen bekommt, muss ich daran denken, dass das bei Tennisspielern täglich vorkommt. Das betrifft jeden, da gibt es keine Ausnahmen.
Oscar Otte: "Wie eine Leiche zum Doppel angetreten"
Manche Ihrer Kollegen wie Jan-Lennard Struff oder Dustin Brown veröffentlichen diese Hassnachrichten manchmal, um die Verfasser bloßzustellen.
Otte: Ja, ich weiß. Es ist auch echt unangenehm, meine Schwester und meine Freundin bekommen mittlerweile auch Nachrichten nach verlorenen Matches. Das nimmt aktuell Überhand, deshalb ist es auch gut, wenn darauf aufmerksam gemacht wird, wie es Sportlern ergehen kann.
Sie haben lange auch Challenger- und Future-Turnieren gespielt. Da passiert viel, was man sich im Profitennis gar nicht vorstellen kann. Haben Sie eine Anekdote parat?
Otte: Ich habe viele Turniere mit Andy Mies (heutiger Doppelspezialist und French-Open-Sieger, Anm. d. Red.) gespielt. Das mit der Ernährung bei kleinen Turnieren ist manchmal bisschen fragwürdig. Einmal in Marokko bei einem Challenger habe ich mir eine üble Lebensmittelvergiftung eingefangen. Die ganze Nacht musste ich mich übergeben und am nächsten Tag bin ich wie eine Leiche trotzdem zum Doppel angetreten. Ich habe mich auf den Platz geschleppt und das Match irgendwie überstanden. Wir haben sogar noch gewonnen und am nächsten Tag hat es dann Andy erwischt. Er ist sogar unter der Dusche bewusstlos geworden und hat sich den Kopf gestoßen. In der zweiten Woche wäre noch ein Turnier in Marokko gewesen, aber wir sind dann lieber wieder heimgeflogen und waren zuhause noch wochenlang krank.
Als gebürtiger Kölner sind Sie großer Fan des Effzeh und wurden schon im Stadion ausgezeichnet. Die Video-Abteilung des Klubs ist berüchtigt und hat kürzlich ein 15-minütiges Rückblickvideo gedreht, in dem Trainer Steffen Baumgart einen Campingtouristen mimt. Pflichtprogramm für sie?
Otte: Das muss ich mir unbedingt noch ansehen, aber ich habe die anderen Folgen der Dokumentation gesehen. Lars Übel, der Trainer von Daniel Masur, hat mir auch schon viermal den Link geschickt, er ist auch Effzeh-Fan.
Die Fußball- und Tennisszene ist relativ gut vernetzt, Sie haben auch schon Köln-Stürmer Anthony Modeste getroffen. Haben Sie ansonsten Kontakte zu Kölner Profis?
Otte: Nein, noch nicht, ich bin selten zuhause und dann bin ich froh, wenn ich meine Ruhe habe und Freunde oder meine Familie sehen kann. Mit Anthony Modeste habe ich nach den US Open ein bisschen geschrieben, aber mehr noch nicht.
Was sind Ihre Ziele in Paris?
Otte: Ich gucke von Match zu Match. Ich fühle mich in guter Form. Mein Ziel ist es, in die zweite Woche zu kommen.
Mittelfristig spielen sie mit Daniel Altmaier um den Platz als Nummer zwei im Deutschen Herrentennis. Pushen Sie sich gegenseitig?
Otte: Ja, wir spielen jetzt auch Doppel zusammen und verstehen uns sehr gut. Wer die deutsche Nummer zwei wird und beim Davis Cup spielt, werden wir sehen. Das ist aber noch zu weit weg, deshalb fokussiere ich mich erstmal auf Paris.
Unter den deutschen Davis-Cup Spielern herrscht ohnehin weniger Konkurrenz, oder?
Otte: Genau, es herrscht eine sehr gute Stimmung. Alle verstehen sich sehr gut und sind auch privat gut befreundet. Neid gibt es da nicht.
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